Planetare Grenzen: Die Balance der Nährstoffe
Ohne Stickstoff und Phosphor könnten Lebewesen nicht existieren. Wie andere wichtige Nährstoffe bewegen sich diese chemischen Elemente in Kreisläufen zwischen Erde, Wasser, Luft und Lebewesen – in Mengen, auf die sich die Ökosysteme im Lauf der Evolution eingestellt haben. Doch mittlerweile haben wir Menschen die Kreisläufe stark aus der Balance gebracht. Dadurch sind zu viel Stickstoff und Phosphor im Umlauf, gleichzeitig wird der Phosphor knapp.
Es geht nicht ohne Stickstoff und Phosphor. Alle Lebewesen brauchen diese Nährstoffe, um wichtige Grundbausteine für ihre Körper herzustellen, etwa Proteine und die Erbsubstanz DNS. Aber zu viel davon an einem Ort ist auch nicht gut. Die planetare Grenze für die beiden Stoffkreisläufe ist weit überschritten. Als Folge verändern sich Ökosysteme und Artenvielfalt.
Durch Industrie und Landwirtschaft gelangen mehr Stickstoff und Phosphor in die Umwelt, als diese für ein stabiles Gleichgewicht verträgt. Vor allem die großen Mengen an Dünger, die wir für Nahrung, Futtermittel und Energiepflanzen auf die Felder bringen, ist ein Problem – denn sie werden nur zum Teil von den Pflanzen genutzt, der Rest gerät in die Umwelt. Aber auch Industrieprozesse und Verbrennungsmotoren bringen die Kreisläufe durcheinander.
Stickstoff kommt zum Beispiel in verschiedenen Verbindungen wie Nitrat, Ammoniak und Lachgas vor. Bei Stickstoff-Überschuss gelangt Nitrat ins Grundwasser und in die Meere. Dort führt es zu sauerstoffarmen Todeszonen. Wie Nitrat im Trinkwasser wirkt sich auch Ammoniak in der Luft auf die menschliche Gesundheit aus. Zudem entsteht in der Landwirtschaft das Treibhausgas Lachgas, das den Klimawandel weiter verstärkt.
Mehr Stickstoff als seit Jahrmillionen
Ein Großteil unserer Luft – ganze 78 Prozent – besteht aus Stickstoff. Dennoch war er für Pflanzen lange Zeit Mangelware. Denn so, wie er in der Luft vorkommt, ist er nicht reaktiv und pflanzenverfügbar, und nur für wenige Lebewesen nutzbar. Zu den Genies im Ökosystem, die ihn aus der Luft holen können, gehören die Knöllchenbakterien, die den Stickstoff binden können. Dadurch wird er reaktiv und pflanzenverfügbar. Diese Bakterien können dies nur in der Gemeinschaft, einer Symbiose mit Pflanzen. Die Bakterien leben an den Wurzeln von Leguminosen wie Lupinen, Erbsen, Wicken, Bohnen und Klee. Die symbiotische Beziehung zwischen Bakterien und Pflanzen reichert den Boden mit wertvollem Stickstoff an. Weil das nicht viele Lebewesen können, war der Stickstoff lange ein rares Gut.
Als Menschen damit begannen, Nutztiere wie Kühe, Schafe oder Schweine zu halten, änderte sich das. Stickstoff befindet sich im Gras und Stroh, das die Tiere fressen. Ihr Urin und Mist düngt damit die Felder, auf denen sie weiden. Das ist grundsätzlich erst einmal sinnvoll. In der heutigen Massentierhaltung ist aber oft eine große Zahl von Tieren in relativ kleinen Regionen konzentriert, was dort zu einem enormen Überschuss an Gülle und Mist führt. Beides landet dann auf den Feldern der nahen Umgebung, weil ein Transport über größere Entfernungen wirtschaftlich nicht lukrativ ist. Darüber hinaus werden die Futtermittel für die Tiere oft von weit her importiert, und die enthaltenen Nährstoffe werden dann in der Nähe der Ställe angereichert. Dadurch wird auch das Gleichgewicht im globalen Maßstab verschoben.
Kunstdünger und eine grüne Revolution
Anfang des 20. Jahrhunderts gelang Wissenschaftlern dann eine Revolution: Sie ahmten den Trick der Knöllchenbakterien technisch nach. Das in Deutschland entwickelte Haber-Bosch-Verfahren konnte aus molekularem Luftstickstoff unter Einsatz von Energie Ammoniak und künstlichen Dünger herstellen. Von da an konnten auf gleicher landwirtschaftlicher Fläche größere Erträge erzielt und folglich mehr Menschen ernährt werden. Neben Nahrungsmitteln ließ sich der neue Stickstoff-Dünger auch als Sprengstoff im Krieg einsetzen.
Heute wird etwa die Hälfte der Menschheit indirekt durch künstlich hergestellten Stickstoffdünger ernährt. Die Nebenwirkung: Wir haben mehr Stickstoff aus der Atmosphäre für Pflanzen und Lebewesen verfügbar gemacht als alle natürlichen Prozesse an Land zuvor zusammen. Nicht nur Kunstdünger und Gülle, auch Biogasanlagen tragen dazu bei, dass zu viele Gärreste auf den Feldern landen. Industrie und Fahrzeuge mit Verbrennermotoren sowie die Schifffahrt stoßen zudem Stickoxide aus. Stickstoff ist nun nicht mehr Mangelware, sondern im Überfluss vorhanden.
Risiken für Artenvielfalt, menschliche Gesundheit und Klima
Die Folgen sind gravierend, für Umwelt wie Gesundheit: Ein Teil des Ammoniaks, der bei der Ausbringung stickstoffhaltiger Dünger – vor allem aus Gülle und Mist – als Gas freigesetzt werden kann, reagiert dort mit anderen Luftschadstoffen und bildet gesundheitsbelastenden Feinstaub. Fällt dieser Stickstoff-Staub mit dem Regen herunter, überdüngt und verschmutzt er Gewässer, Küsten und Meere – die Fachleute sprechen von „Eutrophierung“. Pflanzen, die an eine magere Versorgung mit Stickstoff angepasst sind, verlieren ihren Konkurrenzvorteil gegenüber stickstoffliebenenden Arten – diese nehmen dann überhand.
Wie kommen wir zurück in den sicheren Bereich?
Um die Kreisläufe wieder in Balance zu bringen, können wir zum Beispiel:
- Weniger Nutztiere auf einer Fläche halten
- Das Düngemittelrecht verschärfen
- Nitrat-/Ammoniak-Grenzwerte einhalten
- Böden natürlich mit Stickstoff anreichern
- Weniger Lebensmittel verschwenden
- Weniger tierische Produkte verzehren
- Landwirtschafts-Technologie verbessern
- Verbrenner aus dem Verkehr nehmen
- Emissionen aus Industrie, Energie-, Abfall- und Abwasser-Sektor reduzieren
Mehr Details zu diesen Ansätzen im Artikel.
Düngermengen, die von den Pflanzen nicht unmittelbar aufgenommen werden, können bis zu einem gewissen Grad an Bodenpartikel gebunden werden. Wird diese Pufferfunktion überschritten, werden die Nährstoffe ins Grundwasser gespült und belasten es mit Nitrat. Hohe Nitratkonzentrationen im Trinkwasser können im Kontakt mit verschiedenen Nahrungsmitteln zur Bildung von Nitrosaminen führen. Diese stehen unter Krebsverdacht.
Der Überfluss hat auch Auswirkungen aufs Klima: Zuviel Stickstoff führt bei feuchten Böden zur Produktion von Lachgas, einem Treibhausgas, das 300-mal so stark aufs Klima wirkt wie CO2.
Wie beim Stickstoff ist auch der Phosphor-Kreislauf aus dem Lot. Phosphor ist etwa für unsere Zähne und Knochen wichtig. Früher wurde Guano, also Phosphat-haltiger Vogelkot, genutzt und weltweit gehandelt, um die Böden fruchtbarer zu machen. Heute werden Rohphosphate in Bergwerken abgebaut. Ein Teil davon wird zu leichter löslichen Phosphor-Düngern aufbereitet oder auch direkt auf die Felder gebracht.
Vom Phosphor-Dünger, der auf die Felder ausgebracht wird, landet nur ein Teil in den Pflanzen. Ein Teil wird in Böden fixiert, ein Teil wird aber, insbesondere bei Starkregenereignissen, in die Gewässer und Meere geschwemmt. In Seen sind die Folgen manchmal richtig giftig: Immer wieder müssen Strände und Strandbäder wegen „Blaualgen“-Blüten aus Cyanobakterien für eine Weile schließen.
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Die vielen Gesichter von Stickstoff und Phosphor
Über 78 Prozent unserer Luft besteht aus Stickstoff. Dort kommt er in seiner molekularen Form als N2 vor und besitzt so feste chemische Bindungen, dass er für die meisten Lebewesen nicht verfügbar ist.
Stickstoffverbindungen sind: Ammoniak (NH3), Ammoniumstickstoff (NH4+), Stickstoffdioxid (NO2), Lachgas (N2O), und Nitrat (NO3-).
Phosphor kommt in Böden vor allem als Bestandteil von Mineralen vor, aus denen er erst durch Verwitterung freigesetzt, d.h. pflanzenverfügbar wird.
Gelangt der Phosphor ins Meer, düngt er Algen und mit ihnen die Bakterien, die von den Algen leben. Weil so fast der ganze Sauerstoff im Wasser verbraucht wird, entstehen im Meer sogenannte „Todeszonen“, in denen kaum noch Leben ist: Nach einer Algenblüte verzehren Mikroorganismen die Überreste und verbrauchen dabei den ganzen Sauerstoff, den marine Lebewesen zum Überleben brauchen.
Das bekommen die Fischer:innen besonders zu spüren, etwa im Golf von Mexiko: Weil Flüsse wie der Mississippi im mittleren Westen der USA zu viele Nährstoffe von den Feldern in den Golf tragen, fangen die Fischer:innen dort immer weniger Garnelen. Weltweit gelangt ein Großteil der Dünger am Ende ins Meer und bedroht die Gesundheit der marinen Ökosysteme.
Paradoxerweise könnte Phosphor gleichzeitig knapp werden – denn Phosphatgestein bildet sich nur sehr langsam wieder neu, über Millionen von Jahren. Den Phosphor aus der Umwelt herauszuholen, um ihn wieder zu recyceln, ist technisch eine Herausforderung, insbesondere wenn dabei potentielle Schadstoffe wie Schwermetalle nicht mit recycelt werden sollen.
Die Kreisläufe zurück in Balance bringen
Diese Stoffkreisläufe sind komplex und erstrecken sich über verschiedene Lebensbereiche. Sie lassen sich deshalb nicht mit einer einzigen Maßnahme wieder ins Lot bringen. Stattdessen gibt es eine Reihe von Ansätzen, die besonders in der Landwirtschaft umzusetzen sind.
Grundsätzlich müssten Phosphor und Stickstoff besser verteilt werden, so dass nicht eine Gegend sehr wenige Nährstoffe hat, eine andere Gegend hingegen zu viele. Dafür ist es sinnvoll, Tierhaltung und Ackerbau besser zu verkoppeln. So könnten auch mehr Nahrungsmittel hergestellt werden. Es gibt erste Anstrengungen, den raren Phosphor aus Klärschlamm zurückzugewinnen. Ab dem Jahr 2032 wird in Deutschland das Phosphor-Recycling für große Kläranlagen vorgeschrieben sein – in der Schweiz sogar schon acht Jahre früher. Wichtig ist dabei, sicherzustellen, dass dabei nicht Schwermetalle, also Schadstoffe, mit recycelt werden.
Ein strengeres Düngemittelrecht könnte dafür sorgen, dass die Menge an Dünger insgesamt reduziert wird. Deutschland ist laxer als seine europäischen Nachbarn und wurde von der Europäischen Kommission bereits erfolgreich verklagt.
Mit einer flächengebundenen Tierhaltung würde vermieden, dass zu viel Dünger auf die Felder kommt. Das heißt: Es sollten nur so viele Tiere pro Fläche gehalten werden, dass die Menge an Gülle oder Mist, die sie produzieren, auch sinnvoll als Dünger genutzt werden kann. Das könnte auch die Ausbreitung multiresistenter Keime eindämmen.
Es gibt landwirtschaftliche Praktiken, die die Böden lebendig und aufnahmefähig halten und auf natürliche Weise mit Nährstoffen anreichern, so dass weniger Kunstdünger benötigt wird – etwa über stickstoff-fixierende Pflanzen auf den Feldern, den Leguminosen und ihren Knöllchenbakterien.
Wichtig ist zudem, keine Lebensmittel zu verschwenden, für die Düngemittel genutzt werden – und insgesamt weniger Fleisch und tierische Produkte wie Käse und Eier zu konsumieren, um die Düngermenge für Futterpflanzen insgesamt zu reduzieren.
Die Grenzwerte der EU für Nitrat-Belastung von Trinkwasser und Ammoniak in der Luft und für die Emission von Lachgas müssten eingehalten werden – hier ist die Politik gefragt. Mit neuer, moderner Technik und Infrastruktur ließen sich die Ammoniak-Emissionen aus der Landwirtschaft senken.
Etwa 10 bis 15 Prozent des Stickstoffs kommen aus den Bereichen Verkehr, Industrie, Energieproduktion sowie Abfall- und Abwasserentsorgung. Hier sind weitere Maßnahmen gefragt, wie der Ausstieg aus den Verbrennungsmotoren.
Stickstoff und Phosphor sind übrigens nicht die einzigen Stoffe, deren Kreisläufe durch menschliche Aktivitäten gestört sein könnten, so dass die planetarische Grenze für Stoffkreisläufe in Zukunft auch noch andere Stoffe mit einbeziehen könnte.
Wissenschaftliche Fachlektorat: Hans-Jörg Vogel, Doris Vetterlein, Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung (UFZ)
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