17.08.2022
Anja Krieger

Planetare Grenzen: Die Balance der Nährstoffe

Ohne Stickstoff und Phosphor könnten Lebewesen nicht existieren. Wie andere wichtige Nährstoffe bewegen sich diese chemischen Elemente in Kreisläufen zwischen Erde, Wasser, Luft und Lebewesen – in Mengen, auf die sich die Ökosysteme im Lauf der Evolution eingestellt haben. Doch mittlerweile haben wir Menschen die Kreisläufe stark aus der Balance gebracht. Dadurch sind zu viel Stickstoff und Phosphor im Umlauf, gleichzeitig wird der Phosphor knapp.

Planetare Belastungsgrenze Stoffkreisläufe nach Rockström, Stockholm Resilience Center
Planetare Belastungsgrenze Stoffkreisläufe nach Rockström, Stockholm Resilience Center
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Julia Blenn / Helmholtz-Klima-Initiative

Es geht nicht ohne Stickstoff und Phosphor. Alle Lebewesen brauchen diese Nährstoffe, um wichtige Grundbausteine für ihre Körper herzustellen, etwa Proteine und die Erbsubstanz DNS. Aber zu viel davon an einem Ort ist auch nicht gut. Die planetare Grenze für die beiden Stoffkreisläufe ist weit überschritten. Als Folge verändern sich Ökosysteme und Artenvielfalt.

Durch Industrie und Landwirtschaft gelangen mehr Stickstoff und Phosphor in die Umwelt, als diese für ein stabiles Gleichgewicht verträgt. Vor allem die großen Mengen an Dünger, die wir für Nahrung, Futtermittel und Energiepflanzen auf die Felder bringen, ist ein Problem – denn sie werden nur zum Teil von den Pflanzen genutzt, der Rest gerät in die Umwelt. Aber auch Industrieprozesse und Verbrennungsmotoren bringen die Kreisläufe durcheinander.

Stickstoff kommt zum Beispiel in verschiedenen Verbindungen wie Nitrat, Ammoniak und Lachgas vor. Bei Stickstoff-Überschuss gelangt Nitrat ins Grundwasser und in die Meere. Dort führt es zu sauerstoffarmen Todeszonen. Wie Nitrat im Trinkwasser wirkt sich auch Ammoniak in der Luft auf die menschliche Gesundheit aus. Zudem entsteht in der Landwirtschaft das Treibhausgas Lachgas, das den Klimawandel weiter verstärkt.

Mehr Stickstoff als seit Jahrmillionen

Ein Großteil unserer Luft – ganze 78 Prozent – besteht aus Stickstoff. Dennoch war er für Pflanzen lange Zeit Mangelware. Denn so, wie er in der Luft vorkommt, ist er nicht reaktiv und pflanzenverfügbar, und nur für wenige Lebewesen nutzbar. Zu den Genies im Ökosystem, die ihn aus der Luft holen können, gehören die Knöllchenbakterien, die den Stickstoff binden können. Dadurch wird er reaktiv und pflanzenverfügbar. Diese Bakterien können dies nur in der Gemeinschaft, einer Symbiose mit Pflanzen. Die Bakterien leben an den Wurzeln von Leguminosen wie Lupinen, Erbsen, Wicken, Bohnen und Klee. Die symbiotische Beziehung zwischen Bakterien und Pflanzen reichert den Boden mit wertvollem Stickstoff an. Weil das nicht viele Lebewesen können, war der Stickstoff lange ein rares Gut.

Als Menschen damit begannen, Nutztiere wie Kühe, Schafe oder Schweine zu halten, änderte sich das. Stickstoff befindet sich im Gras und Stroh, das die Tiere fressen. Ihr Urin und Mist düngt damit die Felder, auf denen sie weiden. Das ist grundsätzlich erst einmal sinnvoll. In der heutigen Massentierhaltung ist aber oft eine große Zahl von Tieren in relativ kleinen Regionen konzentriert, was dort zu einem enormen Überschuss an Gülle und Mist führt. Beides landet dann auf den Feldern der nahen Umgebung, weil ein Transport über größere Entfernungen wirtschaftlich nicht lukrativ ist. Darüber hinaus werden die Futtermittel für die Tiere oft von weit her importiert, und die enthaltenen Nährstoffe werden dann in der Nähe der Ställe angereichert. Dadurch wird auch das Gleichgewicht im globalen Maßstab verschoben.

Kunstdünger und eine grüne Revolution

Anfang des 20. Jahrhunderts gelang Wissenschaftlern dann eine Revolution: Sie ahmten den Trick der Knöllchenbakterien technisch nach. Das in Deutschland entwickelte Haber-Bosch-Verfahren konnte aus molekularem Luftstickstoff unter Einsatz von Energie Ammoniak und künstlichen Dünger herstellen. Von da an konnten auf gleicher landwirtschaftlicher Fläche größere Erträge erzielt und folglich mehr Menschen ernährt werden. Neben Nahrungsmitteln ließ sich der neue Stickstoff-Dünger auch als Sprengstoff im Krieg einsetzen.

Heute wird etwa die Hälfte der Menschheit indirekt durch künstlich hergestellten Stickstoffdünger ernährt. Die Nebenwirkung: Wir haben mehr Stickstoff aus der Atmosphäre für Pflanzen und Lebewesen verfügbar gemacht als alle natürlichen Prozesse an Land zuvor zusammen. Nicht nur Kunstdünger und Gülle, auch Biogasanlagen tragen dazu bei, dass zu viele Gärreste auf den Feldern landen. Industrie und Fahrzeuge mit Verbrennermotoren sowie die Schifffahrt stoßen zudem Stickoxide aus. Stickstoff ist nun nicht mehr Mangelware, sondern im Überfluss vorhanden.

Risiken für Artenvielfalt, menschliche Gesundheit und Klima

Die Folgen sind gravierend, für Umwelt wie Gesundheit: Ein Teil des Ammoniaks, der bei der Ausbringung stickstoffhaltiger Dünger – vor allem aus Gülle und Mist – als Gas freigesetzt werden kann, reagiert dort mit anderen Luftschadstoffen und bildet gesundheitsbelastenden Feinstaub. Fällt dieser Stickstoff-Staub mit dem Regen herunter, überdüngt und verschmutzt er Gewässer, Küsten und Meere – die Fachleute sprechen von „Eutrophierung“. Pflanzen, die an eine magere Versorgung mit Stickstoff angepasst sind, verlieren ihren Konkurrenzvorteil gegenüber stickstoffliebenenden Arten – diese nehmen dann überhand.

Wie kommen wir zurück in den sicheren Bereich?

Um die Kreisläufe wieder in Balance zu bringen, können wir zum Beispiel:

  • Weniger Nutztiere auf einer Fläche halten
  • Das Düngemittelrecht verschärfen
  • Nitrat-/Ammoniak-Grenzwerte einhalten
  • Böden natürlich mit Stickstoff anreichern
  • Weniger Lebensmittel verschwenden
  • Weniger tierische Produkte verzehren
  • Landwirtschafts-Technologie verbessern
  • Verbrenner aus dem Verkehr nehmen
  • Emissionen aus Industrie, Energie-, Abfall- und Abwasser-Sektor reduzieren

Mehr Details zu diesen Ansätzen im Artikel.

Die vielen Gesichter von Stickstoff und Phosphor

Über 78 Prozent unserer Luft besteht aus Stickstoff. Dort kommt er in seiner molekularen Form als N2 vor und besitzt so feste chemische Bindungen, dass er für die meisten Lebewesen nicht verfügbar ist.

Stickstoffverbindungen sind: Ammoniak (NH3), Ammoniumstickstoff (NH4+), Stickstoffdioxid (NO2), Lachgas (N2O), und Nitrat (NO3-).

Phosphor kommt in Böden vor allem als Bestandteil von Mineralen vor, aus denen er erst durch Verwitterung freigesetzt, d.h. pflanzenverfügbar wird.

Gelangt der Phosphor ins Meer, düngt er Algen und mit ihnen die Bakterien, die von den Algen leben. Weil so fast der ganze Sauerstoff im Wasser verbraucht wird, entstehen im Meer sogenannte „Todeszonen“, in denen kaum noch Leben ist: Nach einer Algenblüte verzehren Mikroorganismen die Überreste und verbrauchen dabei den ganzen Sauerstoff, den marine Lebewesen zum Überleben brauchen. 

Das bekommen die Fischer:innen besonders zu spüren, etwa im Golf von Mexiko: Weil Flüsse wie der Mississippi im mittleren Westen der USA zu viele Nährstoffe von den Feldern in den Golf tragen, fangen die Fischer:innen dort immer weniger Garnelen. Weltweit gelangt ein Großteil der Dünger am Ende ins Meer und bedroht die Gesundheit der marinen Ökosysteme.

Paradoxerweise könnte Phosphor gleichzeitig knapp werden – denn Phosphatgestein bildet sich nur sehr langsam wieder neu, über Millionen von Jahren. Den Phosphor aus der Umwelt herauszuholen, um ihn wieder zu recyceln, ist technisch eine Herausforderung, insbesondere wenn dabei potentielle Schadstoffe wie Schwermetalle nicht mit recycelt werden sollen.

Die Kreisläufe zurück in Balance bringen

Diese Stoffkreisläufe sind komplex  und erstrecken sich über verschiedene Lebensbereiche. Sie lassen sich deshalb nicht mit einer einzigen Maßnahme wieder ins Lot bringen. Stattdessen gibt es eine Reihe von Ansätzen, die besonders in der Landwirtschaft umzusetzen sind.

Grundsätzlich müssten Phosphor und Stickstoff besser verteilt werden, so dass nicht eine Gegend sehr wenige Nährstoffe hat, eine andere Gegend hingegen zu viele. Dafür ist es sinnvoll, Tierhaltung und Ackerbau besser zu verkoppeln. So könnten auch mehr Nahrungsmittel hergestellt werden. Es gibt erste Anstrengungen, den raren Phosphor aus Klärschlamm zurückzugewinnen. Ab dem Jahr 2032 wird in Deutschland das Phosphor-Recycling für große Kläranlagen vorgeschrieben sein – in der Schweiz sogar schon acht Jahre früher. Wichtig ist dabei, sicherzustellen, dass dabei nicht Schwermetalle, also Schadstoffe, mit recycelt werden.

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