Wieso Chemikalien und Plastik ein Zukunftsrisiko sind
Die Menschheit hat eine Vielzahl von neuen Stoffen in die Umwelt gebracht, die es vorher so nicht gab. Da diese Fremdstoffe in der Evolution bisher nicht oder nur selten vorkamen, kommen Lebewesen nicht gut mit ihnen klar. Diese Xenobiotika können giftig, schwer abbaubar oder sehr mobil sein und Auswirkungen auf die Gesundheit und das Erdsystem haben.
Insgesamt gibt es geschätzt 350.000 Chemikalien auf dem globalen Markt, von Lösungsmitteln über Pestizide bis zu Medikamenten. Auch Plastik, also Kunststoffe aus synthetischen Polymeren, werden chemisch hergestellt und enthalten Zusatzstoffe wie Weichmacher, Farbstoffe oder Flammschutzmittel. Einige dieser Stoffe, die die Menschheit neu in die Umwelt bringt, können sich auf die Gesundheit von Mensch und Lebewesen auswirken – etwa weil sie krebserregend sein können oder das Potenzial haben, den Hormonhaushalt zu verändern.
Chemikalien und Plastik werden im Konzept der planetaren Grenzen zu den fremdartigen Stoffen für die Natur und das Erdsystem gezählt, an die sich Lebewesen in der Evolution nicht anpassen konnten. Diese neuen Faktoren oder Größen („novel entities“) sind eine Sammelkategorie, zu der auch radioaktive Abfälle, Schwermetalle und seltene Erden gehören, die erst durch den Menschen in der Umwelt weit verbreitet werden.
Für Johan Rockström, der das Konzept der planetaren Grenzen entwickelt hat, gehören die neuen Stoffe zu den drei entscheidendsten Faktoren für unsere Zukunft, zusammen mit dem Verlust der Biodiversität und dem Klimawandel.* 2022 stellten Forscher:innen fest, dass die planetare Belastungsgrenze für neue Substanzen im Bereich Chemikalien und Plastik bereits überschritten ist – wir Menschen uns hier also außerhalb eines sicheren Rahmens bewegen.
Vielfalt und Menge macht Chemikalien unkontrollierbar
Seit 1950 hat die weltweite Produktion von Chemikalien um das 50-fache zugenommen. Zwischen den Jahren 2000-2015 stieg auch die Plastikproduktion um fast 80 Prozent. Es wird erwartet, dass der Markt für Chemikalien und Kunststoffe in den kommenden Jahren weiter stark wächst. Dabei wiegt der gesamte Kunststoff auf der Erde schon jetzt mehr als alle Tiere an Land und im Meer zusammen.
Große Mengen an Plastik und Chemikalien gelangen – in der Regel unbeabsichtigt oder durch schlechtes Management – in die Natur. Geschätzte 79 Prozent des Plastiks, das seit 1950 produziert wurde, befinden sich entweder auf Mülldeponien oder in Meeren, Flüssen, Seen, dem Boden und in der Luft.
Wie kommen wir zurück in den sicheren Bereich?
Um diese planetare Grenze einzuhalten, muss der Eintrag an neuen Substanzen in die Umwelt massiv reduziert werden, etwa indem die Abfallmengen verringert und die Kreislaufwirtschaft ausgebaut und sicher gestaltet wird. Bei ganz problematischen Stoffen braucht es möglicherweise einen Aus- und Umstieg zu Alternativen oder Produktionsgrenzen.
Dass so viele neue Stoffe produziert werden und in die Umwelt gelangen, macht es praktisch unmöglich, die Risiken für Mensch, Ökosysteme und das gesamte Erdsystem noch zu verstehen oder gar zu kontrollieren – so die Argumentation der Forschenden, die die planetare Grenze kürzlich für überschritten erklärten.
Chemische Cocktails und belastetes Regenwasser
Spielzeug, Verpackungen, Kleidungsstücke und andere Produkte enthalten meist eine Mischung verschiedener chemischer Stoffe. So wird Plastik mit etwa 10.000 Chemikalien vermischt, um die Haltbarkeit gegenüber Sonnenlicht aber auch eine Vielzahl weiterer Eigenschaften zu steuern. So entsteht eine große Vielfalt an chemischen „Cocktails“, deren Auswirkungen auf die Gesundheit kaum erforscht (und in dieser Vielzahl möglicher Kombinationen auch kaum erforschbar) sind. Die Produzent:innen und Hersteller:innen legen ihre „Rezepturen“ als Betriebsgeheimnis kaum offen, häufig kennen auch sie die chemische Zusammensetzung nicht vollständig. Denn einige Substanzen – die sogenannten NIAS (non-intentionally added substances) – werden gar nicht absichtlich hinzugefügt, sind aber für die Beurteilung der Umwelt-Auswirkungen von Bedeutung.
Ein Gruppe von langlebigen Substanzen, die sogenannten per- und polyfluorierten Alkylverbindungen (PFAS, PFOS oder PFC), stellten Wissenschaftler:innen in Regenwasser weltweit fest – selbst in entlegenen Gegenden wie in der Antarktis und dem tibetischen Hochland. Sie maßen Konzentrationen dieser sogenannten „ewigen Chemikalien“, die 14 Mal höher waren als von der US-amerikanischen Umweltbehörde EPA empfohlen. Die Behörde hatte den Grenzwert gesenkt, da die Chemikalien auch die Reaktion von Kindern auf Impfstoffe beeinflussen könnten. Solche Substanzen können sich zudem im Körper anreichern und haben laut weiteren Studien möglicherweise Einfluss auf die Entwicklung von Kindern, auf Fruchtbarkeit, Fettleibigkeit, Krebsrisiko und Cholesterinwerte. Durch die Überschreitung der Grenzwerte ist das Regenwasser nicht als Trinkwasser geeignet, die planetare Grenze auch hier überschritten.
Wie sich Plastik aufs Klima auswirkt
Auch für das Klima hat die hohe Produktion von Chemikalien und Plastik beträchtliche Konsequenzen. Allein die Herstellung und Entsorgung von Plastik verursacht zur Zeit etwa 4,5 Prozent der gesamten weltweiten Treibhausgasemissionen. Sie könnte 10 bis 13 Prozent des CO2-Budgets verbrauchen, das bis 2050 bleibt, um die Pariser Klimaziele zu erreichen. Die Verschmutzung mit Mikroplastik und Chemikalien könnte sich möglicherweise auch nachteilig auf weitere für das Klima wichtige Prozesse auswirken. So gibt es den Verdacht, dass dunkles Mikroplastik die Menge an Sonnenlicht verändern könnte, die von Eis- und Schneeflächen zurück ins All reflektiert wird. Partikel im Wasser könnten zur Eintrübung führen, so dass Algen weniger CO2 aus der Luft entfernen und den Klimawandel abbremsen können.
Wissenschaftliches Fachlektorat: Ralf Ebinghaus, Helmholtz-Zentrum Hereon, Melanie Bergmann, Alfred-Wegener-Institut Helmholtz-Zentrum für Polar- und Meeresforschung.
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*Interview mit Johan Rockström bei Living on Earth (2016).