Hilft ein Plastikabkommen auch dem Klima?
Die fünfte Umweltversammlung der Vereinten Nationen in Kenia hat den Weg zu einer internationalen Lösung des Plastikproblems geebnet. Die Unterstützung für ein globales Abkommen ist groß. Unklar bleibt, wie umfassend und verbindlich die geplante Vereinbarung sein wird. Bis 2024 soll das Plastikabkommen ausgearbeitet werden.
Bei den UNEA 5.2.-Verhandlungen in Nairobi vom 28. Februar bis 2. März 2022 lagen zwei Vorschläge auf dem Tisch: Eine von Japan eingereichte Resolution nahm primär den Plastikmüll im Meer in den Blick, nannte aber keine rechtsverbindlichen Maßnahmen, um ihn einzudämmen. 60 Staaten – darunter Deutschland und die gesamte EU – sprachen sich bereits vor dem Treffen in Nairobi für die zweite, von Ruanda und Peru eingereichte Resolution aus. Dieser Vorschlag sieht vor, die negativen Folgen von Plastikprodukten und darin enthaltenen Chemikalien nicht nur für die Meere, sondern alle Bereiche der Umwelt und entlang des gesamten Lebenszyklus von Plastik – von der Produktion über den Konsum bis zur Entsorgung – zu betrachten und verbindlich zu regulieren.
Klimafolgen durch Plastikproduktion und Entsorgung
Mit der Ruanda-Peru-Resolution könnte auch die Produktion von Neuplastik reduziert werden. Derzeit steigt die Menge an neu produziertem Plastik noch an – 99 Prozent davon werden mit fossilen Ressourcen hergestellt. Auch bei Recycling und Verbrennung kommt es zu CO2-Emissionen. Laut einem Bericht der Nichtregierungsorganisation Center for International Environmental Law könnte Plastik im Jahr 2050 dreimal so viele Treibhausgasemissionen produzieren wie heute, was zehn bis 13 Prozent des verbleibenden CO2-Budgets für das 1,5-Grad-Ziel entspräche.
Frankfurter Allgemeine Zeitung (FAZ)
„Nur ein Abkommen, das eine Minderung des Plastikkonsums vorsieht, kann die Klimawirkung von Plastik reduzieren,“ sagt Melanie Bergmann, Meeresbiologin und Plastikforscherin am Alfred-Wegener-Institut Helmholtz-Zentrum für Polar- und Meeresforschung (AWI). „Das findet sich nur im Vorschlag von Ruanda und Peru.“
Auch EU-Umweltkommissar Virginijus Sinkevicius hält es für zentral, die Produktion von fossilem Neuplastik zu verringern. "Wenn wir unsere Dekarbonisierungs-Ziele bis 2050 erreichen wollen, müssen wir die Nutzung fossiler Ressourcen stetig reduzieren, und ein Bereich ist da auch Plastik“, erklärte Sinkevicius gegenüber der Nachrichtenagentur Reuters.
Gespräche hinter verschlossenen Türen
Rund eine Woche vor Beginn der Verhandlungen im Februar 2022 enthüllte eine investigative Recherche, wie die US-amerikanische Chemieindustrie versuchte, die Position der US-Regierung zu beeinflussen. Dem Bericht zufolge wollte das American Chemistry Council (ACC) – eine einflussreiche Lobbygruppe der Öl- und Chemieindustrie – verhindern, dass die Produktion von Plastik eingeschränkt wird. Das Argument: Plastik habe viele Vorteile, auch für das Klima. Die Vereinigten Staaten sprachen sich gemeinsam mit Frankreich für ein Abkommen aus, wie das Weiße Haus meldete.
Monica Medina, die die Verhandlungen in Nairobi für die USA leitete, sagte Reuters, man wolle so innovativ wie möglich herangehen und keinen „präskriptiven Top-Down-Ansatz“ verfolgen. Klare Aussagen zur Einschränkung der Plastikproduktion oder den Zielen der US-Regierung machte Medina nicht.
Verbesserung von Müll-Entsorgung und Recycling nicht genug
Auch in Brüssel gab es Reuters zufolge vorab Treffen des ACC und des europäischen Verbands PlasticsEurope mit Regierungsvertreter:innen hinter verschlossenen Türen. Industrie-Zusammenschlüsse wie die „Alliance to End Plastic Waste“ plädieren dafür, das Problem durch verbesserte Abfall-Entsorgungssysteme, Recycling und Innovation anzugehen.
Dass das nicht ausreichen dürfte, zeigen zwei wissenschaftliche Studien von 2020 im Fachjournal Science, die erstmals Zukunfts-Szenarien berechneten. Dass die globale Belastungsgrenze für Chemikalien und Plastik bereits erreicht ist, belegt eine neue Studie in Environmental Science and Technologie. Und erst kürzlich hatte ein internationales Team von Expert:innen im Politikteil des Science Magazine ein bindendes globales Abkommen gefordert, das den gesamten Lebenszyklus des Materials und die Auswirkungen von Zusatzstoffen wie Weichmachern berücksichtigt und die Produktion von Neuplastik auf ein Minimum reduziert.
„Die Wissenschaft hat gezeigt, dass wir mit Plastik und Chemikalien bereits jetzt außerhalb sicherer planetarer Grenzen agieren,“ erklärte Melanie Bergmann. Auch in ihrer eigenen Arbeit begegnet der Wissenschaftlerin, die eigentlich Tiere am Boden der Tiefsee erforscht, immer wieder Plastik. „Sogar in der abgelegenen Arktis finden wir steigende Mengen von Plastikmüll am Meeresboden und tausende von Mikroplastik-Partikeln im Schnee, Meereis und Sediment der Tiefsee.“
Plastik: Hier forscht Helmholtz
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„Selbst mit ambitionierten Maßnahmen wie Plastik-Minderung, verbesserter Abfallentsorgung und Kreislaufwirtschaft werden weiter nennenswerte Mengen von Plastik in die Umwelt gelangen,“ befürchtet Melanie Bergmann. „Deshalb sollten wir von Anfang an ein starkes Abkommen ohne Schlupflöcher schaffen und schnell in die Tat umsetzen.“
Noch gibt es keinen internationalen Zusammenschluss von Wissenschaftlerinnen, der wie der Weltklimarat (IPCC) oder der Weltbiodiversitätsrat (IPBES) das Wissen über die Risiken von Plastik und Chemikalien zusammenträgt. Auf der Konferenz in Nairobi wurde beschlossen, einen solchen Weltmüll- bzw. Weltchemikalienrat, kurz IPCP, einzurichten.
Dieser Artikel erschien als Vorbericht am 22.02.2022. Er wurde am 20.04.2022 mit den Ergebnissen der Verhandlungen aktualisiert. Weitere Stellungnahmen von Helmholtz-Wissenschaftler:innen zum Thema finden Sie hier: "UN starten Verhandlungen für globales Plastikabkommen".