Warum fangen wir das CO2 nicht einfach wieder ein?
Die Weltgemeinschaft hat sich mit dem Paris-Abkommen darauf geeinigt, die globale Erwärmung auf maximal 2°C, möglichst auf 1,5°C, zu begrenzen. Um diese Temperatur nicht zu überschreiten, dürfen wir nur noch eine ganz kleine Restmenge CO2 weltweit ausstoßen. Da wir aber so lange mit Klimaschutzmaßnahmen gewartet haben, wird das ziemlich schwierig. Deshalb gehen viele Wissenschaftler:innen davon aus, dass wir auf Dauer auch sogenannte negative Emissionen brauchen werden. Worum es dabei geht, erklären wir im Video.
Die Menschheit emittiert große Mengen CO2 und andere Treibhausgase in die Atmosphäre. Obwohl schon lange klar ist, dass dies die Ursache für den derzeitigen Klimawandel ist, konnte der Ausstoß bisher nicht ansatzweise so stark reduziert werden wie eigentlich nötig. Selbst wenn die Menschheit den Treibhausgasausstoß nun sehr schnell und konsequent reduziert, ist heute schon klar, dass CO2 auch wieder aktiv aus der Atmosphäre entfernt werden muss, um die Pariser Klimaziele noch zu halten. Aber was hat es damit auf sich, und wie steht es um die Risiken, die mit solchen sogenannten Negativemissions-Technologien (NET) verbunden sind?
Nadine Mengis vom GEOMAR Helmholtz-Zentrum für Ozeanforschung Kiel hat mit Kolleg:innen ein Szenario entworfen, das so viel CO2 wie möglich reduziert. Doch selbst mit ganz ambitionierten Schritten sei es praktisch unmöglich gewesen, mehr als 90 Prozent davon zu reduzieren. "Das war schon eine Herkulesaufgabe", sagt Mengis. "Wir haben gar keine richtige Zeit mehr, uns entlang von Pfaden und Wegen zu bewegen, die nicht sofort zu einer Reduktion führen," erklärt Daniela Jacob, Leiterin des Climate Service Center Germany (GERICS) am Helmholtz-Zentrum Hereon.
Zukunftsszenarien rechnen mit Entnahme von CO2
Bereits im Zeitraum 2030 bis 2050 könnte die 1,5-Grad-Marke überschritten werden. Die meisten vom Weltklimarat berechneten Zukunftsszenarien rechnen dabei die aktive Entnahme von CO2 aus der Atmosphäre schon ein. Nach Mengis‘ Berechnungen müsste von den 750 Megatonnen, die Deutschland pro Jahr ausstößt, mindestens eine Restmenge von 50 bis 70 Megatonnen CO2 wieder entnommen werden.
Zum einen sind da die naturbasierten Negativemissions-Technologien, wenn Moore, Seegraswiesen, Mangrovenwälder und Wälder an Land aufgeforstet, restauriert und ausgebaut werden. Diese Ökosysteme speichern CO2 in Form von Holz, Torf, im Boden und Sediment. "Bei den naturbasierten Lösungen wissen wir, wie es funktioniert," sagt Torsten Sachs, Wissenschaftler am Helmholtz-Zentrum Potsdam, Deutsches GeoForschungsZentrum GFZ. "Da ist nicht mehr große Entwicklungsarbeit nötig." Auch das Meer nimmt eine ungeheure Menge Kohlendioxid auf. Dieser Prozess ließe sich ankurbeln, indem Nährstoffe für Algen hineingegeben oder der pH-Wert des Meerwassers erhöht würde. Doch das könnte auch schwer kalkulierbare negative Auswirkungen auf die komplexen marinen Ökosysteme haben.
An Land gibt es noch eine weitere Idee: Kalkstein reagiert ganz natürlich mit CO2 aus der Luft und bindet es an sich. Dieser Prozess kann künstlich beschleunigt werden, indem das Gestein zermahlen wird. Auch aus der Luft lässt sich das CO2 filtern, oder über den Umweg von Energiepflanzen, die dann in Kraftwerken und Biogasanlagen eingesetzt werden. Das CO2 ließe sich hinterher abfangen und speichern. Für Roland Dittmeyer vom Karlsruher Institut für Technologie (KIT) hat diese Methode des „Carbon Capture“ den Vorteil, dass sie recht einfach und auch skalierbar, also für große Mengen einsetzbar ist.
Doch wieviel Platz, Energie und Geld braucht man für diese Methoden? Und wie sicher sind sie auf lange Sicht?
Naturbasierte und technische Ansätze für Negativemissionen
Für Eva Schill vom Karlsruher Institut für Technologie (KIT) sind die natürlichen Speicher eine heikle Option. Sie gibt zu bedenken, dass sich in den letzten Jahrhunderten die Landschaft genauso massiv veränderte wie die Gesellschaft. "Wenn ich heute aufforsten oder sonst irgendwo in der Biosphäre das CO2 speichere, was macht die nächste Generation und die übernächste Generation?", fragt sie. Für Schill ist deshalb die Karbonisierung die Methode der Wahl. Dabei wird das Kohlendioxid gemeinsam mit Kalzium oder Magnesium wieder in Gestein umgewandelt.
Auch gasförmiges CO2 kann unterirdisch gespeichert werden, etwa in alten Gaslagerstätten. Ein besonderer Vorteil: "Je länger dieses CO2 eingelagert ist, desto stabiler ist das im Untergrund“, erklärt Nadine Mengis. Trotzdem kann natürlich nie ganz ausgeschlossen werden, dass im Laufe der Zeit auch etwas CO2 wieder frei wird. "Das ist nicht risikolos und darüber muss man sich ganz klar werden," sagt Andreas Oschlies, Wissenschaftler am GEOMAR Helmholtz-Zentrum für Ozeanforschung Kiel. "Aber es ist eine Technik, die beherrschbar ist, die beherrscht wird."
Es gibt auch Überlegungen, den Kohlenstoff aus dem CO2 zu nutzen, beispielsweise in Kunststoffen, in Baustoffen oder als Grundstoff für Chemie und Medikamente. Das sei noch ein ganz neuer Themenbereich, der erst in jüngster Zeit erforscht wird, sagt Daniela Jacob vom GERICS. Die Frage dabei ist, wie man CO2 so verändern und in die Nutzung bringen kann, dass es in einem echten und dauerhaften Kreislauf geführt wird.
Keine Ausrede für verschleppten Klimaschutz
"Je mehr wir vermeiden, desto weniger müssen wir mit negativen Emissionen-Technologien operieren," sagt Erik Gawel, Ökonom am Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung – UFZ. Die Kosten wären eine Ewigkeitslast für zukünftige Generationen, sagt Gawel. Für den Forscher stellt sich außerdem eine ökologische Frage: "Welche Umweltbeeinträchtigungen handeln wir uns durch den Einsatz dieser Negativemissionstechnologien ein?"
Allen Wissenschaftler:innen, mit denen wir für diesen Film gesprochen haben, war eine Sache ganz wichtig: Negativemissionen, ob naturbasiert oder technologisch, sind keine Alternative zur CO2-Einsparung. Nur weil das in begrenztem Maßstab geht, können diese Möglichkeiten kein Vorwand sein, weiter tonnenweise Treibhausgase in die Luft zu geben. "Die kommen nicht ins Spiel, damit wir jetzt noch zwei Mal nach Thailand fliegen können," sagt Bettina Steuri vom Climate Service Center Germany (GERICS) am Helmholtz-Zentrum Hereon. "Wir wollen uns keine Zeit kaufen".
Wie also lässt sich ausschließen, dass die Negativemissionstechnologien missbraucht werden, um klimaschädliches Verhalten „grünzuwaschen“?
Es gibt viel zu klären, und es braucht eine breitere und transparentere Diskussion über die Chancen und Risiken. Welche der Ansätze lassen sich nutzen, bei vertretbaren Nebenwirkungen? Wer entscheidet, was vertretbar heißt? Wie damit umgegangen werden sollte, ist nicht leicht zu entscheiden. Es wird nicht nur um Möglichkeiten und Techniken gehen, sondern auch um Risiken und Chancen, Geld und Gerechtigkeit.