EU will CO2-Entnahme regeln
Um den Klimawandel aufzuhalten, kann Kohlendioxid nicht in allen Fällen durch erneuerbare Energien vermieden werden. Für diese letzten Schritte zur Klimaneutralität fehlte bisher eine Strategie. Die EU-Kommission will das nun ändern – mit technischen Lösungen und einem Umbau der Landwirtschaft.
Wer sich mit dem Klima beschäftigt, dem begegnet Kohlenstoff vor allem in Form von schädlichem Kohlendioxid. Doch das Element steckt in allen organischen Verbindungen, in Pflanzen, Böden und Meeren bis zu unzähligen Alltagsgegenständen aus Plastik und anderen Materialien. Auch bei wichtigen Wirtschaftstätigkeiten entsteht unweigerlich Kohlendioxid. In der Zementproduktion zum Beispiel fällt CO2 an, das sich nicht durch erneuerbare Energien vermeiden lässt und aus den Abgasen abgeschieden werden muss.
Mit einer umfassenden Strategie möchte die EU-Kommission Kohlenstoff nun zum Teil einer nachhaltigen Kreislaufwirtschaft machen und ihn aus der Atmosphäre fernhalten. Zudem sind Kohlenstoffverbindungen auch wichtige Rohstoffe. Deshalb hat die Kommission eine Mitteilung zu nachhaltigen Kohlenstoffkreisläufen verfasst. Wichtige Ziele darin sind:
Mitteilung der EU-Kommission
Position von Umweltverbänden
- Ab 2030 sollen jährlich 5 Millionen Tonnen Kohlendioxid der Atmosphäre entnommen und dauerhaft gespeichert werden. Insgesamt wurden 2019 in der EU noch 3.500 Millionen Tonnen CO2-Äquivalente ausgestoßen.
- Plastik- und Chemieprodukte sollen ab 2030 zu mindestens einem Fünftel aus Kohlenstoff bestehen, der nicht mehr aus Erdöl und anderen fossilen Rohstoffen, sondern aus nachhaltigen Quellen stammt.
- Mit einer Studie will die Kommission den Bedarf an einem eigenen Netzwerk von CO2-Leitungen untersuchen, die das Gas zu Speicherstätten oder zur Weiterverarbeitung transportieren.
- Die Agrarpolitik soll Land- und Forstwirte dabei unterstützen, mehr Kohlenstoff in Böden, Mooren, Wäldern und Holzprodukten zu binden (Carbon Farming) und ihre Erzeugnisse stärker als Rohstoffe für die Industrie und Bauwirtschaft zu nutzen.
- Ökosysteme und natürliche Kohlenstoffspeicher der Meere wie Seegraswiesen und Algen sollen besser geschützt oder sogar gezielt bewirtschaftet werden.
Global braucht es netto-negative Emissionen
Langfristig müsste sogar noch mehr Kohlenstoff aus der Luft entfernt werden, um negative Emissionen zu erzeugen, sagt Chemieingenieur Prof. Dr. Roland Dittmeyer vom Karlsruher Institut für Technologie (KIT): „Fünf Millionen Tonnen CO2-Entnahme aus der Atmosphäre ab 2030 sind gemessen an den dann noch verbleibenden Emissionen in der EU nicht viel mehr als die Erinnerung daran, dass ein Markthochlauf der Negativ-Emmissions-Technologien wie Direct Air Capture (DAC) benötigt wird, um bis 2050 global sogar negative Emissionen im Gigatonnenmaßstab zu erreichen.“
Durch die richtige Technologiewahl könnte die nötige Infrastruktur effizient ausgelegt werden, argumentiert Dittmeyer: „Ein Pipelinenetz für Kohlendioxid könnte außer durch unvermeidbare Punktquellen wie große Zementwerke auch von verteilten DAC-Anlagen, etwa in Lüftungsanlagen großer Gebäude oder industriellen Luftkühlern, gespeist werden. Dies würde als systemischer Ansatz Nutzungs- oder Einspeicherungsmöglichkeiten für CO2 jenseits einer lokalen Kreislaufnutzung befördern.“
Zertifizierung für Kohlenstoff-Entnahme
Zu ihrem Gesamtpaket für Kohlenstoffkreisläufe kündigt die EU-Kommission für die nächsten Jahre mehrere Initiativen und Gesetze an. Als wichtigsten Baustein will sie bis Ende 2022 Regeln für die Zertifizierung der Kohlenstoff-Entnahme vorlegen. Damit soll sich nachvollziehen lassen, ob Kohlenstoff tatsächlich aus der Atmosphäre entfernt wird. Umweltverbände hatten kurz zuvor bereits erhebliche Zweifel an den EU-Plänen zum Carbon Farming geäußert.
Schwierig sei es schon, verlässliche Messergebnisse zum Humusgehalt von Böden zu bekommen, schrieben der World Wildlife Fund for Nature (WWF) und seine Mitunterzeichner. Der nährstoffreiche Humus aus abgebauter Biomasse ist der eigentliche Kohlenstoffspeicher in Böden. Die EU-Kommission kündigt deshalb unter anderem die Entwicklung eines digitalen Kohlenstoff-Navigators an, der Landwirten verlässliche Daten zu ihren Schollen liefern soll.
Humus lässt sich nicht beliebig aufbauen
Die Kritik der Umweltorganisationen ist allerdings grundsätzlicher. Aufgebauter Humus könne durch klimatische Veränderungen oder durch eine veränderte Bodenbearbeitung und Düngung auch leicht wieder abgebaut werden, die Speicherung sei also nicht garantiert. Prof. Dr. Hans-Jörg Vogel, Bodensystemforscher am UFZ, bestätigt das: „Humusgehalte in Böden lassen sich nicht beliebig erhöhen, was insbesondere für den langfristig stabilen Humus gilt, der darüber hinaus auch nicht so einfach zu messen ist. Aber auf diesen Humus käme es beim Klimaschutz an“. Darüber hinaus fürchten die Umweltorganisationen, dass neue Zertifikate zur Kohlenstoffentnahme die Bemühungen zum Klimaschutz schwächen. Denn Unternehmen könnten preiswerte Zertifikate kaufen, anstatt den eigenen CO2-Ausstoß zu mindern.
Die Kommission beteuert dagegen, dass Emissionen in erster Linie durch geringeren Energieverbrauch, einen weitgehenden Verzicht auf fossile Energien und eine Kreislaufwirtschaft reduziert werden müssen. Die Regeln zur Kohlenstoffentnahme sollen außerdem mit Vorgaben für die Nachhaltigkeitsberichterstattung von Unternehmen abgestimmt werden.