Wie kann Klimaschutz gerecht gestaltet werden?
Der Klimawandel betrifft uns alle – doch nicht alle Menschen sind gleichermaßen von den negativen Auswirkungen betroffen. Besonders stark leiden diejenigen, die ohnehin schon benachteiligt sind. Mit welchen Mitteln will die aktuelle Klimapolitik gegen diese Ungerechtigkeit vorgehen – und was müsste außerdem noch getan werden?
Alle Ventilatoren ausverkauft, Wartezeiten von mehreren Monaten für eine Klimaanlage – wer konnte, hat seine Wohnung im Hitzesommer 2018 neu ausgerüstet. Andere konnten sich das nicht leisten. Allein in Berlin starben in dieser Zeit etwa 490 Menschen aufgrund der Hitzeeinwirkung, hat das Robert Koch-Institut analysiert. Besonders betroffen waren ältere Menschen mit geringem Einkommen.
Der Klimawandel verstärkt Ungerechtigkeit gegenüber ohnehin schon benachteiligten Gruppen. Dazu gehören Frauen, BIPOC, gesundheitlich beeinträchtigte oder behinderte, ältere und ärmere Menschen. „Die Klimakrise ist daher auch eine Krise der sozialen Gerechtigkeit“, sagt Heidi Wittmer, stellvertretende Leiterin des Departments Umweltpolitik am Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung: „Besonders betroffen sind die Menschen, die jetzt schon am Existenzminimum leben, weil sie keine Möglichkeiten haben, auf erschwerte Bedingungen zu reagieren“.
Generationengerechtigkeit
Im Kontext des Klimawandels spielt neben der nationalen und internationalen Gerechtigkeit auch die Gerechtigkeit zwischen Generationen eine große Rolle. Damit gemeint ist, dass bei heutigem Handeln auch die Folgen für kommende Generationen mitbedacht werden. Mehr dazu beim Umweltministerium.
„Der Klimawandel müsste nicht ungerecht sein – aber wir haben das Pech, dass er unsere bestehenden ungerechten Strukturen verstärkt“, erklärt Dominic Roser, Philosoph und Ökonom am Interdisziplinären Institut für Ethik und Menschenrechte der Universität Freiburg. Besonders stark zeige sich diese Verstärkung in der enormen Nord-Süd-Ungerechtigkeit.
Gemeinsame, aber unterschiedliche Verantwortlichkeiten
Ärmere Länder im globalen Süden, die die Folgen des Klimawandels bereits jetzt intensiv spüren, haben historisch am wenigsten zu diesem Problem beigetragen und sind auch im heutigen Vergleich der nationalen Pro-Kopf-Emissionen nicht die entscheidenden Verursacher. Die aktuelle Klimapolitik konzentriert sich daher stark auf die Frage, wie heutige Emissionen gerecht verteilt werden sollen. Bereits 1992 wurde in der Klimarahmenkonvention der Vereinten Nationen festgehalten, dass alle Mitgliedsstaaten „auf der Grundlage der Gerechtigkeit und entsprechend ihren gemeinsamen, aber unterschiedlichen Verantwortlichkeiten und ihren jeweiligen Fähigkeiten das Klimasystem zum Wohl heutiger und künftiger Generationen schützen“ sollen. Das bedeutet konkret, dass zwar jede Nation Anstrengungen zur Reduktion der Emissionen unternehmen muss, die jeweiligen Zielvorgaben aber an den Entwicklungsstand des Landes angepasst werden. Auch Kompensationszahlungen der Industriestaaten an ärmere Länder sind ein Mittel, mit dem Gerechtigkeit hergestellt werden soll.
Gesellschaftliche Spaltung verhindern
Frank Adloff, Professor für Soziologie an der Universität Hamburg, sagt: „Der Klimawandel verstärkt Ungerechtigkeit zwischen Gesellschaften, aber auch innerhalb der Gesellschaft“. Klimaschutz dürfe nicht auf Kosten von ohnehin schon benachteiligten Gruppen gehen – zumal bei vermögenderen Gruppen auch meist ein höheres Einsparpotential besteht. Sonst können die Maßnahmen eine gefährliche gesellschaftliche Spaltung fördern, obwohl ein guter sozialer Zusammenhalt Voraussetzung für eine erfolgreiche Veränderung unserer jetzigen Lebensweise ist. Ein Lösungsansatz ist Progression – wer bessergestellt ist, muss auch mehr für den Klimaschutz geben. Was im internationalen Verträgen schon verankert ist, könnte im nationalen Kontext etwa durch unterschiedliche Besteuerung erreicht werden.
Die bisherigen Maßnahmen sind jedoch aus einer moralischen Perspektive lange nicht ausreichend. Roser erklärt, dass es hierfür mehrere Gründe gibt: Zum einen steht in internationalen Verhandlungen das eigene Interesse einzelner Akteur:innen und Staaten weiterhin im Vordergrund. Zum anderen sind Emissionen kein isoliertes Gut, das verteilt werden muss. Roser fordert daher, dass mehr über die gerechte Verteilung von aus Emissionen resultierenden Vorteilen diskutiert werden sollte, sodass der Schutz vor Armut und existenziellen Risiken ebenso gewährleistet wäre wie die wirtschaftliche Entwicklung. „Wir müssten die internationalen Verhandlungsprozesse verändern, um weniger über Einzelinteressen und stärker über den Klimawandel als Problem für die gesamte Menschheit zu sprechen.“
Auch auf nationaler Ebene muss sich die Politik verändern, damit Klimaschutz nicht an der Gesellschaft vorbei entwickelt wird. Als einen Ansatz, um Bürger:innen in die politische Gestaltung einzubeziehen, nennt Adloff Bürgerräte. Im „Bürgerrat Klima“ haben im vergangenen Jahr 160 zufällig ausgewählte Personen Empfehlungen für die Klimapolitik Deutschlands erarbeitetet, die dann dem Bundestag übergeben wurden.
Ebenfalls diskutiert wird die Frage, ob Ökosysteme selbst einklagbare Rechte erhalten sollten. Wittmer ist skeptisch, ob dies alleine den Klimaschutz voranbringen würde – „Es ist aber sicher sinnvoll, rechtliche Grundsätze zu schaffen, die Gemeinwohl vor Einzelinteressen stellen.“ Das würde auch benachteiligten Menschen zu Gute kommen, die nicht die Ressourcen haben, vor Gericht zu ziehen oder politisch aktiv zu werden.
Statt nur auf den eigenen Fußabdruck zu schauen neue Technologien vorantreiben
Für massiv unterschätzt hält Roser den Ansatz, dass reiche Individuen und Länder freiwillig neue Technologien entwickeln und diese damit billiger und attraktiver machen. Indem sie saubere Alternativen vorantreiben, könnten sie nicht nur die eigenen Emissionen reduzieren, sondern die Emissionen insgesamt verringern. Das Vorgehen würde zwei Gruppen mit ins Boot holen, die bisher keine Emissionen reduzieren: Menschen in Armut, für die Klimaschutz zu hohe Kosten bedeutet, und „Menschen in Egoismus“, die sich nicht allein aus moralischen Gründen zu Verzicht oder Umstieg bewegen lassen, sondern für die attraktive Alternativen zur Verfügung stehen müssen.
Adloff sagt: „Unsere gegenwärtige materialistische Logik hindert uns beim erfolgreichen Klimaschutz – das Denken, dass Klimaschutz Kosten und damit materieller Verlust bedeutet. Dabei gewinnen wir alle ja auch etwas, das aber schwer in materielle Werte umgerechnet werden kann.“
Insgesamt ist der gerechte Umgang mit den Problemen, vor die der Klimawandel uns stellt, für die Menschheit eine schwierige und neue Frage. „Es lohnt sich aber, neue Institutionen und Prozesse zu finden und zu etablieren“, sagt Roser, weil in der Zukunft weitere, ähnlich globale Probleme auf uns zukommen werden – von Pandemien über Antibiotika-Resistenzen bis hin zur Bedrohung durch Asteroiden. Eine globale Gemeinschaft, die auf etablierte Gremien zur Zusammenarbeit zurückgreifen kann und ein Mindset entwickelt hat, das Fragen der Gerechtigkeit bei der Problemlösung mitbedenkt, könnte solchen Problemen besser entgegentreten. So könnte der Ernstfall Klimawandel auch als Übungsstück für künftige Krisen dienen.