Unser Kohlenstoffbudget schrumpft
420 Gigatonnen CO₂ sind derzeit noch auf dem Konto der Welt. So viel dürfen wir in etwa ausstoßen, wenn wir die globale Erwärmung bis 2100 auf 1.5 Grad Celsius begrenzen wollen. 2019 lagen die globalen, vom Menschen verursachten CO₂-Emissionen bei 43 Gigatonnen. Handeln wir weiterhin zu langsam, überschreiten wir unser Budget innerhalb weniger Jahre. Um das wieder auszugleichen, müssten wir dann aktiv CO₂ aus der Atmosphäre entnehmen. Nadine Mengis vom GEOMAR Helmholtz-Zentrum für Ozeanforschung Kiel erforscht, welche Optionen wir in Deutschland haben, um unser Budget einzuhalten. Hier erklärt sie die wichtigsten Fakten zum Kohlenstoffbudget.
Was ist das verbleibende Kohlenstoffbudget?
Es zeigt an, wie viel CO₂ wir Menschen ab dem heutigen Tag noch maximal ausstoßen dürfen, um die Pariser Klimaziele zu erreichen und die globale Durchschnittstemperatur auf deutlich unter 2 Grad Celsius zu begrenzen. Die Angabe beruht darauf, dass der Zusammenhang zwischen Temperatur und CO₂-Emissionen linear ist. Das bedeutet, dass die globale Durchschnittstemperatur immer weiter ansteigt, solange wir CO₂ in die Atmosphäre ausstoßen. CO₂ verhindert, dass Wärme in den Weltraum abgestrahlt werden kann, und verbleibt für hunderte bis tausende von Jahren in unsere Atmosphäre, wenn es einmal ausgestoßen wurde. Wollten wir die heutigen Temperaturen beibehalten, müsste die Konzentration an CO₂ in der Atmosphäre von 410 auf 353 parts per million sinken. Wir müssen unsere CO₂-Emissionen also auf Null, beziehungsweise Netto-Null reduzieren, wenn wir verhindern wollen, dass die Temperatur weiter ansteigt.
Was bedeutet Netto-Null?
Wollen wir die Erderwärmung aufhalten, müssen wir den Ausstoß von CO₂ auf null bringen. Manche Emissionen lassen sich jedoch nicht oder nur sehr schwer vermeiden. Diese Emissionen können wir ausgleichen, indem wir an anderer Stelle CO₂ aus der Atmosphäre entziehen. Das können wir mit sogenannten Kohlenstoff-Entnahme-Maßnahmen (engl. Carbon dioxide removal, CDR) erreichen. Wer also eine Tonne CO₂ ausstößt, muss auch eine Tonne CO₂ aus der Atmosphäre entfernen, um unterm Strich auf netto-null Emissionen zu kommen.
Ok, und was bedeutet das jetzt für uns? Wie hoch ist das verbleibende Kohlenstoffbudget für Deutschland?
Im Net-Zero-2050 Cluster der Helmholtz Klima-Initiative gehen von einem verbleibenden Budget von zirka 7,8 Gigatonnen CO₂ für Deutschland ab 2021 aus, das ist das 10-fache von dem was wir momentan jährlich ausstoßen. Dabei haben wir mit einbezogen, wie groß Deutschlands Anteil am Gesamtbudget eines 1,5 Grad-Celsius-Ziels wäre, wenn alle Menschen auf der Welt die gleiche Menge an CO₂ ausstoßen dürften. Wir haben aber auch den Lock-in Effekt berücksichtigt, der besagt, dass ein gewisser Anteil an Emissionen - vor allem in den kommenden Jahren - durch unsere aktuelle Infrastruktur nur sehr schwer zu vermeiden ist.
Wie berechnet man denn so ein Kohlenstoffbudget?
Hintergrund
Es gibt viele verschiedene Ansätze. Das führt leider oft zu Verwirrung, auch weil das globale Budget ausgerechnet wird, das dann auf die einzelnen Länder verteilt werden muss. Wir haben aber in einem aktuellen Paper die wichtigsten Unsicherheiten bei der Berechnung aufgelistet und Empfehlungen formuliert, wie man diesen entgegenwirken kann, um zuverlässige Maßnahmen Richtung Netto-Null treffen zu können. Die vier größten sind:
- Geophysikalische Unsicherheiten beziehen sich auf das Erdsystem und seine Reaktion auf unsere menschgemachten Einflüsse. Also beispielsweise wie viel CO₂ können Ozean und Land aufnehmen oder wie schnell geben Permafrostböden CO₂ an die Atmosphäre ab.
- Sozio-ökonomische Unsicherheiten beschreiben den Einfluss, den unser aktuelles und zukünftiges Verhalten (zum Beispiel unsere Emissionen) auf das Erdsystem hat.
- Methodische Unterschiede bei der Berechnung führen zu teilweise stark unterschiedlichen Ergebnissen. So macht es beispielsweise einen Unterschied, ob wir die Werte von 1850 bis 1900 als Standard für die vorindustrielle Zeit zum Vergleich nehmen oder die von 1750 bis 1850.
- Verteilungsentscheidungen, wie wir das globale Budget fair auf einzelne Länder aufteilen, sind ein wichtiges Benchmark für die nationale Klimapolitik, damit die Summe aller nationalen Budgets wieder mit globalen Temperaturzielen übereinstimmt.
Wie kann man diesen Unsicherheiten entgegenwirken?
Paper Nature Geoscience Volume 13, 2020
Wichtig ist, dass es weltweit konsistente und transparente Annahmen zur Berechnung des verbleibenden Kohlenstoffbudgets gibt. Nur so kann die Wissenschaft klare Richtlinien für die Klimapolitik bereitstellen. Hierfür ist zum Beispiel hilfreich, das verbleibende Budget immer in Bezug auf ein bestimmtes Klimaziel und einen definierten Referenzzeitraum festzulegen, wie zum Beispiel das Pariser Abkommen und die vorindustrielle Zeit. So sind alle Kohlenstoffbudgets mit einem maximalen Temperaturanstieg von zum Beispiel 1,5 oder „weit unter“ 2 Grad Celsius verbunden.
Wir müssten auch den Einfluss anderer Treibhausgase auf die Erwärmung berücksichtigen, das ist aber nicht so einfach: Der Zusammenhang zwischen Erwärmung und der Gesamtmenge von zum Beispiel Methan oder Lachgas ist nicht so linear wie bei CO₂, weil diese Treibhausgase viel kürzer in der Atmosphäre verbleiben als CO₂. Ebenso müssen wir sie kühlende Wirkung von Aerosolen in der Budgetberechnung beachten.
Aber wie lässt sich das verbleibende Kohlenstoffbudget fair auf einzelne Länder aufteilen?
Das ist eine echte Herausforderung. Die Frage ist, woran man das ausmachen kann, was fair ist. Solche Entscheidungen spiegeln häufig ungleiche nationale Umstände wider. Können wir zum Beispiel sagen, dass Länder, die historisch viel zur aktuellen Erwärmung beigetragen haben, nun weniger ausstoßen dürfen? Oder machen wir das davon abhängig, ob Länder Zugang zu finanziellen und technischen Ressourcen haben? Oder sollte doch die Einwohnerzahl eine Rolle spielen, sodass allen Menschen genau die gleiche Menge an CO₂ zur Verfügung steht?
Solche Entscheidungen beruhen weitgehend auf subjektiven Wertebeurteilungen einzelner Länder, die wenig mit den geophysikalischen Grundlagen der Kohlenstoffhaushalte zu tun haben. Sie werden aber relevant, wenn die Gesamtsumme aller nationalen Budgets größer ist, als das global vereinbarte Budget. Derzeit wählen die Länder fast ausschließlich einen Ansatz, der ihnen aus Sicht eines anderen Landes einen unverhältnismäßig großen Anteil des verbleibenden Kohlenstoffbudgets einbringt. Wir steuern also genau auf die oben genannte Problematik zu.
Was können wir hier in Deutschland tun, um so schnell wie möglich auf Netto-Null CO₂-Emissionen zu kommen?
Das Kohlenstoffbudget schreibt keinen bestimmten CO₂-Minderungspfad vor. Um schnellstmöglich Netto-Null zu erreichen, müssen wir drei Dinge tun:
- Emissionen vermeiden - indem wir zum Beispiel fossile Brennstoffe durch erneuerbare Energien ersetzen. Dazu gehört auch die Wiedervernässung von Mooren, die trockengelegt wurden und nun Treibhausgase ausstoßen.
- Emissionen reduzieren - Emissionen aus Sektoren wie Landwirtschaft, Bauwesen und Verkehr sind schwer zu eliminieren, aber wir werden sie so weit wie möglich herunterschrauben müssen. In diesem Zusammenhang können zirkuläre Kohlenstoffansätze zu einem wertvollen Mittel werden, die CO₂ aus der Atmosphäre in Energieträger umwandeln.
- Emissionen entnehmen – also aktiv CO₂-Senken schaffen oder vorhandene ausbauen und dadurch CO₂ aus der Atmosphäre entfernen. Diese Maßnahmen fassen wir unter dem Begriff Kohlendioxid-Entnahme (oder kurz CDR) zusammen.
Klar ist, dass wir negative Emissionen nur dann erreichen, wenn der gesamte Lebenszyklus von CDR-Maßnahmen mehr Emissionen aus der Atmosphäre entfernt, als der Prozess selbst erzeugt. In Netto-Null-2050, Cluster I der Helmholtz-Klima-Initiative, untersuchen und bewerten wir solche Maßnahmen für Deutschland. Dazu gehören zum Beispiel chemische Verfahren, um CO₂ direkt aus der Luft „abzufangen“ und geologisch zu speichern. Aber auch die Erzeugung von Bioenergie in Kombination mit der geologischen Kohlenstoffspeicherung oder naturnahe Lösungen wie Aufforstung, die Wiedervernässung von Mooren oder der Auf- und Ausbau von Seegraswiesen.
Auch wenn es schwer wird, die jüngsten Schätzungen des verbleibenden Kohlenstoffbudgets deuten darauf hin, dass die Ziele des Pariser Abkommens noch in Reichweite sind. Dafür müssen jedoch sowohl die internationalen als auch die nationalen Akteure große und rasche Anstrengungen unternehmen, um Klimaschutz im angemessenen Maßstab zu bewältigen.