"Der Klimabeschluss wird auch andere Länder beeinflussen"
In seinem Interview zum Karlsruher Klimaurteil analysiert Umweltjurist Wolfgang Köck vom Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung (UFZ) die Folgen des Beschlusses und das Verhältnis von Politik, Rechtsprechung und Klimawissenschaft.
Herr Köck, das Klimaurteil des Bundesverfassungsgerichts bringt in der Politik einiges in Bewegung. Hatten Sie den Beschluss so erwartet?
Nicht in dieser Deutlichkeit. Das Bundesverfassungsgericht hat der Politik bei der Erfüllung ihrer Schutzpflichten immer einen großen Spielraum eingeräumt, den sieht es nun aber als überschritten an. Wenn Deutschland sechs Siebtel seines verbleibenden CO2-Budgets schon in den nächsten zehn Jahren aufbraucht, schränkt das nachfolgende Generationen zu stark ein. Die Richterinnen und Richter haben ihren Beschluss, wie ich finde, sehr überzeugend begründet. Das Bundesverfassungsgericht hat in der Rechtswissenschaft weltweit ein sehr hohes Ansehen. Der Karlsruher Klimabeschluss wird sich daher nicht nur auf die deutsche Klimaschutzpolitik auswirken, sondern voraussichtlich auch die Rechtsprechung in anderen Ländern beeinflussen.
Wolfgang Köck ist Professor für Umweltrecht an der Juristenfakultät der Universität Leipzig und leitet das Department Umwelt- und Planungsrecht am Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung (UFZ). Seit Juli 2020 ist er außerdem Mitglied des Sachverständigenrats für Umweltfragen (SRU). Schon in seiner Habilitation beschäftigte sich Wolfgang Köck mit Maßstäben der Risikobewertung im Umweltrecht.
Gerade für den Klimaschutz sind internationale Lösungen gefragt. Wie hat das Gericht Deutschlands Verantwortung bewertet?
Das Verfassungsgericht hat deutlich gemacht, dass Deutschland als Industriestaat vorangehen muss. Die Bundesrepublik muss international Vertrauen erzeugen, dass die Pariser Klimaziele gemeinsam umgesetzt werden - durch entschiedenes Handeln und nicht durch zurückhaltendes Taktieren.
Eine entscheidende Rolle spielt dabei das CO2-Budget. Also die Menge des Kohlendioxids, die weltweit noch erzeugt werden darf, um die Erderwärmung auf deutlich unter 2 Grad oder besser 1,5 Grad zu begrenzen.
Den fairen Anteil Deutschlands zu berechnen, ist nicht trivial. Das Bundesverfassungsgericht hat sich die Budgetrechnung des Sachverständigenrats für Umweltfragen zu eigen gemacht. Der SRU hat sich seinerseits am Budget des Weltklimarates IPCC orientiert und es auf Deutschlands Anteil an der Weltbevölkerung umgerechnet. Für ein Temperaturziel von 1,75 Grad darf Deutschland aktuell noch 6 Milliarden Tonnen CO2 verursachen, 2020 betrugen die Emissionen übrigens etwa 0,7 Milliarden Tonnen. Die historische Verantwortung für die schon ausgestoßenen Treibhausgase der vergangenen Jahrzehnte wurde in dem Budget nicht einmal berücksichtigt.
Im Gespräch ist jetzt eine Anhebung des deutschen Klimaziels für 2030 von 55 auf 65 Prozent CO2-Minderung. Würde das den Forderungen aus Karlsruhe genügen?
So genau hat das Bundesverfassungsgericht das nicht festgestellt. Die Politik hat allerdings die Aufgabe, eine gerechte Verteilung zwischen den Generationen zu finden. Andernfalls würden nachfolgende Generationen zu stark in ihren Freiheitsrechten begrenzt. Insofern muss schon für den Zeitraum bis 2030 kräftig nachgebessert werden.
Der Weltklimarat IPCC gibt in seinen Berichten auch die Ungewissheiten an, denen seine Szenarien und das CO2-Budget unterliegen. Wie ist das Gericht damit umgegangen?
Bemerkenswert ist zunächst einmal, dass das Gericht die Erkenntnisse der Wissenschaft ins Zentrum seiner Entscheidung stellt. Das zeigt sich schon bei der Frage nach dem angemessenen Ziel im Klimaschutz: Ist es in Ordnung, dass der deutsche Gesetzgeber im Klimaschutzgesetz die Temperaturziele aus dem Pariser Abkommen festgelegt hat – eben möglichst 1,5 und deutlich unter 2 Grad Erwärmung? Das Gericht hat dafür den Stand der Wissenschaft analysiert und festgestellt, dass laut IPCC auch schon bei 2 oder 1,7 Grad Erwärmung Kipppunkte im Klimasystem erreicht werden könnten. Weil wir darüber aber noch nicht genau Bescheid wissen, ist es für das Gericht in Ordnung, dass sich der Gesetzgeber zunächst auf die Pariser Klimaziele bezieht.
Zunächst? Ist es zumindest denkbar, dass die Klimapolitik sogar noch strenger sein müsste, als es das Pariser Abkommen verlangt?
Falls die Wissenschaft künftig zur Gewissheit kommen sollte, dass eine Begrenzung der Erwärmung auf 1,5 bis deutlich unter 2 Grad nicht ausreicht, um das Klimasystem zu stabilisieren, dann wären die Pariser Klimaziele verfassungsrechtlich nicht ambitioniert genug. Das wurde in dem aktuellen Beschluss aber nicht festgestellt, weil die Richterinnen und Richter die wissenschaftlichen Unsicherheiten erkannt haben. Außerdem hat Deutschland auch die Möglichkeit, sich an einige Folgen des Klimawandels anzupassen. Andererseits kann dem Beschluss eine Art Verschlechterungsverbot entnommen werden: Der Gesetzgeber darf nicht hinter den Pariser Klimazielen zurückbleiben. Nach dem jetzigen Kenntnisstand wäre eine Begrenzung auf 2 Grad Erwärmung kein angemessenes Schutzniveau mehr.
In seinem Beschluss verweist das Gericht immer wieder auf die „qualitätssichernden Verfahren“ des IPCC und des Sachverständigenrats. Was ist damit gemeint?
Wissenschaftliche Erkenntnisse müssen in der wissenschaftlichen Gemeinschaft Bestand haben. Dafür unterziehen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler ihre Arbeiten einer gegenseitigen Prüfung – einem Review – und sie tauschen untereinander ihre Daten aus. Der Weltklimarat IPCC forscht nicht selbst, sondern sammelt Forschungsergebnisse anderer Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler und bewertet sie. Dabei werden auch Unsicherheiten offengelegt. Die Suche nach Wahrheit obliegt der Wissenschaft. Offene Gesellschaften bieten die besten Voraussetzungen dafür, dass wissenschaftliche Erkenntnisse unbeeinflusst zustande kommen. Und wo Unsicherheiten bleiben, ist es Aufgabe der Politik, mit diesen Lücken umzugehen. Auch das Vorsorgeprinzip spielt in diesem Zusammenhang eine wichtige Rolle.