Verfassungsrichter stärken Klimaschutz
Die Bundesregierung muss zeitnah die Weichen für die Klimaschutzpolitik nach 2030 stellen. Das folgt aus dem viel beachteten Beschluss des Bundesverfassungsgerichts zum deutschen Klimaschutzgesetz.
Die Karlsruher Richterinnen und Richter erklärten das Gesetz am Donnerstag in Teilen für verfassungswidrig. Geklagt hatten mehrere junge Menschen, die teilweise bei Fridays for Future aktiv sind und von Umweltverbänden unterstützt wurden. Das Klimaschutzgesetz verletze die Beschwerdeführer in ihren Freiheitsrechten, urteilte das Gericht in Karlsruhe.
Für jedes Jahr bis 2030 legt das Klimaschutzgesetz erlaubte Mengen für Treibhausgase fest, die in Deutschland emittiert werden dürfen. Regeln für die Zeit danach muss die Bundesregierung ihrem eigenen Gesetz zufolge erst 2025 bestimmen. Nach dem Urteilsspruch aus Karlsruhe muss sie dies nun aber bis spätestens Ende 2022 tun. Bundesumweltministerin Svenja Schulze kündigte am Donnerstag bereits für den Sommer erste Eckpunkte an.
Verantwortung für folgende Generationen
Helmholtz-Wissenschaftler Niels Hovius erinnerte an die Verantwortung heutiger Generationen für den Klimaschutz. „Als Forscher, der sich mit oft dramatischen und hochgefährlichen Veränderungen von Landschaften befasst, nehme ich das Urteil des Bundesverfassungsgerichts sehr ernst. Wir haben eine große Verantwortung für die Zukunft unserer Kinder und der nachfolgenden Generationen – nicht nur hier, sondern weltweit“, erklärte der wissenschaftliche Vorstand (interim) des Helmholtz-Zentrums Potsdam – Deutsches GeoForschungsZentrum GFZ, einem Mitglied der Helmholtz-Klima-Initiative.
In ihrem Urteil setzen sich die Richterinnen und Richter auch mit den wissenschaftlichen Grundlagen des Klimaschutzes auseinander. „Die verfassungsrechtlich maßgebliche Temperaturschwelle von deutlich unter 2 °C und möglichst 1,5 °C kann prinzipiell in ein globales CO2-Restbudget umgerechnet werden, das sich dann auf die Staaten verteilen lässt“, schreibt das Gericht in seiner Pressemitteilung.
CO2-Budget für Deutschland
Das Verfassungsgericht verweist insbesondere auf die Gutachten des Weltklimarates. Der IPCC hat berechnet, wie viele Tonnen Treibhausgase die Menschheit schätzungsweise noch ausstoßen darf, um die Temperaturziele des Pariser Klimaabkommens einzuhalten. Das Gericht verweist auch auf Berechnungen des Sachverständigenrates für Umweltfragen (SRU), der 2020 versucht hat, ein CO2-Budget für Deutschland zu ermitteln. Nach einer aktuellen Schätzung der Helmholtz-Klima-Initiative verbleiben der Bundesrepublik ab 2021 noch 7,8 Milliarden Tonnen CO2, wenn sie das 1,5-Grad-Ziel einhalten will.
In seinem Urteil verweist das Bundesverfassungsgericht außerdem auf eine Veröffentlichung von Umweltjuristen und Umweltökonomen der Helmholtz-Klima-Initiative. In dem Aufsatz „Negativemissionstechnologien als neues Instrument der Klimapolitik: Charakteristiken und klimapolitische Hintergründe“ hatten sich die Autorinnen und Autoren mit der Entfernung von CO2 aus der Atmosphäre und der anschließenden Speicherung auseinandergesetzt.
Gericht bewertet Negativemissionstechnologien
Der Einsatz solcher Technologien unterliege aber erheblichen Beschränkungen und Bedenken bezüglich wirtschaftlicher Rentabilität, technischer Machbarkeit, internationaler Koordinierbarkeit sowie sozialer Folgen und vor allem neuerlicher ökologischer Risiken, schreiben die Karlsruher Richterinnen und Richter.
Auf die Lücke zwischen Erkenntnissen der Klimawissenschaft und realpolitischem Handeln wiesen die Scientists for Future hin: „Das Urteil macht deutlich, dass die Pflicht des Staates zur Daseinsvorsorge sich auch auf nachfolgende Generationen erstreckt. Über die letzten Dekaden waren die Bundesregierungen stets über den Stand der Forschung informiert. Die Scientists for Future haben in Publikationen und in ihrer täglichen Arbeit vor Ort fakten- und evidenzbasiert nachgewiesen, dass die vorgelegten Maßnahmen zur Bewältigung der Nachhaltigkeitskrise jedoch nie in ausreichender Weise den Rat der Wissenschaft berücksichtigt haben. Das Bundesverfassungsgericht fordert nun unmittelbares Handeln.“