Mission: biologisch abbaubares Plastik
Ohne Kunststoffe kommen wir im Alltag nicht aus. Durch ihren sehr langen Bestand belasten sie aber unsere Umwelt enorm. Helmholtz-Forschende arbeiten daran, diesen Widerspruch aufzulösen: Sie suchen nach Enzymen, die Plastikabfälle abbauen. Außerdem lautet das Ziel: Erdöl ade, weshalb sie biologisch abbaubare Kunststoffe entwickeln.
Ob Bekleidung, Zahnbürsten, Spielzeug, Kosmetika oder Lebensmittelverpackungen: Ohne Kunststoffe ist unser Alltag kaum vorstellbar. Ökologisch stellen diese synthetischen Materialien jedoch ein Problem dar: Anders als natürliche Stoffe zerfallen sie nicht. Wissenschaftlichen Schätzungen zufolge produzieren wir weltweit über 400 Millionen Tonnen davon pro Jahr. Plastikabfälle in verschiedenen Größen und Mischungen häufen sich in fast allen ökologischen Lebensräumen an und beeinträchtigen sie oft erheblich. Für fast alles auf unserem Planeten entwickelt die Evolution mit der Zeit Biokatalysatoren, die diese Ressourcen abbauen, beziehungsweise verwerten, also in etwas anderes umwandeln. Da Kunststoffe erst seit einigen Dekaden in Massen produziert werden, fehlt es bislang an solchen Verwertern. An diesem Punkt setzt die Forschung des BMBF-geförderten Projekts PLASTISEA an, welches vom GEOMAR Helmholtz-Zentrum für Ozeanforschung in Kiel durchgeführt wird.
„Mikroorganismen haben im Vergleich zu vielzelligen Tieren und Pflanzen meist eine sehr kurze Lebenszeit und damit eine schnelle Abfolge vieler Generationen, sodass ihr Erbgut sich evolutionär schnell verändern kann“, erläutert Erik Borchert, der am GEOMAR im Fachbereich Marine Ökologie forscht. „Deshalb arbeiten wir mit Enzymen, die sich schnell an veränderte Umweltbedingungen anpassen, also auch an neue Nahrungsquellen.“
Enzyme sind biologische Großmoleküle, die zum Großteil aus Proteinen bestehen. Mit ihnen kann man bestimmte chemische Reaktionen beschleunigen. Das Ziel lautet, Plastik in Biomasse zu verwandeln. Dafür entnimmt das Forschungsteam bestimmten Bakterien – die dafür zuvor isoliert werden müssen – gezielt Enzyme. Jeder Kunststoff ist komplex, zudem gibt es davon viele verschiedene Sorten. Deshalb bedarf es einer großen Zahl verschiedener Enzyme, um die bestehenden Plastikabfälle zu verstoffwechseln.
„Wir können nur rund zwei Prozent der Bakterien, die uns als Quellen für Enzyme dienen, kultivieren“, sagt Borchert. „Mithilfe der Metagenomik erschließen wir uns Schritt für Schritt auch die anderen 98 Prozent.“ Metagenomische Methoden erlauben, genetisches Material direkt aus Umweltproben zu extrahieren und analysieren. Das Team greift dafür auf die gesamte DNA-Menge einer Bakterien-Probe zurück. Damit gelingt es Forscherinnen und Forschern, neue und verbesserte Enzyme und andere Mikroorganismen zu entwickeln, die synthetische Polymere abbauen. „Das funktioniert zum Beispiel mit Polyethylenterephthalat, kurz PET, das wir von den gleichnamigen Plastikflaschen kennen, schon sehr gut“, so Borchert.
Eine große Rolle spielen bei der Verwitterung des Materials im marinen Bereich UV-Strahlung und Reibung, die die Plastikoberflächen porös und spröde machen. Das forciert die Bildung von Mikro- und Nanoplastikpartikeln. Die Enzyme können sich dann leichter anlagern, was einen Abbau begünstigt. „Ohne eine solche Verwitterung ist der enzymatische Abbau der Polymere in der Natur und in der Industrie bislang kaum möglich“, sagt Borchert. „Doch wir arbeiten bereits an weiteren vielversprechenden Möglichkeiten.“ So stellen beispielsweise marine Schwämme eine reichhaltige Quelle an neuen Plastik-abbauenden Bakterien dar“.
Dabei geht es nicht darum, die Enzyme künftig in der Natur, etwa im Ozean, auszusetzen, damit sie dort Plastikmüll entsorgen. Ob und wie dies funktionieren könnte, ist völlig unklar. Vor allem aber wären die Folgen bislang nicht absehbar – auch ungewollte. „Wir arbeiten auf Anwendungen hin, die in der Industrie und in Haushalten genutzt werden können“, sagt Ute Hentschel Humeida, Leiterin des PLASTISEA Projektes und der Forschungseinheit Marine Symbiosen am GEOMAR. „So lassen sich diese Enzyme auch auf Oberflächen anbringen, die dann wie Filter wirken.“
Damit ausgestattete Kläranlagen wären in der Lage, Nanopartikel von Kunststoff aufzufangen und in Biomasse umzuwandeln, sodass diese gar nicht erst in die Natur gelangen. Kartuschen an Abflüssen von Duschwannen und Handwaschbecken könnten ähnliches leisten. In Kosmetika, Duschgels und weiteren Produkten ist Nanoplastik enthalten, die dann gar nicht erst bis ins Klärwerk gelangen würde. „Für bestimmte Plastiksorten ist das technisch bereits realisierbar“, ergänzt Erik Borchert. „So wie Abgas- und Feinstaubfilter Industrieanlagen und Kraftfahrzeuge umweltfreundlicher gemacht haben, ist dies bei vielen Anwendungen auch mit Kunststoffen möglich.“
Bereits auf Erdölbasis produziertes Plastik in Biomasse umzuwandeln, ist ein bedeutender Schritt zu einer nachhaltigen Wirtschaft. Doch der Weg zur Kreislaufwirtschaft führt noch weiter. Wenn wir künftig gleich ganz auf erdölbasierte Materialien verzichten und diese durch biobasierte ersetzen, hat dies gleich zwei Vorteile. Erstens: Fossile Ressourcen wie Erdöl sind endlich, früher oder später müssen sie ohnehin durch Alternativen ersetzt werden. Zweitens: Biobasierte – und damit biologisch abbaubare – Stoffe beeinträchtigen das ökologische Gleichgewicht im Vergleich zu Plastik in deutlich geringerem Maße. Basis für solche Materialien sind unter anderem ebenfalls Enzyme. „Im Labor können wir Mikroben umprogrammieren, um ein erneuerbares Substrat enzymatisch in eine Mehrwertchemikalie umzuwandeln“, erläutert Nick Wierckx, Leiter der Abteilung Mikrobielle Katalyse am Jülicher Institut für Bio- und Geowissenschaften. Der Wissenschaftler entwickelt mit seinem Team mikrobielle Katalysatoren für die biobasierte Herstellung von Chemikalien und erforscht die zugrunde liegenden zellulären Prozesse.
„Unsere bevorzugten mikrobiellen Arbeitspferde sind Bakterien der Gattung Pseudomonas“, so Wierckx. „Sie können viele verschiedene Chemikalien verstoffwechseln.“ Damit lassen sich folglich auch viele unterschiedliche Produkte erzeugen. Kunststoffe und ihre Eigenschaften sind so verschieden wie ihre Anwendungsgebiete. Manche werden nur für eine kurze Zeit genutzt, zum Beispiel Verpackungen von Lebensmitteln. Andere müssen lange halten und besonders robust sein, etwa bei der Verwendung für Stoßstangen.
Unterschiedlich sind dementsprechend auch die Substanzen zur Herstellung biobasierter Kunststoffe. So arbeitet Wierckx neben Bakterien auch mit Pilzen: „Aromaten sind für die meisten Pilze toxisch, doch einige eignen sich optimal, um organische Säuren zu produzieren.“ Diese Säuren dienen als Bio-Baustein für neue Kunststoffe. Sein Team verändert unter anderem die Morphologie der Zellen, um so effizienter organischen Säuren zu erzeugen. „Unser Ziel ist dabei, die Umwandlung regionaler industrieller Abfallströme in organische Säuren zu ermöglichen.“ Dieser Abfall könnte dann den reinen Zucker ersetzen, der bislang als Substrat genutzt wird. Dies würde neue Wertschöpfungsketten ermöglichen, also eine Kreislaufwirtschaft: Kunststoff ließ sich aus Abfall gewinnen, der am Ende seines Lebenszyklus biologisch abbaubar ist.
Die Projekte UpRePP und Glaukos, an dem Wierckx mit seinem Team beteiligt ist, realisieren genau das für biobasierte Textilfasern und -beschichtungen: „Unser Ziel ist es, den CO2- und Plastikfußabdruck von Kleidung und Fischernetzen, die besonders haltbar sein müssen, deutlich zu reduzieren.“