Worauf es beim Klimagipfel in Glasgow ankommt
Nach einer Corona-Pause soll Anfang November erstmals seit 2019 wieder eine UN-Klimakonferenz stattfinden. Über den Erfolg entscheidet vor allem, ob sich die teilnehmenden Staaten höhere Klimaziele setzen. Doch viele haben das nicht getan.
„Wir haben bereits 1,2 Grad erreicht, Tendenz steigend“, sagte UN-Chef António Guterres anlässlich der Vorstellung des ersten Teils des neuen Berichts des Weltklimarats IPCC. Die Welt ist also nicht mehr weit davon entfernt, die Marke von durchschnittlich 1,5 Grad Celsius globaler Erwärmung zu überschreiten. „Extreme Wetterereignisse und Klimaschäden werden häufiger und schwerer. Aus diesem Grund ist die diesjährige UN-Klimakonferenz in Glasgow so wichtig.“ Viel Zeit bleibt nicht mehr, vom 31. Oktober bis zum 12. November treffen sich die Verhandler*innen in der größten Stadt Schottlands.
Es gibt allerdings noch einen weiteren Grund, warum Glasgow als die wichtigste UN-Klimakonferenz seit dem Gipfel in Paris 2015 gilt: In Glasgow zeigt sich, ob das Pariser Klimaabkommen so funktioniert wie vorgesehen. Das Abkommen beruht darauf, dass sich die Länder freiwillige Klimaziele setzen. Die Staaten der Europäischen Union hatten zunächst erklärt, ihre Treibhausgase bis 2030 um mindestens 40 Prozent gegenüber 1990 zu reduzieren.
Unzureichende Klimaziele
Schon in Paris zeigte aber eine Übersicht der Vereinten Nationen, dass die Ziele damals nicht ausgereicht haben, um den Klimawandel „deutlich unter zwei Grad“ oder gar bei 1,5 Grad Celsius Erwärmung zu stoppen wie im Abkommen vereinbart. Daher wurde darin ein Mechanismus eingebaut, um die Klimaziele alle fünf Jahre nachzuschärfen. Ob das wie geplant funktioniert, zeigt sich nun zum ersten Mal in Glasgow.
Noch ist das Bild eher düster: 117 Länder – darunter die EU-Staaten und die USA – haben neue Klimaziele verabschiedet. Die EU etwa hat ihr Klimaziel von 40 auf 55 Prozent Treibhausgasminderung bis 2030 erhöht. Rund 80 Länder haben noch keine neuen Ziele eingereicht. Zu letzteren gehören Emissions-Schwergewichte wie China, Indien und Saudi-Arabien. Hinzu kommt, dass Australien, Brasilien, Mexiko und Russland neue Ziele eingereicht haben, die keine Verbesserung oder gar eine Verschlechterung zu den alten Zielen darstellen. Dabei hatten die Länder wegen der Coronapandemie sogar ein Jahr mehr Zeit, ehrgeizige Pläne auszuarbeiten.
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Professor Reimund Schwarze vom Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung (UFZ) kommt zu einem ernüchternden Fazit: „Wir sind mit den Klimaplänen der Länder weit weg davon, das Emissionsziel für das Jahr 2030 zu erreichen.“ Bis dahin müssten die Emissionen gemäß IPCC weltweit um 45 Prozent im Vergleich zum Jahr 2010 sinken. „Das gilt für die Erreichung des 1,5-Grad-Ziels und selbst für zwei Grad Erwärmung klafft noch eine signifikante Lücke.“ Gemäß den bisher bei den Vereinten Nationen vorgelegten Klimazielen würden die Emissionen bis 2030 sogar um 16 Prozent steigen anstatt zu sinken, warnte ein kürzlich veröffentlichter UN-Report. Würden nur die bisher angekündigten Ziele eingehalten, steuere die Welt auf eine Erwärmung um 2,7 Grad bis zum Ende des Jahrhunderts zu.
Finanzhilfen sind in Glasgow entscheidend
Die Hauptaufgabe in Glasgow sieht Schwarze weniger in den „formellen Verhandlungen“, sondern im Schließen ebenjener Lücke in den Klimazielen. Der britische Premierminister Boris Johnson nennt als Prioritäten „Coal, cash, cars and trees“, also „Kohle, Geld, Autos und Bäume“. Obwohl es bei Kohle, Autos und Bäumen ganz offensichtlich um den Ausstoß oder die Speicherung von Emissionen geht, ist der entscheidende Faktor für einen Erfolg in Glasgow Geld.
Die Industriestaaten haben im Jahr 2009 versprochen, ab 2020 jährlich 100 Milliarden Dollar für die Unterstützung von armen Ländern beim Klimaschutz und bei der Anpassung an den Klimawandel zu „mobilisieren“. Ob das gelungen ist, wird sich allerdings erst im nächsten Jahr zeigen.
Milliarden US-Dollar
haben die Industriestaaten ärmeren Ländern gegen den Klimawandel zugesagt.
Die Unsicherheit, ob die Industriestaaten ihr Versprechen gehalten haben, ist wahrscheinlich auch einer der Gründe, warum noch viele Klimapläne von Entwicklungsländern fehlen. Für Alok Sharma, den Präsidenten der UN-Klimakonferenz, ist klar: „Die 100 Milliarden Dollar sind eine Frage des Vertrauens, eine Zahl von mythischer Bedeutung.“
Ein Problem bei der Mobilisierung des Geldes ist, dass die Industriestaaten nie vereinbart haben, wer wie viel gibt. Die Unterschiede sind groß. Der britische Thinktank Overseas Development Institute (ODI) hat mit mehreren Methoden den „fairen Anteil“ für die verschiedenen Länder berechnet. Dabei zeigt sich, dass nur Norwegen, Schweden und Deutschland ihren fairen Beitrag leisten. Abgeschlagen auf dem letzten Platz sind die USA. Auf diese entfiele ein fairer Beitrag von 30 bis 47 Milliarden Dollar. Die Regierung von US-Präsident Joe Biden plant allerdings ihren Beitrag aus öffentlichen Mitteln nur auf 11,4 Milliarden Dollar bis zum Jahr 2024 zu steigern. Damit bliebe eine riesige Lücke.
Hinzu kommt, dass auch Gastgeber Großbritannien derzeit nicht seinen fairen Beitrag leistet und zusätzlich angekündigt hat, die Entwicklungshilfe zu kürzen. Tom Burke vom britischen Thinktank E3G kritisiert, Boris Johnson habe durch diese Entscheidung bei den Verhandlungen nicht viel zu bieten. Aus Sicht von Helmholtz-Forscher Schwarze haben deshalb vor allem die USA und Großbritannien bei der Klimafinanzierung ein Glaubwürdigkeitsproblem.
Internationaler Emissionshandel als Ziel
Das könnte sich insbesondere in den Verhandlungen mit China als hinderlich erweisen. Wenn China als größter Emittent der Welt seine Klimaziele nicht deutlich anhebt, dann ist das 1,5-Grad-Ziel schon bald unerreichbar.
Wenn die Länder ihre Klimaziele nicht nachschärfen, bleibt dem britischen Premier Johnson nur noch, auf einen Erfolg bei den eigentlichen Verhandlungen zu hoffen. Auch hier gibt es noch eine Lücke: Es geht um den Handel mit Emissionszertifikaten, wie in Artikel 6 des Pariser Abkommens vorgesehen. Einige Länder wie die Schweiz wollen einen Teil ihrer Emissionen kompensieren, indem sie Projekte zur Emissionsreduktion in anderen Ländern unterstützen. Auch CDU/CSU und FDP hatten sich in ihren Programmen zur Bundestagswahl für diesen Weg ausgesprochen.
Dazu müssen die Länder vereinbaren, wie solche Projekte in den zwei beteiligten Ländern jeweils angerechnet werden. Doch diese Verhandlungen sind bereits zwei Mal an Brasilien gescheitert. Ob die britische Konferenzpräsidentschaft hier mehr Erfolg haben wird als zuvor die polnische und die spanische, ist allerdings nicht sicher.