28.01.2022
Anja Krieger

Wieso sind Feuchtgebiete so wichtig für den Klimaschutz?

Sie beanspruchen nur wenig Fläche, speichern aber enorme Mengen Kohlenstoff: Feuchtgebiete können helfen, den Klimawandel abzumildern, wenn wir sie besser behandeln. Aram Kalhori und Torsten Sachs vom Helmholtz-Zentrum Potsdam – Deutsches GeoForschungsZentrum GFZ untersuchen die Gasflüsse zwischen Biosphäre und Atmosphäre. Zum Welttag der Feuchtgebiete haben wir mit ihnen über das Klimapotenzial von Mooren gesprochen. 

Eine Frau läuft durch eine grün-braune Moorlandschaft
Eine Frau läuft durch eine grün-braune Moorlandschaft
Aram Kalhori
©
Inge Wiekenkamp

Was hat dein Interesse an Feuchtgebieten geweckt, Aram?

Aram Kalhori: Mein Interesse an Feuchtgebieten reicht bis zurück in meine Kindheit. Ich bin im Iran aufgewachsen und war ein abenteuerlustiges Kind, das die Natur liebte. Jedes Jahr besuchte ich mit meiner Familie die Stadt Ramsar nahe der Küste des Kaspischen Meeres. Mein Vater war auch sehr naturverbunden, also wanderten wir oft zusammen durch die Gegend, und er erzählte mir von der Ramsar-Konvention zum Schutz der Ökosysteme von Feuchtgebieten. Die Konvention wurde 1971 verabschiedet, als ich noch nicht einmal geboren war – am selben Tag, den wir heute als Welttag der Feuchtgebiete feiern. 

Wie kann man sich die Feuchtgebiete um Ramsar vorstellen?

Kalhori: Als ich noch klein war, sahen die Feuchtgebiete rund um Ramsar wunderschön aus. Ich erinnere mich an das Geräusch der Vögel und die riesige Artenvielfalt in der Region. Für mich als Kind war das wirklich faszinierend. Aber kürzlich, als ich wieder zu Besuch war, fand ich ein völlig anderes Ökosystem vor – komplett gestört, mit viel weniger Vögeln und Tieren, und einer geringeren Vielfalt. Viel davon ist Folge des Klimawandels. Im Iran werden die Dürren immer stärker, und das Wasser ist knapp.  

Heute erforschst du hier in Deutschland Feuchtgebiete, gemeinsam mit Torsten Sachs. Ihr untersucht Moore als natürliche Klimalösung. 

Torsten Sachs: Richtig, Feuchtgebiete sind als natürliche Kohlenstoffspeicher sehr wichtig. Über Jahrtausende haben sie große Mengen an Kohlenstoff angesammelt. Vor allem die Moore – das sind die Feuchtgebiete, die eine dicke Torfschicht aus Pflanzenresten bilden, die nicht vollständig zersetzt wurden. Moore nehmen nur 3 Prozent der Erdoberfläche ein, speichern aber 500 Milliarden Tonnen Kohlenstoff. Auf einem winzigen Bruchteil der Landfläche liegt also eine riesige Menge an Kohlenstoff, doppelt so viel wie die gesamte Biomasse des Waldes. Das sind also unglaublich effiziente Orte zum Speichern von Kohlenstoff.

Kalhori: Ja, und intakte Moore bieten uns auch viele andere Vorteile, die in einer Welt des Klimawandels wichtig sind. In naturnahem Zustand sind sie essentiell für den Erhalt von Biodiversität. Sie verbessern die Wasserqualität, speichern Wasser im Boden, dienen bei Hochwasser und Extremereignissen als Puffer und filtern Nährstoffe heraus.

Zwei Männer stehen vor einem kleinen Turm mit Sensoren in einem Feld voll grüner Pflanzen
Zwei Männer stehen vor einem kleinen Turm mit Sensoren in einem Feld voll grüner Pflanzen
Torsten Sachs
©
Inge Wiekenkamp / GFZ

Leider können viele Moore das heute nicht mehr, da sie in einem schlechten Zustand sind. Wie kam es dazu?

Sachs: Wenn wir uns die deutschen Moore ansehen, haben wir 98 Prozent davon trockengelegt. Von natürlichen Mooren ist hier wirklich nicht mehr viel übrig. Diese Entwässerung begann vor Jahrhunderten, um Land zu besiedeln und landwirtschaftlich nutzbar für die Menschen zu machen. Sie bauten zum Beispiel Torf ab, um ihn zu verbrennen und Häuser zu heizen, und entwässerten große Flächen, um Felder und Viehweiden anzulegen. 

Die Ramsar-Konvention sollte Feuchtgebiete insbesondere als Lebensraum für Wasservögel schützen. Es scheint, als wäre das Wissen schon vor 50 Jahren da gewesen. Warum sind wir heute mit der Lösung nicht weiter?

Sachs: Es ist kein einfaches Problem. Es ist ja nicht so, dass ein paar Eigentümer große Teile des deutschen Moorgebiets besitzen und man nur mit fünf Leuten reden muss, um etwas zu ändern. Es gibt viele Eigentümer, für die meisten hängt ihr Lebensunterhalt von diesem Land ab. Man kann also nicht einfach alles zu Naturschutzgebieten erklären. Aber es gibt ja auch Möglichkeiten, die Flächen weiter landwirtschaftlich zu nutzen, auch wenn sie wiedervernässt werden – die sogenannte Paludikultur. Allerdings  sind solche Produktionsweisen bisher meist noch Prototypen. Das Wissen und die Ideen sind eigentlich da, es gibt einfach nur noch keinen ausreichend großen Markt für Biomasse aus Paludikultur. Es geht jetzt also darum, die Ideen in die Tat umzusetzen und die rechtlichen und finanziellen Anreize für Landbesitzer und Landnutzer zu schaffen – da kommt die Politik ins Spiel. Die landwirtschaftliche Nutzung trockengelegter Moore in Deutschland ist für 7 Prozent unserer nationalen CO2-Emissionen verantwortlich. Die meisten davon könnten vermieden werden, wenn die Moore wiedervernässt würden – auf einem kleinen Teil des Landfläche.

Kalhori: Ja, wir brauchen mehr Bewusstsein. In Deutschland tragen entwässerte Moore 35 Prozent zu den gesamten Emissionen der Landwirtschaft bei. Das ist wirklich eine Menge. 

Bewusstsein und Wissen sind ein erster Schritt. Was kann jeder von uns sonst noch tun, um Moore im Alltag zu schützen?

Sachs: Um die verbleibenden Moore hierzulande zu schützen, kann man zum Beispiel auf Torf aus jahrtausendealten Mooren im Garten verzichten, da gibt es gute Alternativen. Etwas globaler betrachtet kann man beim Kauf von Süßigkeiten und anderen Lebensmitteln darauf achten, dass sie ohne Palmöl hergestellt werden, das oft von Monokulturen auf entwässerten Mooren in den Tropen kommt. 

Kalhori: Auf gesellschaftlicher Ebene können wir mit der Wiedervernässung von Mooren beginnen. Bei Grünland und Ackerland auf Moorboden könnte das 20 bis 30 Tonnen CO2-Äquivalente pro Hektar und Jahr einsparen. Man muss sich klarmachen, wir haben allein in Deutschland 1,4 Millionen Hektar Hoch- und Niedermoore. Das könnte ziemlich viel CO2-Vermeidung pro Jahr bedeuten. 

Und dieser Prozess hat bereits angefangen, richtig?

Kalhori: Ja, Mecklenburg-Vorpommern hat zum Beispiel große Moorflächen, und man hat schon begonnen, einige davon wiederzuvernässen. Dort erforschen wir seit über zehn Jahren die Flüsse von Kohlendioxid und Methan mit der sogenannten Eddy–Kovarianz-Methode. Dafür montiert man verschiedene meteorologische Sensoren und Geräte zur Gasanalyse an einen Mast und misst damit die Treibhausgase auf einer bestimmten Fläche. Diese Methode ist sehr genau. Das machen wir auch in unserem Forschungsgebiet in der Nähe des Dorfes Zarnekow im Peenetal.

Was konntet ihr in eurer Forschung dort draußen lernen? 

Sachs: Eine der überraschenden und wirklich coolen Sachen, die wir in den letzten Jahren dort beobachtet haben, passierte durch den sehr trockenen Sommer 2018. Wir arbeiteten dort schon seit fünf Jahren, und es war nicht viel mit dem bloßen Auge Sichtbares passiert – es wirkte wie eine recht stabile offene Wasserfläche, umgeben von Rohrkolben und Schilf. Aber in diesem Dürresommer 2018 trocknete sie für eine Weile komplett aus. Und das löste eine massive Ausdehnung der Vegetation aus, plötzlich sprossen überall Pflanzen wie das Moor-Aschenkraut aus dem Boden, wo vorher das Wasser war. Normalerweise würde man denken, dass eine Dürre in einem Moor eine schlechte Sache ist, oder? Aber in diesem Fall hat es tatsächlich etwas Gutes ausgelöst, denn diese Ausdehnung der Vegetation hat unser Moor in eine CO2-Senke verwandelt.

Kalhori: Ja, das war sehr spannend. Nach der Wiedervernässung emitiert ein Moor zwar erstmal viel Methan, also CH4, das ebenfalls ein Treibhausgas ist, aber nicht so lange wirkt. In unserem Fall waren leider auch die CO2-Emissionen noch viele Jahre höher als erwartet. Aber jetzt beobachten wir, dass sich das Ökosystem des Moores von einer Quelle zurück zu einer Senke für Kohlendioxid entwickelt hat – in kleinem Maßstab. Das heißt, es nimmt jetzt mehr CO2 auf, als es ausstößt. Allerdings zeigen andere Studien, dass manche Moore auch nach 30 Jahren Wiedervernässung nicht wirklich zu ihrem natürlichen Urzustand zurückkehren. Wahrscheinlich, weil Torf, Vegetation und die Hydrologie, also der Wasserkreislauf, einfach zu stark gestört sind. Natürlich brauchen wir noch mehr Langzeitdaten von mehr Standorten, um unsere Ergebnisse zu bestätigen. Aber in unserer neuesten Studie zeigen wir, dass man solche natürlichen Senken unbedingt braucht um die Netto-Null-Klimaziele zu erreichen. 

Das heißt, wir sind wohl nicht mehr in der Lage, die alten Moore zurückzuholen – aber wir können sie anders und besser behandeln, damit sie mehr Kohlenstoff binden?

Sachs: Ja, das ist die richtige Frage. Ich meine, die ‚Renaturierung‘ – oder der im Englischen manchmal benutzte Begriff ‚restoration‘ – von Mooren ist ein irreführendes Wort, weil sie vielleicht nie wieder in den natürlichen, unberührten Zustand zurückkehren werden, wo sie vor 300 Jahren oder vor 100 Jahren waren, wann immer die Entwässerung begann. Das sind heute meist Ökosysteme, die stark gestört oder sogar zerstört sind. Und die Wiedervernässung ist im Grunde nun auch wieder eine Störung. Was entsteht, ist ein neuartiges Ökosystem, das nicht mehr dasselbe ist wie zuvor, aber hoffentlich ähnlich funktioniert und den noch vorhandenen Torf schützt. Sicher ist also, dass es weniger Treibhausgase produziert und besser fürs Klima ist.

Eine natürliche Klimalösung

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Was ist der wichtigste Schritt, den wir machen müssen um da hinzukommen?

Sachs: Man braucht die Zustimmung der Landbesitzer- und Landnutzer:innen, und man braucht ausreichend Wasser. Außerdem müssen viele Genehmigungen von verschiedenen Behörden eingeholt werden. Aber die wohl größte Herausforderung ist, denjenigen, die von diesem Land leben, alternative Einkommensquellen zu verschaffen. Wenn ich meine Kühe nicht mehr auf mein nasses Land stellen kann, brauche ich entweder Hilfe, um sie zum Beispiel durch Wasserbüffel zu ersetzen, oder ich brauche andere Maschinen, um das Land weiterhin bewirtschaften zu können. Wenn ich anfange, andere Pflanzen anzubauen, wie Schilf oder Rohrkolben, brauche ich einen Markt, der diese Produkte auch kauft. Das braucht Regulationen und finanzielle Anreize, die immer noch falsch gesetzt sind. Im Moment subventioniert die EU die Milchproduktion auf entwässerten Torfgebieten – das ist ungefähr der schlechteste CO2-Fußabdruck, den ein Glas Milch haben kann. Für die alternativen Pflanzenarten, die man auf nassen Böden anbauen könnte, gibt es bisher keine Agrarsubventionen. Es muss noch einiges passieren, um das in eine bessere Richtung zu lenken. Auf jeden Fall ist es keine Option, die Nutzung all dieser Flächen einfach aufzugeben und sie in Wildnis zu verwandeln. Das wird nicht passieren. Sie werden weiter bewirtschaftet werden. Aber es muss eben eine andere Art der Bewirtschaftung sein. Und um diesen Wandel zu vollziehen, brauchen die Menschen Hilfe.

Die Bauern müssten also grundlegend umdenken und ihre Art, wie sie ihr Geld verdienen, komplett umstellen – und das geht nur mit starker Unterstützung der Politik?

Sachs: Genau. Es muss einen Markt für ihre neuen Produkte geben. Ich denke, so könnte man ganze regionale Ökonomien aufbauen. Es gibt viele Ideen, was man aus der Biomasse aus Paludikultur alles machen kann, nicht nur Brennstoff und Futtermittel, sondern auch Materialien zum Verpacken, Isolieren oder Bauen – wie etwa Spanplatten. Aber dafür braucht es neue Märkte. Das ist ähnlich wie beim Kohleaustieg, den wir in einem Teil des Landes schaffen wollen – in einem anderen Teil des Landes müssen wir aus der Landwirtschaft auf entwässerten Mooren aussteigen und stattdessen nasse Flächen bewirtschaften.

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