31.01.2022
Meike Lohkamp

„Dieser Markt wird wachsen“

Um die Klimaziele zu erreichen müssen zum einen Treibhausgas-Emissionen massiv reduziert werden. Daneben sind aber auch Verfahren nötig, die der Atmosphäre Kohlendioxid wieder entziehen. Was können BECCS- und DAC-Technologien heute?

Rund die Hälfte des erneuerbaren Stroms in Deutschland stammt aktuell aus Biomasse, also aus der Verwertung von Pflanzen oder Pflanzenresten. Beim Verbrennen von Biomasse wird nur so viel CO2 freigesetzt, wie beim Wachstum der Pflanzen zuvor von ihnen gebunden wurde. Verfahren, mit denen das CO2 bei der Verbrennung der Biomasse abgeschieden und gespeichert wird, heißen BECCS-Optionen (engl. Bioenergy with Carbon Capture and Storage). Dadurch entstehen negative Emissionen: Dem Kohlenstoffkreislauf wird CO2 entzogen.

Um die Erderwärmung zu begrenzen, sind neben BECCS-Verfahren auch andere Prozesse, die der Atmosphäre direkt CO2 entziehen, notwendig. Diese Verfahren heißen DAC (engl. Direct Air Capture). Das so gewonnene CO2 kann ebenfalls gespeichert oder umgewandelt und wiederverwertet werden – etwa als Synthesegas, Treibstoff oder Rohstoff für die Industrie.

Ein Team von Helmholtz-Klima-Wissenschaftler:innen hat verschiedene BECCS- und DAC-Verfahren untersucht. Unter ihnen Roland Dittmeyer und Dominik Heß vom Karlsruher Institut für Technologie (KIT). Ihre Ergebnisse haben sie jetzt in einem Paper zusammengefasst.

Portrait Roland Dittmeyer
Portrait Roland Dittmeyer

Herr Dittmeyer, wie funktioniert eigentlich ein BECCS-Verfahren?

Roland Dittmeyer: Biomasse kann zur energetischen Nutzung auf verschiedene Weise umgewandelt werden: Sie kann verbrannt, vergast, pyrolysiert, fermentiert bzw. vergärt werden. Je nach Ausgangsmaterial – also zum Beispiel Stroh, Restholz, Gülle oder Gemüseabfälle – bieten sich andere Verfahren an, bei denen unterschiedliche Produkte entstehen: Wärme, mit der auch Strom erzeugt werden kann, Biogas, Biomethan, Bioethanol, Biokohle oder synthetische Biokraftstoffe. In der verschiedenen Umwandlungsverfahren entsteht immer auch CO2. Beim BECCS-Ansatz wird dieses CO2 entweder mittels Absorber oder Membran abgefangen und gespeichert oder zumindest in langlebige Produkte wie etwa Baustoffe umgewandelt. Entsprechend lassen sich die verschiedenen BECCS-Verfahren nach Biomasse, Umwandlungsverfahren, Abscheideverfahren für das CO2 und Zielprodukt klassifizieren.

Portrait Dominik Heß
Portrait Dominik Heß

Und wie sieht es mit den DAC-Verfahren aus, Herr Heß?

Dominik Heß: Bei DAC-Verfahren haben wir immer Luft als Ausgangspunkt. Durch große Ventilatoren wird sie durch einen Filter gezogen. Das Material, aus dem der Filter besteht, wird Sorbens genannt. Das Sorbens kann sowohl fest als auch flüssig sein. Das CO2 lagert sich dann entweder auf der Oberfläche ab oder dringt in das Material ein. In einem zweiten Schritt wird das CO2 wieder vom Material getrennt um dieses für den nächsten zu regenerieren. Dazu wird der Filter erwärmt. Hier unterscheidet man zwischen Hoch- und Niedertemperaturverfahren. Das CO2 wird dann entweder gespeichert oder in andere Produkte umgewandelt. DAC-Verfahren unterscheiden sich also nach Materialien, Temperaturniveau für die Regeneration und Sorbens.

Und zu welchem Ergebnis sind Sie gekommen? Was ist das Beste BECCS- oder DAC-Verfahren?

Dominik Heß: So einfach lässt sich das nicht sagen. Bei DAC hat jede Technologie ihre Daseinsberechtigung. Die Niedrigtemperaturverfahren haben den Vorteil, dass die Anlagen modular sind und deswegen auch sehr klein ausgeführt werden können. Daher lassen sie sich zum Beispiel auch gut in Lüftungsanlagen integrieren. Die Hochtemperaturverfahren lassen sich hingegen nur in groß realisieren, was aber auch Kostenvorteile mit sich bringt. Hier kann man mit standardmäßigen Komponenten sehr große Anlagen realisieren, die entsprechend viel CO2 aus der Luft filtern. In unserem Paper haben wir uns vor allem die Integration von DAC in Lüftungsanlagen angeschaut. Dabei sind wir auf Niedrigtemperaturverfahren und miniaturisierbare Umwandlungsverfahren angewiesen. Je einfacher ein Verfahren ist, desto besser.

Roland Dittmeyer: Generell lässt sich sagen, dass sowohl BECCS als auch DAC als notwendig erachtet werden, um die Klimaziele zu erreichen, sowohl für Deutschland als auch weltweit. Dabei unterscheiden sich die Standortbedingungen was verschiedene Länder angeht, aber auch innerhalb einzelner Länder sehr. Nicht jede Technologie ist überall gleich gut geeignet. So brauchen BECCS-Verfahren zum Beispiel generell viel Platz, weil die Flächenerträge bei der Erzeugung der Biomasse begrenzt sind und die Erzeugung nachhaltig sein sollte. Aus diesem Blickwinkel ist übrigens generell Abfallbiomasse (Stroh, Waldrestholz, Altholz, etc.) gegenüber Anbaubiomasse zu priorisieren. Daher brauchen wir ein gewisses Spektrum an Technologien, die für den jeweiligen Standort und Anwendungsfall am besten passen.

In welcher Dimension können BECCS- und DAC-Verfahren denn zum Klimaschutz beitragen? Wieviel CO2 können sie einsparen helfen?

Roland Dittmeyer: Der prognostizierte verbleibende CO2 Ausstoß für ein klimaneutrales Deutschland 2045 ist mit 47 Mio. t CO2-Äquivalenten deutlich geringer als die 772 Mio. t CO2-Äquivalente heute (Zahlen von agora Energiewende für 2021). Diese müssen durch BECCS mit einer Kapazität von 37 Mio. t CO2 und DACCS mit 20 Mio. t CO2 kompensiert werden. Zu diesem Schluss kommen zumindest Prognos, das Öko-Institut und das Wuppertalinstitut in ihrer Studie „Klimaneutrales Deutschland 2045“.

Gibt es schon BECCS- und DAC-Anlagen in der Anwendung oder werden sie bisher ausschließlich zu Forschungszwecken genutzt?

Dominik Hess: Die größte kommerzielle DAC-Anlage, Orca, steht in Island und hat eine Kapazität von 4.000 t CO2 pro Jahr. Zu ihren Kunden gehört unter anderem Microsoft. Auch in anderen Ländern gibt es DAC-Anlagen, wenn auch kleiner, etwa in der Schweiz. Außerdem sind neue große Anlagen in der Planung, eine in den USA, im mittleren Westen, und eine in England, jeweils in der Größenordnung von 1 Mio. t CO2 pro Jahr. BECCS wird ebenfalls bereits kommerziell betrieben, die größte Anlage steht ebenfalls im mittleren Westen der USA, in Illinois.

Für eine kommerzielle Nutzung muss es zunächst auch einen Markt geben, oder?

Roland Dittmeyer: Richtig, tatsächlich gibt es bereits jetzt einen Markt für negative Emissionen. Dort sind Organisationen aktiv, die nicht vermeidbare Emissionen durch einen freiwilligen Klimaschutzbeitrag kompensieren, mit dem zum Beispiel Bäume angepflanzt werden oder der Austausch von ineffizienten Technologien durch effizientere finanziert wird. Ein anderes Beispiel ist die Firma Climeworks mit ihrer Anlage Orca, bei der Unternehmen wie Microsoft dafür bezahlen, dass CO2 aus der Atmosphäre entfernt und im Boden in Gestein umgewandelt wird. Dieser Markt wird in Zukunft weiter wachsen.

Ist es denn wünschenswert, Emissionen im Nachhinein zu kompensieren? Wäre es nicht besser, diese von vorherein zu vermeiden?

Roland Dittmeyer: Wenn Firmen verpflichtet sind, ihre CO2-Emissionen zu reduzieren, überlegen sie sich: Was ist besser, Kompensation oder Vermeidung? Natürlich ist jedes Gramm CO2, das gar nicht erst ausgestoßen wird, besser. Denn die Kompensation über DAC und BECCS ist energieaufwendig. Das heißt, was wir vermeiden können, sollten wir vermeiden. Aber was nicht vermieden werden kann, muss kompensiert werden. Damit diese Kompensation dann, wenn sie gebraucht wird, auch kostengünstig zur Verfügung steht, ist es wichtig, diese Technologien jetzt zu entwickeln.

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