Was ist CO2-Kompensation?
Um die Erderwärmung zu begrenzen, muss der Ausstoß von Treibhausgasen weltweit entscheidend reduziert werden. Ab 2050 sollen menschliche Aktivitäten nur noch so viel Treibhausgase freisetzen, wie durch natürliche Senken oder mittels technischer Methoden wieder aus der Atmosphäre entnommen werden.
Manche Emissionen lassen sich derzeit aber nur schwer oder gar nicht vermeiden. Dienstleistungsagenturen bieten deshalb Emissionsminderungsgutschriften an, oft auch Zertifikate genannt. Der Kauf jedes Zertifikats soll den Ausstoß einer Tonne CO2 ‘kompensieren’: Mit den Einnahmen aus den Zertifikatsverkäufen unterstützen die Agenturen Klimaschutzprojekte, die den Ausstoß von Treibhausgasen um die entsprechende Menge reduzieren oder so viele Tonnen CO2 aus der Atmosphäre entfernen, wie Zertifikate gekauft wurden.
Andreas Oschlies betrachtet das Konzept der Treibhausgaskompensation skeptisch. „In unserer Forschungsgruppe benutzen wir den Begriff Kompensation überhaupt nicht“, sagt der Leiter der Forschungseinheit Biogeochemische Modellierung am GEOMAR Helmholtz-Zentrum für Ozeanforschung Kiel. Auch im Klimaabkommen von Paris kommt das Konzept nicht vor. „Ein Ausstoß von Treibhausgasen kann einzig dadurch ausgeglichen werden, dass dieselbe Menge an Treibhausgasen dauerhaft aus der Atmosphäre entnommen wird - ob durch technisches Carbon Capturing, oder indem man zum Beispiel einen zusätzlichen Baum pflanzt und wachsen lässt“, sagt Oschlies.
Die Zertifikatsanbieter zählen dagegen auch Maßnahmen als Ausgleich, bei denen Emissionen vermieden werden, die aber nicht aktiv zur Entnahme von CO2 aus der Atmosphäre beitragen.
Das kann zum Beispiel der Bau von Windparks sein, die Kohlekraftwerke ersetzen und damit den CO2-Ausstoß verringern. Viele Zertifikate stehen dafür, dass Wald an einer Stelle nicht abgeholzt wird. „Dafür bekommen Waldbesitzer Geld. Und im nächsten Jahr lassen sie sich das Nicht-Abholzen vielleicht noch einmal bezahlen, notfalls über einen anderen Zertifikatanbieter. Jedes Mal wird der Kohlenstoff des kompletten Waldbestands als vermiedene Emission gutgeschrieben“, bemängelt Andreas Oschlies. Und auch wenn man einen Baum pflanze, ergänzt er, müsse man sehr genau berechnen, welche Menge CO2 dieser über einen bestimmten Zeitraum tatsächlich aus der Luft aufnimmt.
Wie präzise und verlässlich Zertifikatsanbieter die eingesparte oder aus der Atmosphäre entnommene Menge an Treibhausgasen berechnen, die die unterstützten Maßnahmen ergeben, ist umstritten. Recherchen von Journalist:inne der „Zeit“ und des „Guardian“ ergaben im Jahr 2022, dass über 90 Prozent der Zertifikate eines der größten Anbieter auf dem Markt nicht die versprochene Einsparung an Treibhausgasen bringen. Auch Andreas Oschlies sagt: „Diese Zertifikate nutzen dem Klima rein gar nichts.“