22.08.2022
Lars Klaaßen

Zoonosen im Klimawandel: Menschen, Tiere, Mutationen

Menschen dringen immer tiefer in die Natur ein. Das führt zu Kontakten zwischen Mensch und Tier, bei denen Krankheiten übertrage werden können, zuletzt etwa Corona und die Affenpocken. Der Klimawandel verstärkt das Problem. Durch ihn sind viele Tiere dazu gezwungen, in andere Gebiete abzuwandern. Mögliche Krankheiten bringen sie dabei mit. Impfungen helfen zwar, doch es braucht noch andere Wege, den Risiken vorzubeugen.

Dass wir die Tollwut, Borreliose und die Vogelgrippe anderen Arten von Lebewesen zu verdanken haben, ist allgemein bekannt, der Name sagt es teilweise schon. Aber auch die klassische Grippe und Masern sind Zoonosen, also Krankheiten, die sowohl Tiere als auch Menschen infizieren. SARS-CoV-2 ist nach bisherigem Stand der Wissenschaft höchstwahrscheinlich von Fledermäusen auf den Menschen übertragen worden. Evolutionär sind solche Übertragungen nicht ungewöhnlich, da der Mensch dem Tierreich entstammt.

Hans-Hermann Thulke
Hans-Hermann Thulke
Hans-Hermann Thulke
©
UFZ

Bedingt berechenbar: alte Krankheiten auf neuen Wegen

„Zoonosen sind eigentlich ganz normale Krankheiten, die durch Erreger hervorgerufen werden, die sich ursprünglich auf eine Gruppe ausgewählter Tierarten spezialisiert hat“, erläutert Hans-Hermann Thulke, Leiter der Projektgruppe Ökologische Epidemiologie am Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung (UFZ). „Durch Kulturfolge, Habitatzerstörung, Klimaänderung und vor allem Globalisierung kommen diese Erreger zunehmend in Kontakt zu Menschen oder tauchen in anderen Regionen auf.“

Der Mathematiker erstellt ökologische Modelle zur Ausbreitung von Schadorganismen in Tierpopulationen und bei Menschen. Mit diesen Werkzeugen werden Entscheidungshilfen und Strategiekonzepte für Behörden entwickelt, die Tierseuchen managen müssen. Als Basis dienen einerseits empirische Daten zur Landschaft und zu Klimaparametern, andererseits Informationen von Virolog:innen und Immunolog:innen über Charakteristika eines Krankheitserregers. Auch soziale Aspekte können in Thulkes Modellen eine Rolle spielen, etwa inwiefern das Verhalten bestimmter Altersgruppen die Verbreitung eines Virus beschleunigt oder bremst. „Die Größe solch eines Modells ist eine Frage der Rechenzeit“, sagt der Wissenschaftler. „Über die regionale Ebene hinaus, also zum Beispiel für die ganze EU, wird eine Berechnung jedoch ungenauer, weil solch große Untersuchungsfelder bezüglich möglicher Einflussfaktoren selten einheitlich sind.“

Zivilisation trifft Natur: hallo Fremde

Wo sich Naturräume wandeln, verändern sich auch die Lebensräume von Pflanzen und Tieren – und damit die Möglichkeiten von Krankheitserregern, von einer Art Wirt auf eine andere Art zu wechseln, die bis dahin nicht (in diesem Maße) erreichbar war. „Dies geschieht unter anderem, wenn Menschen in die Naturräume anderer Lebewesen eindringen“, so Thulke. Im indischen Bundesstaat Mysore etwa grassiert die Kyasanur-Waldkrankheit. Sie verursacht bei Menschen Kopfschmerzen, Fieber, Rücken- und Gliederschmerzen, Erbrechen, Durchfall und Darmblutungen, kann unbehandelt gar zum Tod führen.

Das Virus infiziert kleine Säugetiere, darunter Ratten und Spitzmäuse, im örtlichen Regenwald und wird von mehreren Zeckenarten übertragen. Nur eine davon, die Haemaphysalis spiniger, befällt wiederum Menschen. Üblicher Wirt dieser Zecke ist der Ochse. „Wenn der Mensch durch den Anbau von Reis in Naturräume eindringt, streifen seine Ochsen – sein Arbeitsvieh -  in den umliegenden Regenwald und können von virusinfizierten Zecken befallen werden“, sagt Thulke. „Diese Zeckenpopulationen gelangen über die Rinder in die Dörfer und können die Infektion dort auf Menschen übertragen.“

Der Klimawandel wiederum zwingt Tiere dazu, ihr Habitat anders zu nutzen oder zu verlassen – womöglich als Träger von Krankheitserregern, die auch auf Menschen übertragen werden können. „Wenn diese Tiere sich bei uns etablieren können, bringen sie ihre Erreger mit“, sagt Thulke. „Insofern entsteht also keine Zoonose – sie wird aber für uns zur potenziellen Gefahr.“

Die Erreger

Zoonosen können sowohl von Viren als auch von Bakterien, Pilzen, Parasiten oder Prionen verursacht werden. Letztere sind Proteine, also Eiweiße, die im menschlichen beziehungsweise tierischen Organismus sowohl in normaler Form als auch in einer gesundheitsschädigenden Formen vorliegen. Dabei können pathologische Strukturveränderungen auf andere Proteine „übertragen“ werden. Dies ist etwa bei der Creutzfeld-Jakob-Krankheit der Fall.

Mit dem Flugzeug um die Welt

Die Wahrscheinlichkeit, dass aus einer regionalen Epidemie eine weltweite Pandemie wird, ist mit der enormen Mobilität des modernen Menschen in den vergangenen Jahrzehnten größer geworden. Mit dem Flugzeug bringen wir Erreger in Erdteile, wohin sie es ohne unsere Hilfe nie geschafft hätten. Schon vor Jahrhunderten konnte dies hin und wieder auf dem Land- oder Seeweg geschehen. Bekanntestes Beispiel ist die Pest. Diese Zoonose befällt Nagetiere und wird durch Flöhe von diesen auf andere Tiere und den Menschen übertragen. Das tödliche Ebola hat es bislang noch nicht in die interkontinental vernetzten Metropolen geschafft, die harmloseren Affenpocken erst vor Kurzem. Von dort können sie via Flugverkehr in kurzer Zeit weltweit verbreitet werden – in Städten wie auf dem Land. So wird aus einem regional isolierten Problem ein globales.

Fabian Leendertz
Fabian Leendertz
Fabian Leendertz
©
Helmholtz-Institut für One Health/ Eberhard

Erreger sind schnell, unser Immunsystem unvorbereitet

„Eine potenzielle Gefahr stellen Zoonosen für die menschliche Gesundheit vor allem deshalb dar, weil unser Immunsystem nicht auf sie vorbereitet ist“, erläutert Fabian Leendertz, Direktor des Helmholtz-Instituts für One Health (HIOH), das im April dieses Jahres gegründet worden ist. „Hinzu kommt, dass die Generationen von Viren sich deutlich schneller abwechseln, sich damit also auch evolutionär deutlich schneller verändern als Menschen.“ Das heißt: Die Krankheitserreger passen sich in kürzester Zeit an eine veränderte Umwelt an. Dies zeigt sich etwa in den vergangenen Jahren an den immer neu entdeckten Corona-Varianten, die durch Mutationen entstehen.

Moderne Impfentwicklungsmethoden haben sich schon bei einer Reihe von Zoonosen als äußerst erfolgreich erwiesen. Die Fähigkeit von Krankheitserregern, sich evolutionär schnell anzupassen, führt aber auch dazu, dass sie Resistenzen gegen Impfstoffe und Therapeutika entwickeln können. Dieses Risiko verschärft die von Zoonosen ausgehende Bedrohung weiter. So konzentriert sich die Forschung am HIOH unter anderem auf Bedrohungen durch das Auftreten neuartiger und die Veränderung bekannter Krankheitserreger, einschließlich deren antimikrobieller Resistenzen gegen gängige Medikamente und Impfstoffe. Der interdisziplinäre und systemische Ansatz ist jedoch weiter gefasst: „Unser besonderer Fokus liegt auf der Prävention, also Krankheitsausbrüche zu verhindern, und auf künftige Pandemien vorzubereiten“, sagt der Veterinärmediziner Leendertz. Dabei spielt der Austausch eine wichtige Rolle, etwa das Wissen über Hygienemaßnahmen, die an unterschiedliche Lebensweisen angepasst sind.

Ein weiterer Aspekt ist die frühzeitige Erfassung und Analyse von Daten. Je besser Labore weltweit vernetzt sind und Digital Health es ermöglicht, Diagnosen auch in abgelegenen Dörfern zu stellen und weiterzugeben, desto früher können Zoonosen erkannt und kleinere Feuer ausgetreten werden, bevor sich ein unkontrollierbarer Flächenbrand entwickelt.

Artikel teilen