"Wie will man bei 40 Grad einen kühlen Kopf behalten?"
In ihrem neuen Buch "Überhitzt" zeigt Medizinerin Claudia Traidl-Hoffmann, welche Folgen der Klimawandel für unsere Gesundheit hat. Im Gespräch mit Moderator und Komiker Dr. Eckart von Hirschhausen und ihrer Co-Autorin Katja Trippel erklärt sie, was wir tun können.
Hirschhausen: Claudia, wir sind uns über das Netzwerk KLUG begegnet. Das steht für die Allianz „Klimawandel und Gesundheit“, in der sich verschiedene Berufsgruppen aus dem Gesundheitswesen verbunden haben. Wie lange begleitet dich das Thema schon?
Traidl-Hoffmann: Schon eine Weile. Irgendwann hatte ich als Allergologin in meiner Ambulanz mit immer mehr Patientinnen und Patienten zu tun, deren Beschwerden nicht in das „normale“ Lehrbuchschema passten. Auf einmal kam da im Januar ein Teenager mit schwerem Heuschnupfen zu mir.
Hirschhausen: Was hast du dann gemacht?
Traidl-Hoffmann: Ich dachte: Das kann eigentlich nicht sein, das ist doch viel zu früh im Jahr! Wir haben dann Pollenfallen aufgestellt und nachweisen können, dass die Pollen tatsächlich schon so früh flogen. Spätestens da war meine Neugier als Wissenschaftlerin geweckt. Und schnell war klar: Hier sind so komplexe Veränderungen im Gange, dass man sie am besten interdisziplinär erforscht.
Hirschhausen: Wie hat das Interdisziplinäre dann in diesem konkreten Fall ausgesehen?
Traidl-Hoffmann: Wir haben einen Aerobiologen um Hilfe gebeten, der kennt sich mit kleinsten organischen Partikeln in der Luft aus. Mit ihm haben wir Daten zum Pollenflug der letzten dreißig Jahre aus ganz Europa angeschaut. Und die zeigen sehr deutlich, dass die Pollensaison immer früher beginnt, länger dauert und dass auch die Menge an Pollen zunimmt.
Hirschhausen: Mein Aha-Moment in Berlin war, als ich im Sommer 2018 meine Dachgeschosswohnung kaum mehr betreten konnte, weil es dort so heiß war, als wäre ich in einer Sauna. Dann will man das Fenster aufmachen, aber draußen ist es genauso heiß. Da spürte ich, wie mir die Klimaveränderung körperlich zu schaffen macht. Auch geistig, denn wie will man bitte bei vierzig Grad einen kühlen Kopf behalten?
Trippel: Stimmt, den braucht man. Aber selbst mit einem kühlen Kopf ist manches nicht zu verstehen. Ein Beispiel: Die Fachzeitschriften sind voll mit Studien über Hitzetote, über neue Insekten, die neue Viren übertragen, über das Allergiethema. Oft werden da auch gute Lösungsideen vorgeschlagen. Wie kann es dann trotzdem sein, dass das alles bislang weder in der Öffentlichkeit noch auf der Ebene der politischen Entscheiderinnen und Entscheider als relevantes Thema angekommen ist?
Hirschhausen: In der Medizin auch noch nicht. In meiner Ausbildung zum Arzt spielte das Thema Klimawandel überhaupt keine Rolle. Wir lernten etwas über Tropenkrankheiten wie das West-Nil-Fieber, aber keiner hat uns darauf vorbereitet, dass wir das jemals in echt diagnostizieren würden – vor unserer Haustür. Ist das heute anders, Claudia?
Traidl-Hoffmann: Unsere Medizinabsolventen bekommen bereits Examensfragen zum Thema. Aber wir sind immer noch weit weg von einem verbindlichen Lehrplan, anders als etwa in Frankreich. Dort lernen junge Medizinerinnen und Mediziner wie auch das künftige Pflegepersonal, wie sie beispielsweise bei Hitzewellen Dehydrierungen vorbeugen oder wie sie die Dosis der Medikamente anpassen müssen, etwa beim Blutdruck.
Trippel: So ließen sich auch bei uns im Sommer viele Leben retten!
Traidl-Hoffmann: Ja, das stimmt. Immerhin tut sich an vielen Unis inzwischen etwas, angestoßen durch einzelne engagierte Kolleginnen und Kollegen. Bei uns an der Technischen Universität München konnten wir zum Beispiel eine Summer School zum Thema Umweltmedizin einrichten, und die Studierenden nehmen das super dankbar an. Wenn‘s ums Klima geht, wissen viele Zwanzigjährige tatsächlich besser Bescheid als ihre Dozenten.
Hirschhausen: Das bestätigt meinen Eindruck von Klima-Aktionstagen und Seminaren, die KLUG neuerdings organisiert. Mich lässt das hoffen, dass das Klimathema zukünftig in den Gesundheitsberufen insgesamt eine viel größere Aufmerksamkeit erfährt als bisher. Vielleicht stimmt ja, was Victor Hugo mal gesagt hat: Nichts ist so machtvoll wie eine Idee, deren Zeit gekommen ist!
Traidl-Hoffmann: Größere Zusammenhänge lassen sich besser erkennen, wenn man sich mit Forschenden aus anderen Disziplinen austauscht. Aber es wächst auch bei den Institutionen das Bewusstsein für eine stärkere interdisziplinäre Forschung. Zum Beispiel haben verschiedene Helmholtz-Forschungszentren sich jetzt zur Helmholtz-Klima-Initiative zusammengetan, und in Augsburg entsteht ein Zentrum für Klimaresilienz.
Hitzekollaps, Asthma, Tigermücken und Corona: Das Buch "Überhitzt" der Medizinerin Prof. Dr. Claudia Traidl-Hoffmann vom Helmholtz Zentrum München und der freien Journalistin Katja Trippel erklärt die Folgen des Klimawandels für unsere Gesundheit. Auf 304 Seiten vermittelt es außerdem, was wir tun können, um uns und unsere Gesellschaft zu schützen.
Das Interview auf dieser Seite ist eine gekürzte Fassung des Vorwort-Gesprächs mit Dr. Eckart von Hirschhausen.
Hirschhausen: Toll, dass ihr euch jetzt um diese Zusammenhänge mal kümmert! In eurem Buch versammelt ihr bereits jede Menge interessante Aspekte. Ich bin sicher, dass viele Leserinnen und Leser mit medizinischen Vorkenntnissen oder ohne daraus was lernen können. Ich jedenfalls habe beim Blättern einige Dinge entdeckt, von denen ich vorher nichts wusste. Zum Beispiel das Gewitter-Asthma. Oder die Tigermücken, die sich inzwischen auch im wärmer gewordenen Baden-Württemberg vermehren.
Trippel: Die Mücken kommen als blinde Passagiere mit Autos und Lastwagen aus dem Süden und machen den Leuten in betroffenen Gegenden das Leben echt zur Hölle – auch wenn sie noch keine gefährlichen Viren übertragen. Betonung auf »noch«. Es ist ein Wettlauf gegen die Zeit. Und gegen die Wärme.
Traidl-Hoffmann: Ein Wettlauf, den wir nur gewinnen können, wenn wir zwei Dinge hinkriegen: weniger Klimawandel und mehr Anpassung.
Hirschhausen: Und, was meint ihr? Kriegen wir’s hin?
Traidl-Hoffmann: Ja, wenn viele mitmachen – und das schnell! Um unserer eigenen Gesundheit und insbesondere der unserer Kinder willen sollten wir alles dafür tun, die im Pariser Klimaabkommen gesetzten Ziele zu erreichen. Jedes Zehntelgrad über dem Limit von 1,5 Grad mehr im Vergleich zu vorindustriellen Zeiten werden wir an Leib und Seele zu spüren kriegen. Wir spüren sie ja bereits heute.
Trippel: Daher gehen wir auch auf die Frage ein, wie wir uns an diesen Wandel anpassen können – als Einzelne und als Gesellschaft. Da wird’s im Buch dann psychologisch: Warum sind wir so verdammt gut darin, die Gefahren der Klimaerwärmung zu verdrängen, statt endlich zu handeln?
Traidl-Hoffmann: Apropos Verdrängen: Der Gesundheitssektor selbst ist für fast fünf Prozent des weltweiten CO2-Ausstoßes verantwortlich!
Hirschhausen: Das weiß kaum jemand. Aber auch da wächst langsam das Bewusstsein. Ich unterstütze gerade eine Initiative der Anästhesisten, auf besonders klimaschädliche Narkosegase zu verzichten, die in der Atmosphäre viel schlimmer wirken als CO2. Der Energieverbrauch pro Krankenbett ist in der Größenordnung von einem Einfamilienhaus, da gibt es jede Menge zu tun, um energieeffizienter zu werden und auch weniger Müll zu produzieren.
Trippel: Und ebenso viel, um verletzliche Gruppen besser gegen Hitze zu schützen, also Kinder, Kranke und Ältere. Gerade in den Städten gibt es zum Glück bereits viele gute, praktisch erprobte Ansätze: Die einfachste lautet: Bäume pflanzen. Sie wirken in der Stadt wie lebendige Klimaanlagen.
Hirschhausen: Ich merke immer mehr, wie die drei großen Krisen unserer Zeit – die Pandemie, die Klimakrise und das Artensterben – zusammenhängen. Dafür gibt es sogar zwei neue Begriffe: „One Health“ und „Planetary Health“. Damit ist gemeint, dass ein Problem wie beispielsweise antibiotikaresistente Keime nicht nur an einer Stelle auftritt, sondern sowohl bei den Tieren als auch bei den Menschen und in der Umwelt eine Rolle spielt – und auch nur durch eine gemeinsame Anstrengung gelöst werden kann.
Traidl-Hoffmann: Die aktuelle Corona-Pandemie war leider auch eine Katastrophe mit Ansage – dabei hatten wir genug Beispiele, aus denen wir schon etwas hätten lernen können. Zum Beispiel werden ja die sogenannten Zoonosen wie Corona, Ebola, SARS oder auch HIV deshalb häufiger, weil wir Menschen immer stärker in die Lebensräume der Tiere eindringen, die Wildtiere jagen, auf Märkten feilbieten und essen, statt sie in Ruhe zu lassen.
Hirschhausen: Einmal mehr bestätigt sich: Gesunde Menschen gibt es nur auf einer gesunden Erde.
Trippel: Schön gesagt – und danke für deine Neugier. Dir viel Glück mit deiner Stiftung „Gesunde Erde – Gesunde Menschen“. Und natürlich mit deinem neuen Buch „Mensch Erde – Wir könnten es so schön haben“, das am 18. Mai erscheint.
Traidl-Hoffmann: Wir wünschen dir und uns viele Leserinnen und Leser! Und dass wir gemeinsam die Kurve kriegen.
„Wir führen allein in den Arztpraxen jedes Jahr über eine Milliarde Gespräche mit Patienten und deren Angehörigen. Wo es hinpasst, können wir da auch über die Gesundheitsgefahren der Erderwärmung und über Präventionsmaßnahmen sprechen, die gut sind für den Einzelnen und für den Planeten.“
Dr. med. Martin Herrmann ist Initiator und Sprecher der Deutschen Allianz Klimawandel und Gesundheit (KLUG), in der sich auch Claudia Traidl-Hoffmann engagiert.