04.03.2024
Komila Nabiyeva

Segeln für Sauerstoff

Seit 2023 können Segler:innen in der westlichen Ostsee buchstäblich Daten für die Wissenschaft angeln. Wie Segeln der Ozeanforschung hilft und wie man mitmachen kann, erzählt Toste Tanhua, chemischer Ozeanograph am GEOMAR Helmholtz-Zentrum für Ozeanforschung Kiel und Leiter des Citizen Science Projekts "Sailing for Oxygen".

Toste Tanhua mit einer Sonde
Toste Tanhua mit einer Sonde
Toste Tanhua
©
Sarah Kaehlert/GEOMAR

Herr Tanhua, wie ist die Idee für das Citizen Science Projekt "Sailing for Oxygen" (auf Deutsch "Segeln für Sauerstoff") entstanden?

Ich habe bereits mit Profisegler:innen bei der Beschaffung von Daten für die Wissenschaft zusammengearbeitet und habe daran gedacht, wie man Menschen, die in ihrer Freizeit segeln, einbeziehen kann. Später habe ich einen Vortrag über ein Projekt mit Fischer:innen in Kanada gesehen, die wissenschaftliche Daten mit Sonden gesammelt haben. So ist die Idee für unser Projekt "Sailing for Oxygen" in Partnerschaft mit dem Segelverein Trans-Ocean entstanden. Letztes Jahr haben wir eine Zusage für die Finanzierung vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) bekommen. 

Was sind die Ziele des Projektes und wie funktioniert das Projekt?

Unser Ziel ist es, die Sauerstoffverteilung in der südlichen Ostsee und in der Kieler Bucht zu beobachten und besser zu verstehen. Praktisch funktioniert es so: registrierte Segler:innen oder Bootsfahrer:innen können sich an ausgewählten Standorten eine Sonde, ein Messgerät, welches den Sauerstoffgehalt im Wasser misst, abholen. Dazu bekommen sie noch eine Angel. Wenn das Wassertief genug ist, am besten über 20 Meter, und der Wind richtig steht, lassen sie die Sonde ins Wasser und messen den Sauerstoffgehalt. Sie können über drei bis vier Tage segeln, Daten sammeln, und das Messgerät anschließend an einem anderen Standort abgeben. 

Wie viele Daten haben Sie so bereits erfasst und was passiert mit diesen Daten? 

Letztes Jahr sind erstmal Pilotmessungen mit zwei Messgeräten gelaufen. Da wir erst Mitte Juli angefangen haben, waren es rund 30 Messungen, die wir erfassen können. 

Die Daten werden über eine App an das GEOMAR weitergeleitet und in unserem Daten-Portal Beluga gespeichert. Auf sie kann jeder zugreifen und sie nutzen. Unter anderem werden wir die Daten an die deutschen und dänischen Wissenschaftler:innen sowie an den Europäische Copernicus Marine Service weitergeben. Außerdem einmal im Jahr sammeln wir alle Daten für einen Bericht, der im Portal EMODnet öffentlich zugänglich ist. 

Warum sind die Daten zur Sauerstoffverteilung in der Ostsee für die Forschung wichtig?

Die Ostsee ist in zwei Wasserschichten geteilt: salzarmes Wasser an der Oberfläche und sauerstoffarmes salzigeres Wasser in den Tiefen. Der Unterschied im Salzgehalt wirkt wie eine Sperre, die die Durchmischung dieser Schichten verhindert. Über die Meeresstraßen, die Nord- und Ostsee verbinden, fließt im Winter salzhaltiges und dadurch dichteres und schwereres Wasser aus der Nordsee in die tiefen Schichten der Ostsee. Dieses Wasser ist meistens reich an Sauerstoff. Im Sommer stirbt Phyto- and Zooplankton in den oberen Wasserschichten, sinkt auf den Meeresboden ab und wird unter Verbrauch von Sauerstoff zersetzt. Dadurch entsteht ein Sauerstoffmangel in der unteren Wasserschicht. Irgendwann wird es dadurch schwer für die Fische und andere Meerestiere zu überleben. 

Dieses Phänomen ist teilweise auf den Klimawandel zurückzuführen und teilweise auf die Überdüngung in der Landwirtschaft. Die Pflanzennährstoffe landen mit dem Flusswasser in der Ostsee und verstärken das Wachstum von Phytoplankton. Dadurch kommt mehr Phytoplankton in das Tiefenwasser und mehr Sauerstoff in den Tiefen wird verbraucht.  

In der Ostsee gibt es inzwischen große Gebiete ohne Sauerstoff oder mit nur sehr wenig Sauerstoff. Diese Gebiete dehnen sich über die Zeit aus. Deshalb ist es wichtig, die Sauerstoffverteilung zu beobachten, um die Wissenschaft dahinter zu verstehen und die Qualität der Ostsee zu bewahren. Außerdem sind diese Daten für Angler:innen und Fischereien sowie die Umweltbehörden wichtig. Man kann besser abschätzen, wie der Zuwachs von Fischen im kommenden Jahr wird. 

Wie war das Feedback von den Segler:innen, die bis jetzt an dem Projekt teilgenommen haben?

Sehr positiv und enthusiastisch. Unter anderem gab es Kommentare wie "Wir sind jetzt ein Forschungsschiff! Wir machen die Wissenschaft". Es gab auch ein paar technische Probleme mit der App und der Elektronik. Mit dieser Erfahrung bauen wir dieses Jahr die Systeme umfassender und besser auf. 

Wie geht es also weiter? 

Anfang Mai beginnt die Segel-Saison. Wir sind gerade dabei, sechs zusätzliche Messgeräte zu bestellen sowie die neuen Standorte zur Abholung von Geräten und Materialien zu organisieren. Interessierte Segler:innen können sich auf der Webseite des Segelvereins Trans-Ocean anmelden. Der Verein kümmert sich um die Logistik und ist seit Anfang an sehr enthusiastisch dabei.

Citizen Science: Sailing for Oxygen

Im Citizen Science Projekt „Sailing for Oxygen“ erhalten teilnehmende Segeler:innen eine Sonde, die Sauerstoff, Temperatur, Druck und Salzgehalt erfasst. Die Sonde wird mit einer Hochsee-Angelrute tief ins Wasser gelassen und über eine App per Mobiltelefon gesteuert. Die gemessenen Daten werden mit dem Standort an das GEOMAR weitergeleitet und im Daten-Portal Beluga veröffentlicht. 

Das Projekt wird vom GEOMAR Helmholtz-Zentrum für Ozeanforschung Kiel in Partnerschaft mit dem Trans-Ocean – Verein zur Förderung des Hochseesegelns e.V. durchgeführt. GEOMAR verantwortet dabei die technische und wissenschaftliche Konzeption sowie die Datenanbindung und -auswertung. Trans-Ocean e.V. übernimmt die Aktivierung und Koordination von Segler:innen und bindet weitere Vereine ein. Das Projekt mit einem Zeitraum von 2023 bis 2026 wird vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) mit rund 150.000 Euro gefördert.

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