07.06.2023
Komila Nabiyeva

Alarmstufe rot: Rekordhitze in den Ozeanen

Unsere wichtigste natürliche Klimaanlage ist in Gefahr: Die Ozeane erwärmen sich stärker und schneller als je zuvor. Dazu könnte noch dieses Jahr das Wetterphänomen El Niño kommen. Für die Menschen und die Ökosysteme kann dies gravierende Folgen haben.

Am 17. Mai schlug die Weltorganisation für Meteorologie (WMO) Alarm: eins der kommenden fünf Jahren wird mit hoher Wahrscheinlichkeit das wärmste seit Beginn der Aufzeichnungen. Damit könnte erstmals die weltweite Durchschnittstemperatur für ein gesamtes Jahr um 1,5 Grad wärmer sein als zu vorindustrieller Zeit. 

Der WMO zufolge wird der zukünftige Temperaturrekord einerseits durch die weiter steigenden Treibhausgasemissionen, andererseits durch das Wetterphänomen El Niño angetrieben. Die El Niño-Periode tritt alle zwei bis sieben Jahre im Pazifikraum auf und wirkt weitreichend auf das globale Klima aus: so kommt es etwa im westlichen Südamerika zu starken Regenfällen und Überschwemmungen und in Australien zu Dürren und Waldbränden. Anfang Mai erklärte die WMO, dass die Wahrscheinlichkeit, dass sich ein El Niño entwickelt, für den Zeitraum zwischen Juni und August bei 70, zwischen Juli und September bei 80 Prozent liegt.

Ozeane als wichtige Klimapuffer

El Niño könnte die ohnehin steigende Temperatur an Land und im Meer in die Höhe treiben. Bereits im April hat die US-amerikanische University of Maine einen neuen Rekordwert von 21,1 Grad der globalen durchschnittlichen Meeresoberflächentemperatur gemessen. Er übersteigt den vorherigen Rekord von 21 Grad aus dem Jahr 2016, dem bislang heißesten Jahr seit Beginn der Aufzeichnungen. 

Die Ozeane sind wichtige Klimapuffer auf der Erde: Sie haben über Jahrzehnte etwa 25 Prozent der von Menschen verursachten CO2-Emissionen gespeichert und damit eine noch schnellere Erderwärmung verhindert. Außerdem speichern sie den größten Teil der zusätzlichen Wärmeenergie, die durch den menschengemachten Treibhauseffekt auf der Erde verbleibt. So hat eine Studie im Fachmagazin Earth Systems Science Data gezeigt, dass die Ozeane zwischen 1971 und 2020 bis zu 90 Prozent dieser Wärme aufgenommen haben.

Thorsten Reusch auf der Forschungsfahrt in der Ostsee
Thorsten Reusch auf der Forschungsfahrt in der Ostsee
Thorsten Reusch auf der Forschungsfahrt in der Ostsee
©
Sarah Kaehlert/GEOMAR

„Der Ozean hat bisher wie eine große kühlende Klimaanlage gewirkt. Diese Klimaanlage überhitzt sich langsam“, erklärt Thorsten Reusch, der den Forschungsbereich Marineökologie am GEOMAR Helmholtz-Zentrum für Ozeanforschung in Kiel leitet. „Danach wird es sowohl im Meer, aber auch an Land ungemütlich, denn Temperaturspitzen werden immer schlechter abgedämpft“.

Als Folge wird es immer mehr Hitzewellen an Land und im Meer geben, sagt Reusch. „Im Meer sind die Hitzewellen absolut gesehen nicht so krass wie am Land, aber länger andauernd und vor allem großflächig, so dass viele marine Organismen nicht ausweichen können“. Dass sich die Häufigkeit von marinen Hitzewellen seit 1982 verdoppelt und ihre Intensität zugenommen hat, hat auch der Weltklimarat IPCC in seinem Sonderbericht über Ozean und Kryosphäre 2019 nachgewiesen. Bei einer globalen Erwärmung von zwei Grad wird die Häufigkeit um das 20-fache steigen, so der IPCC.

Auswirkungen für die Ökosysteme

Laut Reusch funktioniert die Temperatur in den Ozeanen wie ein Hauptregler: „Sie beeinflusst fast alle biologischen Prozesse, von der Biochemie bis hin zu Ökosystemprozessen.“ Deshalb wird es mittel- und langfristig zu tiefgreifenden und schnellen Umstrukturierungen der marinen Ökosysteme kommen. „Die Arten, die mit ihren entsprechenden Klimazonen mitwandern können, werden das tun und tun dies auch schon heute, andere bleiben zurück und sterben im Extremfall lokal aus,“ so Reusch. 

Die Korallen im Roten Meer
Die Korallen im Roten Meer
Feind Nummer eins der Korallen ist die globale Erwärmung
©
Thorsten Reusch/GEOMAR

Die Erwärmung der Weltmeere kann zum Massensterben von Algenwäldern führen, Epidemien unter den für Ökosysteme existenziell wichtigen Arten wie Seesternen auslösen und die Korallenbleiche in vielen Meeresregionen beschleunigen. 2022 sind infolge der massiven Hitzewelle im Mittelmeer unter anderem Schwämme, Gorgonien und Edelkorallen massenhaft abgestorben, sagt Reusch. 

„Besonders kritisch ist dieser Temperaturanstieg für die Tropen, denn dort sind viele Organismen ohnehin schon am physiologischen Limit, aber auch an den Polen, denn dort sind die Organismen sehr temperatursensibel und können nicht in noch höhere Breitengrade ausweichen“.

Folgen für die Menschen 

Da Ozeane aufgrund ihrer enormen Massen große Mengen von Wärme aufnehmen können, dauert es Jahrhunderte, bis sie sich vollständig in die Tiefen aufwärmen. Warmes Wasser dehnt sich aus und trägt zusätzlich zum schmelzenden Polareis dazu bei, dass der Meeresspiegel steigt. Das heißt, der globale Meeresspiegel kann für mehrere Jahrhunderte steigen, selbst wenn keine Treibhausgase mehr ausgestoßen werden. Dadurch sind Millionen von Menschen, die in niedrig gelegenen Küstengebieten und in kleinen Inselstaaten wohnen, direkt bedroht. 

Braunalgen, Rotalgen und Seegras in der Ostsee
Braunalgen, Rotalgen und Seegras in der Ostsee
Braunalgen, Rotalgen und Seegras sind von den hohen Meerestemperaturen bedroht.
©
Thorsten Reusch/GEOMAR

Die Erwärmung gefährdet auch die wichtigen Ökosystem-Dienstleistungen von Ozeanen für Menschen. So wird etwa die Hälfte des Sauerstoffs der Atmosphäre durch Photosynthese der Meerespflanzen wie Algen und Seegras produziert. Die Fisch- und Meeresprodukte stellen einen erheblichen Beitrag zur menschlichen Ernährung dar. Mangroven, Seegras und Korallen sorgen für Küstenschutz vor Stürmen und Hochwasser. Auch für die Gesundheit der Menschen hat das Folgen, sagt Reusch. „Warmes Wasser hat beispielsweise ab 25 Grad sehr viel mehr potenziell gefährliche Bakterien“.

Um die weitere Erwärmung der Meere zu verhindern sowie ihre gravierenden Folgen einzugrenzen, muss die Menschheit rasch handeln, so Reusch. Ihm zufolge ist es wichtig, jetzt schnell Netto-Null-Treibhausgasemissionen zu erreichen sowie flankierend Carbon Capture and Storage (CCS) und naturbasierende Lösungen zur CO2-Speicherung anzuwenden. „Allerdings wird die Bremsspur selbst beim Einhalten des Pariser Ziels sehr lang sein, dass heißt wir werden uns regional auch im Meer auf häufigere Extremereignisse einstellen müssen“, ergänzt Reusch.

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