Eine Chance für Natur und Klima: Das Rahmenabkommen von Montreal
Nach knapp zweiwöchigen Verhandlungen hat die Weltgemeinschaft in Kanada ein neues Rahmenabkommen zur Bewahrung der biologischen Vielfalt auf der Erde geschlossen. Es enthält 23 Ziele, die äußerst wichtig für Natur- und Klimaschutz sind. Die Frage ist nur, welche davon auch wirklich erreicht werden.
Manche Beobachter:innen hatten schon befürchtet, die Weltnaturschutzkonferenz werde in die Verlängerung gehen oder gar ganz ohne Ergebnis enden. Zu groß schienen zwischenzeitlich die Interessenkonflikte zwischen den 196 Staaten, die seit zwei Jahren über ein neues Rahmenabkommen verhandelten. Doch am Morgen des 19. Dezember 2022 gelang die historische Entscheidung: Die Verhandler:innen einigten sich bei der CBD COP15-Konferenz im kanadischen Montreal auf einen neuen Pakt zum Schutz von Natur und Biodiversität, das Kunming-Montreal-Rahmenabkommen.
Zum Finale waren die Ministerinnen und Minister angereist, darunter Bundesumweltministerin Steffi Lemke. Die konferenzleitende chinesische Regierung bat Sonderbeauftragte zum Vermittlungseinsatz, darunter den Staatssekretär im deutschen Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung, Jochen Flasbarth. Am 18. Dezember konnte die chinesische Regierung die Ergebnisse des intensiven Ringens endlich in einem finalen Abkommensentwurf zusammenfassen, der nach letzten Auseinandersetzungen erst spät in der Nacht beschlossen wurde. Das Papier setzt deutlich stärkere Ziele, als viele Beobachter erwartet hatten.
Mehr als befürchtet – und trotzdem gibt es Zweifel
So hatten Staaten im globalen Süden finanziellen Ausgleich von den wohlhabenden Ländern der Nordhalbkugel gefordert, um ihre intakten Naturflächen zu bewahren. Wenn sie die Flächen wirtschaftlich nicht oder nicht voll nutzen können, befürchten sie Einbußen. In Montreal schien in diesem Finanzstreit zunächst keine Lösung in Sicht. Dann konnten sich die Länder doch auf einen Kompromiss einigen. Mit dem „Kunming-Montreal Global Biodiversity Framework (GBF)“ wurden 23 Ziele (Targets) beschlossen, die die Zerstörung der biologischen Vielfalt und das Aussterben von Tier- und Pflanzenarten stoppen und eine Trendumkehr einleiten sollen, an deren Ende der Einklang menschlichen Lebens mit der Natur und ein Stopp des Artensterbens stehen.
„Die Ziele sind in vielen Fällen viel zu vage formuliert, es gibt keine definierten Schritte, wie sie erreicht werden sollen, kein Monitoring des Fortschritts“, sagt Almut Arneth, Ökosystemforscherin am Institut für Meteorologie und Klimaforschung am Karlsruher Institut für Technologie (KIT). „Ich bin leider nicht sehr optimistisch, dass die Menschheit sich bei Biodiversität und Ökosystemen besser schlagen wird als beim Klimawandel. Vergessen wir nicht, im Jahr 2022, sieben Jahre nach dem Pariser Klimaabkommen, steigen die CO2- und Treibhausgasemissionen munter weiter an!“
Nichtregierungsorganisationen teilen diese Skepsis. Die Umweltschutzorganisation Greenpeace kritisiert, dass das Abkommen industrielle Fischerei oder Holzeinschläge in Schutzgebieten nicht prinzipiell ausschließe. Der Naturschutzbund NABU forderte Nachschärfung: Dem Abkommen fehlten Möglichkeiten, die Ziele zu kontrollieren und nachzuschärfen sowie klare Umsetzungspflichten. Zudem nehme das Abkommen die eigentlichen Treiber der Krise, den Konsum, die Finanzsysteme, sowie Fischerei und Land- und Forstwirtschaft nicht genügend in den Blick.
Naturschutz ist auch fürs Klima immens wichtig
Viele der 23 Ziele sind auch für den Klimaschutz relevant. Denn intakte Ökosysteme speichern das klimaschädliche Kohlendioxid (CO2). Ihre Zerstörung setzt CO2 frei und reduziert die Speicherkapazitäten der Natur für CO2. Besonders wichtig für den Klimaschutz sind deshalb folgende nun beschlossenen Ziele:
- Bis 2030 werden mindestens 30 Prozent der weltweiten Landfläche und Meeresfläche unter Naturschutz gestellt (Target 3).
- Bei 30 Prozent der geschädigten Flächen soll bis 2030 angefangen werden, sie wiederherzustellen und zu renaturieren (Target 2).
- Schädliche Wirkungen und Umweltrisiken durch den Einsatz von Pestiziden und Dünger in der Landwirtschaft sollen bis 2030 halbiert werden (Target 7).
- Die Staaten ergreifen Maßnahmen, um den Schutz der Biodiversität im Bewusstsein von Produzent:innen und Konsument:innen zu verankern (Targets 15 und 16).
Biodiversität: Warum gehandelt werden muss
Eine wichtige Grundlage für die Beschlüsse der Montrealer Konferenz lieferte im Frühjahr 2019 das Global IPBES-Assessment zu Biodiversität und Ökosystemleistungen. Der Expert:innen-Bericht bezifferte die Zahl der vom Aussterben bedrohten Arten auf 1 von etwa 8 Millionen. Menschliches Handeln hat 75 Prozent der Landoberfläche und 66 Prozent der Meeresfläche verändert, über 85 Prozent der Feuchtgebiete gingen in den letzten 300 Jahren verloren, und die weltweite Waldfläche ist gegenüber dem vorindustriellen Zeitalter um rund ein Drittel kleiner.
Um diese und weitere Ziele umzusetzen, braucht es viel Geld. Im Vorfeld der Konferenz war von 700 Milliarden US-Dollar jährlich die Rede. Im Abkommen wurde nun folgendes beschlossen:
- Reichere Länder sollen den ärmeren Ländern mit schützenswerter Natur bis 2025 jährlich mindestens 20 Milliarden US-Dollar als Ausgleich zahlen. Bis 2030 soll diese Summe auf mindestens 30 Milliarden US-Dollar steigen (Target 19).
- 200 Milliarden US-Dollar pro Jahr sollen insgesamt bis 2030 in allen beteiligten Staaten für die Biodiversität mobilisiert werden (Target 19), inklusive der genannten Ausgleichszahlungen.
- Subventionen und Fehlanreize in Produktionsweisen, die die Umwelt schädigen, sollen weltweit um 500 Milliarden US-Dollar pro Jahr gekürzt werden (Target 18).
„Alle diese Maßnahmen sind essentiell“, sagt Almut Arneth vom Karlsruher Institut für Technologie (KIT). Ökosysteme können ihren Beitrag leisten, so Arneth, doch hauptsächlich müssten die Treibhausgas-Emissionen insgesamt sinken. „Und zwar schnell“, sagt sie und verweist auf eine Wechselwirkung: „weil sonst der Klimawandel nicht nur die Biodiversitätsziele zunichte machen wird, sondern im Gegenzug auch die Klimawandelminderung selbst, die mit intakten Ökosystemen einhergeht.“ Vor allem der Abbau schädlicher Subventionen für landwirtschaftliche Praktiken, die der Natur schaden, seien deshalb wichtig, erklärt Arneth – denn damit setze das Abkommen auch an der Reduktion der Treibhausgas-Emissionen, zumindest denen aus der Landwirtschaft, direkt an.
Nationale Strategien für die Umsetzung
Von solchen Maßnahmen wird abhängen, was das Abkommen am Ende tatsächlich bewirken kann. Die Länder haben nun einiges an Arbeit vor sich. Sie müssen die Gebiete festlegen, die sie schützen wollen. Für die Meere muss ein weiteres Abkommen verhandelt werden, das Gebiete weit draußen schützen kann, die außerhalb nationaler Hoheitsgebiete liegen.
Die Konferenzergebnisse müssen auf nationaler Ebene in den einzelnen Staaten umgesetzt werden. Laut Abkommen entwickelt jeder Staat eine nationale Biodiversitätsstrategie. Wer schon wie Deutschland eine Strategie hat, soll sie überarbeiten. Die deutsche Nationale Biodiversitätsstrategie NBS soll daher neu aufgelegt werden und die Kommunen als lokale Handlungsträger vor Ort besser einbinden. Vor Ort gilt es schließlich zu überzeugen und zu entscheiden, ob und wie eine Fläche genutzt wird.
In der Europäischen Union (EU) gibt es bereits seit 2020 eine Biodiversitätsstrategie. Sie enthält ähnliche Ziele wie das Montrealer Abkommen. Hier zeigt sich bereits, wie schwierig die Umsetzung ist – gerade erst wurde der Einsatz des Pestizids Glyphosat um ein weiteres Jahr verlängert.
Über ihre Strategien, Maßnahmen und Ergebnisse sollen die unterzeichnenden Staaten Bericht erstatten. Doch die Kriterien müssen teilweise noch festgelegt werden. Was passiert, wenn sie zu wenig tun oder die Ziele des Biodiversitätsabkommens aus anderen Gründen nicht erreichen, bleibt offen. Nachbesserungen sind möglich, Sanktionen dagegen nicht. Im Gegenteil, im Abkommen ist explizit die Rede von einer Umsetzung in „unterstützender, nicht strafender Weise“. Die Weltgemeinschaft wolle die Souveränität jeder Nation respektieren und übermäßige Belastungen vermeiden.