21.12.2023
Denise Müller-Dum und Jens Kube

Lehren für die Zukunft

Paläoklimatolog:innen untersuchen das Klima der Vergangenheit. Das hilft nicht nur beim Verstehen der Erdgeschichte, sondern verrät auch Einiges über die Zukunft auf unserem Planeten.

Das Bohrkernlager des International Ocean Discovery Program (IODP) im Bremer MARUM
Das Bohrkernlager des International Ocean Discovery Program (IODP) im Bremer MARUM
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MARUM – Zen­trum für Ma­ri­ne Um­welt­wis­sen­schaf­ten, Uni­ver­si­tät Bre­men

Von arktischen Urwäldern bis zu Gletschern in Äquatornähe: Die Erde hat eine bewegte Klimageschichte. Forschende der Paläoklimatologie nehmen diesen Wandel unter die Lupe. Wie sich das Klima verändert, lässt sich zum Beispiel an der Erdoberflächentemperatur oder dem Niederschlag ablesen. Allerdings werden diese Messgrößen noch nicht lange systematisch erfasst. „Qualitativ hochwertige Messdaten stehen erst seit etwa 150 Jahren flächendeckend zur Verfügung“, sagt der Paläoklimaforscher Gerrit Lohmann vom Alfred-Wegener-Institut Helmholtz-Zentrum für Polar- und Meeresforschung (AWI) in Bremerhaven. 

Bei der Spurensuche in der prähistorischen Erdvergangenheit setzen Forschende deshalb auf indirekte Messungen. Dafür müssen sie Relikte der Vergangenheit bergen und analysieren. Solche Klimaarchive finden sich in Objekten, die schon seit vielen Jahrhunderten, Jahrtausenden oder gar Jahrmillionen wachsen – beispielsweise in Bäumen (Jahrhunderte), Gletschereis (Jahrtausende) oder Ozeansedimenten (Jahrmillionen). Während die Untersuchung von Bäumen technisch recht leicht zu bewerkstelligen ist, werden Eis und Sediment bei Expeditionen mit schwerem Gerät zutage befördert. „Je tiefer man bohrt, umso tiefer blickt man in die Vergangenheit“, sagt der Klimaforscher Mahyar Mohtadi vom MARUM Zentrum für Marine Umweltwissenschaften in Bremen, das ein Lager für Bohrkerne vom Ozeanboden beherbergt.

Schicht um Schicht in die Vergangenheit

Bohrkerne aus Eis oder Sediment werden mit speziellem Bohrwerkzeug gewonnen, das innen hohl ist. Holt man die Bohrer hoch, steckt darin eine Stange Eis bzw. Ozeanboden. Wie weit diese Sediment- oder Eisschichten in die Vergangenheit reichen, verrät eine Datierung. „Beim Eis kann man zunächst die Lagen, die sich aus den jährlichen Schmelzphasen ergeben, abzählen – ähnlich wie bei Baumringen“, erklärt AWI-Forscher Gerrit Lohmann. Auch Lagen von Vulkanasche liefern Altersmarkierungen. Enthält das Archiv Kohlenstoff, so lässt es sich mit der Radiokarbonmethode datieren. Dabei analysieren Wissenschaftler:innen die Menge des radioaktiven Kohlenstoffs. Je weniger davon in einer Probe vorhanden ist, desto älter ist sie. Auch Varianten anderer Elemente lassen Schlüsse auf das Alter einer natürlichen Substanz zu. „Eigentlich ist es ein Puzzlespiel von vielen verschiedenen Informationen, die man zusammenführen muss“, sagt Lohmann. Immerhin gibt das Puzzle Aufschluss über viele Jahrtausende Erdvergangenheit: Eiskerne aus der Antarktis reichen bis zu 800 000 Jahre zurück, Sedimente vom Meeresboden noch viel länger. 

Lagerung der Bohrkerne
Lagerung der Bohrkerne
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MARUM – Zen­trum für Ma­ri­ne Um­welt­wis­sen­schaf­ten, Uni­ver­si­tät Bre­men
Sedimentkerne im Labor
Sedimentkerne im Labor
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MARUM – Zen­trum für Ma­ri­ne Um­welt­wis­sen­schaf­ten, Uni­ver­si­tät Bre­men

Kennt man das Alter der Schichten, so kann man andere Eigenschaften in den Blick nehmen, die Aufschluss über das damals herrschende Klima geben. Beispielsweise liefern eingeschlossene Luftbläschen Informationen über die damalige Zusammensetzung der Atmosphäre. Verhältnisse bestimmter Elemente oder ihrer Isotope, also Varianten, zueinander, verraten etwas über die Luft- oder Wassertemperatur oder die Niederschlagsmenge. Mithilfe vieler solcher Messdaten lässt sich in kleinteiliger Arbeit das Klima der Vergangenheit rekonstruieren.

Das zweite Werkzeug der Paläoklimatolog:innen sind Computermodelle. Darin beschreiben sie ihr Wissen über das Klimasystem mithilfe mathematischer Gleichungen. „Das beginnt mit einer einfachen Energiebilanz: Man rechnet aus, wie viel Sonnenstrahlung reinkommt, wie viel davon zurückgestreut wird, und ermittelt daraus die Temperatur“, erklärt Gerrit Lohmann. Dann berücksichtige man sukzessive weitere Prozesse, etwa die Änderung der Erdumlaufbahn um die Sonne, die Wärmekapazität der Ozeane, die Vegetation oder die Treibhausgas-Konzentration in der Atmosphäre. „Das führt dazu, dass das Modell immer realistischer, aber auch immer komplizierter wird.“ 

Mithilfe der Daten von den Archiven lässt sich prüfen, wie gut ein Computermodell funktioniert. „Wir können die Ergebnisse der Simulation mit den Messungen vergleichen und so herausfinden, wo die Schwachstellen der Modelle liegen“, sagt MARUM-Forscher Mahyar Mohtadi. Das wiederum sei wichtig, weil die Modelle nicht nur für die Vergangenheit, sondern auch für die Zukunft genutzt würden – etwa für die unterschiedlichen Erwärmungsszenarien, die der Weltklimarat (IPCC) in seinen Berichten vorstellt. Je zuverlässiger die Modelle die Vergangenheit abbilden, desto realistischer sind auch die Vorhersagen. Außerdem lassen sich aus den Klimaschwankungen der Vergangenheit Parallelen zur zukünftigen, menschengemachten Erwärmung ziehen. Beispielsweise gab es die gefürchteten Kipppunkte, bei denen sich das Klima durch Rückkopplungsmechanismen abrupt verändert, in der Erdvergangenheit immer wieder. So gilt es laut Gerrit Lohmann zu erkunden, „wann es solche Kipppunkte gab, unter welchen Umständen sie aufgetreten sind und was wir daraus für die Zukunft lernen können.“

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