Stimmen zum Koalitionsvertrag
Heute nimmt die neue Bundesregierung ihre Arbeit auf. Die Klimapolitik soll dabei künftig eine wichtigere Rolle spielen. Aber was ist von den klimapolitischen Zielen des Koalitionsvertrags von SPD, Bündnis 90/Die Grünen und FDP zu halten? Vier Einschätzungen von Wissenschaftler*innen aus Zentren der Helmholtz-Klima-Initiative.
Prof. Dr. Katja Matthes, Direktorin des GEOMAR
„Indem wir die Natur schützen und nachhaltig nutzen, gewinnen wir sie als Verbündete im Kampf gegen den Klimawandel. Der Koalitionsvertrag lässt hoffen, dass wissenschaftliche Erkenntnisse über naturbasierte Ansätze sowie die Bedeutung der Artenvielfalt nun zu entschlosseneren Handlungen führen.
Als Meeresforscherin freue ich mich besonders, dass dabei auch unsere Meere mit ihren Seegraswiesen und Algenwäldern als natürliche Kohlendioxid-Speicher wahrgenommen werden. Auch die Bedeutung von Küstenlandschaften sowie Mooren oder Wäldern ist nicht zu unterschätzen. Diese Ökosysteme wiederherzustellen und ihre wichtigen Funktionen zu bewahren, sichert nicht nur ihre, sondern auch unsere eigene Zukunft im sich wandelnden Klima.
Darüber hinaus ist es wichtig, auch technologische beziehungsweise technische Möglichkeiten zu erforschen, mit denen wir uns die natürlichen Funktionen für die Minderung des Klimawandels zunutze machen können. In der Deutschen Allianz Meeresforschung untersuchen wir beispielsweise, ob und inwieweit der Ozean eine wesentliche und nachhaltige Rolle bei der Aufnahme und Speicherung von Kohlendioxid aus der Atmosphäre spielen kann und welche Auswirkungen dies auf die Meeresumwelt, das Erdsystem und die Gesellschaft haben könnte.
Vielversprechende Lösungsmöglichkeiten finden sich direkt vor unserer Haustür – verbunden mit vielen weiteren Vorteilen, etwa für Gesundheit, Ernährung, Erholung, Freizeit oder neue Wirtschaftsideen. Unsere Forschung kann entscheidend dazu beitragen, die Weichen für den Klimaschutz zu stellen.“
Prof. Dr. Johannes Orphal, Bereichsleiter „Natürliche und gebaute Umwelt“, Karlsruher Institut für Technologie (KIT)
„Die Beschleunigung des Ausbaus erneuerbarer Energien ist wissenschaftlich notwendig, aber technologisch nicht einfach. Die ersten 50 Prozent der Ausbauziele sind voraussichtlich recht schnell zu erreichen. Aber um die Erderwärmung dauerhaft zu begrenzen, muss unser CO2-Ausstoß so bald wie möglich auf Null sinken. Das geht nur durch eine massive Transformation des Energiesystems. Und genau hier ist die Forschung gefragt, neue Ideen und Technologien zu liefern: Deutschland kann und muss dabei weltweit eine Vorreiterrolle spielen. Das kommt auch in dem neuen Koalitionsvertrag sehr schön zum Ausdruck.“
Prof. Dr. Karen Wiltshire, stellvertretende Direktorin des Alfred-Wegener-Instituts (AWI)
„Ozeane und die Randmeere sind Lebensräume, Schlüsselelemente im Klimasystem und sie versorgen uns mit Nahrung und Sauerstoff. Im neuen Koalitionsvertrag nehmen Meere endlich einen größeren Platz ein. Mit dem Start einer Meeresoffensive will die neue Bundesregierung Schutz, Sicherheit und nachhaltige Nutzung der Ozeane in Einklang bringen. Vor allem die Wissenschaft spielt beim Erreichen dieser Ziele eine Schlüsselrolle: Die Erforschung der Meere und deren nachhaltige Nutzung ist ein zentrales Zukunftsfeld der Forschung. Ich wünsche mir, dass unsere Erkenntnisse aus Polar-, Meeres- und Küstenforschung noch konsequenter in politische und gesellschaftliche Entscheidungen eingehen. So können wir eine wissenschaftliche Grundlage für wirksamen Meeresschutz und nachhaltige Nutzung schaffen. Der Koalitionsvertrag ist ein guter Startpunkt für eine mutige, inklusive und kluge Umweltpolitik. Die neue Bundesregierung muss nun schnell konkrete Maßnahmen umsetzen, mit denen es tatsächlich gelingt, diese Ziele zu erreichen.“
Prof. Dr. Claudia Traidl-Hoffmann, Direktorin des Instituts für Umweltmedizin, Helmholtz Zentrum München
„Unsere Gesundheit, unsere Lebensgrundlagen, sind unser höchstes Gut. Sie werden vom Klimawandel massiv bedroht. Im Koalitionsvertrag sind viele Punkte festgeschrieben, die in die richtige Richtung weisen. Es ist erfreulich, dass der Klimaanpassung und der gesundheitlichen Prävention ein hoher Stellenwert eingeräumt wird. Eine nationale Klimaanpassungsstrategie und ein Nationaler Präventionsplan mit konkreten Maßnahmenpaketen – also bundesweit gemeinsames Handeln – kann die Klimaresilienz enorm verbessern. Im Gesundheitsbereich ist „Personalisierte Prävention“ das Gebot der Stunde. Möglich würde diese durch Gesundheits-Apps, die personalisierte Frühwarnsysteme implementieren, und zum Beispiel Informationen über Bioaerosole wie die Konzentration von Pollen oder Schimmelpilzsporen in der Luft mit dem Schadstoffgehalt der Luft für den Standort zusammenführen und online abrufbar machen.
Ein Schlüssel, um nachhaltigen Wandel vonseiten der Politik zu ermöglichen, liegt in ressortübergreifender Zusammenarbeit. Hitzevorsorge beispielsweise beinhaltet die Erarbeitung von Hitzeschutzplänen ebenso wie die Schaffung der Rahmenbedingungen für bauliche Maßnahmen zur Milderung der Hitzeinsel-Effekte in Städten. Ein Register muss aufgebaut werden, welches Hitzetote – oder weitere Opfer des Klimawandels – als solche auch erfasst. Nur so können wir feststellen, ob und in welchem Ausmaß eingeleitete Maßnahmen auch greifen.
Die eingeschlagene Richtung ist positiv – das Ziel bisweilen sehr fern. Ich hoffe, viele kleine Schritte bringen uns in den kommenden Jahren ein Stück näher zu nachhaltigem Schutz unserer Lebensgrundlagen und Gesundheit.“