"Unsere Arktis, unsere Zukunft"
Polarlichter, Packeis und Eisbären - Katharina Weiss-Tuider hat an der MOSAiC-Expedition teilgenommen. Hier erzählt sie von ihrem Abenteuer in der Arktis und warum sie darüber ein Kindersachbuch geschrieben hat, das nicht nur für Leser*innen ab 10 Jahre interessant sein dürfte.
Frau Weiss-Tuider, was macht die Erforschung der Arktis so besonders?
Die Arktis ist während der monatelangen Polarnacht sogar für Forschungseisbrecher eine unzugängliche Region. Das Meereis ist dann so mächtig, dass es selbst ein maschinelles Kraftpaket wie das Forschungsschiff Polarstern geradezu aussperrt. Außerdem spielen die Polargebiete und ihre Meere eine zentrale Rolle im globalen Klimasystem. Was mich als Sachbuchautorin hieran besonders fasziniert, ist, wie die Prozesse dort am fernen Nordpol unser Klima hier in Europa mitbestimmen. Gleichzeitig hängt der Erhalt der Arktis von unserem Verhalten hierzulande mit ab. Die Treibhausgase wie Kohlendioxid, die wir hier ausstoßen, tragen zur Veränderung der Temperaturen in der Arktis bei – und die Veränderungen dort wiederum verändern unsere Lebensbedingungen hier. Um diese faszinierenden Zusammenhänge und das Klimasystem der Arktis, zu dessen besseren Verständnis die MOSAiC-Expedition aufgebrochen war, geht es im Kindersachbuch „Expedition Polarstern“ – ebenso wie um das Abenteuer dieser einzigartigen Forschungsmission.
Was meinen Sie damit?
Eine Expedition in die Arktis ist selbst mit der besten Planung und Technik noch heute ein riesiges Abenteuer. Während MOSAiC ließ sich das Forschungsschiff Polarstern ins Meereis einfrieren und driftete durch diese extrem abgelegene Region – wie abgelegen, zeigte sich beispielhaft an der Satelliten-Verbindung zum Nordpol. Es ist möglich, mit der Raumstation ISS auf rund 400 Kilometer Höhe in der Erdumlaufbahn ein Videotelefonat zu führen. Doch die Polarstern war mit bis zu 1500 Kilometer Distanz zur nächsten Siedlung so weit von der Zivilisation entfernt, dass wir von Videotelefonie nur träumen konnten. Die Forschung fand außerdem in eisiger Kälte statt, das halbe Jahr über war es völlig dunkel, jederzeit konnten Eisbären auftauchen…
… sind Ihnen welche begegnet?
Ja, ich bin überaus glücklich, dass ich Eisbären in freier Wildbahn erleben konnte. Es ist atemberaubend, wie leichtfüßig sich diese mächtigen Tiere über das Eis bewegen. Aber auch das Meereis, das in der Stille der Dunkelheit plötzlich krachte und sich selbst bewegte, wirkte manchmal wie ein fremdartiges Lebewesen. Und tatsächlich ist diese vermeintlich lebensfeindliche Eiswelt voller Leben. Umso erschreckender ist die Perspektive, dass wir das Meereis im Sommer gänzlich zu verlieren drohen, wenn der Klimawandel weiter voranschreitet.
Das klingt so, als hätten Sie ein wenig Ihr Herz an die Arktis verloren?
Ich habe mich in diese einerseits so raue, andererseits so verletzliche polare Welt völlig verliebt. Besonders in Erinnerung geblieben ist mir der langsame Einbruch der Polarnacht, also die Phase des täglich weiter schwindenden Lichts. Wie sich dadurch die Farben veränderten, nicht nur des Himmels, sondern auch des Meereises, und wie die Temperaturen immer weiter und tiefer sanken, ist eine wunderschöne, wenngleich körperlich herausfordernde Naturerfahrung.
Kommen wir zurück zur Forschung. Weshalb gilt die MOSAiC-Expedition als ein Jahrhundertprojekt?
An der MOSAiC-Expedition waren Menschen von über 80 Forschungsinstituten aus insgesamt 20 verschiedenen Ländern beteiligt. Während die Polarstern für ein Jahr in der zentralen Arktis unterwegs war und mit dem Meereis driftete, konnten Hunderte Wissenschaftler*innen aus aller Welt die Arktis erforschen und einen riesigen Datenschatz sammeln: Ihre Schwerpunkte waren die Atmosphäre, das Meereis, der Ozean, die Biogeochemie und das arktische Ökosystem mit seinen erstaunlichen Lebensformen. MOSAiC gilt als ein Meilenstein für die Klima- und Polarforschung.
Katharina Weiss-Tuider
Als Kommunikationsmanagerin war Dr. Katharina Weiss-Tuider für die Öffentlichkeitsarbeit zur MOSAiC-Expedition des Alfred-Wegener-Instituts mitverantwortlich. Zudem schreibt sie als freie Autorin über Themen, die von Umwelt über Klima bis zu Landwirtschaft und Ernährung reichen. Ihre persönliche Teilnahme an der MOSAiC-Expedition im Jahr 2019 hat sie dazu veranlasst, das jüngst erschienene Kindersachbuch „Expedition Polarstern – Dem Klimawandel auf der Spur“ zu verfassen.
Warum behandeln Sie diese komplexen Themen in einem Kindersachbuch?
Die Jüngeren unter uns werden am stärksten von den anthropogenen Klimaveränderungen betroffen sein. Sie haben ein Recht darauf, genau zu erfahren und zu verstehen, was Klimawandel bedeutet und was in der Zukunft auf sie zukommen wird – vor allem dann, wenn es uns heute nicht endlich besser gelingt, Treibhausgase zu vermeiden und gegen den Klimawandel vorzugehen. Mit „Expedition Polarstern“ möchte ich vor allem Kindern und Jugendlichen dabei helfen, ein solches Verständnis für die Klimazusammenhänge auf unserer Erde zu entwickeln. Und ich möchte ihnen anhand der Expedition auch ein spannendes Sinnbild zeigen, welches letztlich aufzeigt, dass wir Menschen buchstäblich alle in einem Boot sitzen und zusammenarbeiten müssen, wenn es ums Klima geht – beziehungsweise eben in einem Forschungseisbrecher. Umso glücklicher bin ich, dass wir mit Christian Schneider einen erstaunlichen Illustrator für das Buch gewinnen konnten.
Wie haben Sie die Themen ausgesucht? Warum haben Sie sich für einen Stil aus kolorierten Zeichnungen entschieden?
Ich wollte mit dem Buch ein Portrait der MOSAiC-Expedition gestalten: von der spektakulären Logistik über das Leben an Bord bis zu den Forschungsschwerpunkten, jedoch kindgerecht erklärt. Neben eindrucksvollen Fotografien, die während der Expedition entstanden, bringen auch Christians kunstvolle kolorierte Zeichnungen spannende Details verständlich hervor. So konnten wir in „Expedition Polarstern“ nicht nur komplexe Klimazusammenhänge erklären, sondern auch das Abenteuer Polarforschung in seiner Vielfalt und mit seinem präzisen Blick auf manchmal winzige, aber einflussreiche Details vorstellen – etwa Wolken, Aerosole oder Phytoplankton. Nicht zuletzt wecken liebevolle Illustrationen wie ein Aufriss der Polarstern oder auch des Forschungscamps auf dem Meereis sicherlich das Interesse mancher künftiger Polarforscher*innen.
Ist Ihr Buch für spezielle Altersgruppen gedacht?
Das Buch richtet sich an Kinder ab zehn Jahren. Doch „Expedition Polarstern“ ist so geschrieben, dass es sich auch für ältere Leser*innen als Lektüre rund um die Expedition und den Klimawandel eignet. Und wir hören nun tatsächlich von den Eltern unserer eigentlichen Zielgruppe, dass sie durch das Buch selbst über die Arktis als Wetterküche der Erde gestaunt und vieles über das Klima gelernt haben – und das ist ein wunderschönes Feedback.
Welche Erkenntnis wollen Sie Ihren jüngeren und älteren Leser*innen mit auf den Weg geben?
Ich schätze mich sehr glücklich, die Arktis und das Meereis mit eigenen Augen gesehen zu haben. Was es bedeuten würde, diese Eiswelt infolge des Klimawandels zu verlieren, habe ich erst bei diesem Anblick wirklich verstanden, und es ist eine erschreckende Vorstellung. Doch unsere alltäglichen, vermeintlich kleinen Entscheidungen haben einen erheblichen Einfluss auf unsere Umwelt und auch auf das weit entfernte Meereis in der Arktis. Es liegt in unseren Händen, das Klima auf der Erde mitzubestimmen – und klimabewusst zu leben bedeutet keinen Verzicht, sondern einen persönlichen Gewinn. Wenn wir uns etwa stärker pflanzlich ernähren oder mit dem Fahrrad statt mit dem Auto in die Schule, die Uni oder ins Büro fahren, schützen wir nicht nur das Klima, wir tun auch etwas für unsere Gesundheit. Wenn wir das arktische Meereis vor dem Verschwinden bewahren, retten wir also nicht nur die Eisbären, wir schützen auch die Lebensbedingungen hierzulande. „Expedition Polarstern“ möchte seinen Leser*innen jeden Alters zeigen, wie wir damit anfangen können.