Ist das schon der Klimawandel?
Wochenlange Trockenheit, die die Ernte zerstört; heftiger Regen, der zu Überschwemmungen führt; Temperaturrekorde mit vielen Hitzetoten: Bei Extremwetterereignissen wird zunehmend nach dem Zusammenhang mit dem menschengemachten Klimawandel gefragt. Seit einiger Zeit widmet sich die sogenannte Attributionsforschung diesem Thema.
Von der Trendanalyse zur Extremwetterstatistik
Attribution heißt: Einem beobachteten Phänomen eine Ursache zuordnen. So gilt der Zusammenhang zwischen dem Anstieg der Erdoberflächentemperatur seit der Industrialisierung und dem menschengemachten Klimawandel als sicher. Diese Zuordnung gelang mithilfe von Klimamodellen: Dabei berücksichtigen manche Simulationen menschliche Einflüsse wie das Mehr an Treibhausgasen, andere nicht. Es kam heraus, dass nur Modelle, die die menschengemachten Faktoren einkalkulieren, sich mit den Beobachtungen decken – die anderen konnten den Temperaturanstieg um mehr als ein Grad nicht erklären. Dies gilt als zentrales Argument dafür, dass Menschen die globale Erwärmung verursachen. „Vor 20 Jahren wurden dann die ersten Methoden und Studien entwickelt, um auch Extremereignisse dem Klimawandel zuzuordnen“, sagt Erdsystemforscher Jakob Zscheischler vom Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung UFZ in Leipzig.
Extremwetterereignisse, wie etwa Hitzewellen, Dürren, Starkregen oder Stürme, können prinzipiell immer auftreten. Denn beim Wetter spielen verschiedene Faktoren – wie Temperatur, Luftdruck, Feuchte – in komplexer Weise zusammen. Das Ergebnis des Zusammenspiels ist schwer zu prognostizieren – deshalb ist die Wettervorhersage auch nur wenige Tage im Voraus verlässlich. Die Zuordnung eines Wetterextrems, also eines außergewöhnlichen Wetterereignisses, zum menschengemachten Klimawandel ist darum auch viel komplizierter als die Zuordnung von langfristigen Veränderungen. „Ist dieses oder jenes Ereignis durch den Klimawandel verursacht – das ist die völlig falsche Frage“, erklärt der Meteorologe Karsten Haustein von der Universität Leipzig. „Die richtige Frage ist: Welche Rolle spielt der Klimawandel für die Häufigkeit solcher Ereignisse?“
Analysen in der Real- und Modellwelt
Um das zu untersuchen, müssen die Forschenden ein Ereignis zunächst in Zahlen fassen.
So betrachten sie etwa im Fall von Hitzewellen den höchsten Temperaturmittelwert über einen definierten Zeitraum – beispielsweise über drei Tage – in einem eingegrenzten Gebiet. Die Temperatur ist in diesem Fall der Indikator, also die das Extremereignis kennzeichnende Messgröße. Eine Analyse der Häufigkeit, mit der der Indikator bestimmte Werte überschreitet, und des Ausmaßes der Überschreitung zeigt dann, ob sich die Ereignisse im Vergleich zu früher mehren beziehungsweise extremer ausfallen – man spricht in der Statistik von Trends.
Anschließend prüfen die Forschenden, wie gut sich das Auftreten der untersuchten Ereignisart mit vorhandenen Klimamodellen simulieren lässt. „Ziel ist, dass man Modelle findet, die die Trends und die Statistik in den Beobachtungen sehr gut abbilden“, sagt UFZ-Wissenschaftler Zscheischler. In diesen Modellen lässt sich der menschliche Einfluss ein- und ausschalten, sodass „man in der Modellwelt vergleichen kann, wie viel wahrscheinlicher ein Extremindikator geworden ist.“
Klarheit bei Hitzewellen, Unsicherheiten bei Dürren
Bemerkbar macht sich der Klimawandel vor allem bei Hitzewellen. Das Online-Portal Carbonbrief listet mehr als 500 Attributionsstudien, wovon sich der größte Teil mit Hitze befasst. In mehr als 90 Prozent der gesammelten Fälle wiesen die Forschenden einen Einfluss des Klimawandels nach. So ergab eine Analyse beispielsweise, dass der europäische Hitzesommer 2018 ohne die menschengemachte globale Erwärmung so nicht aufgetreten wäre. „Bei der Temperatur ist das Signal mittlerweile so stark, dass wir bei fast jeder Hitzewelle sagen können: Der Klimawandel hat dazu beigetragen“, ordnet Zscheischler ein. Schwieriger ist die Zuordnung bei Starkregen, Dürren oder Stürmen, weil sich die Extremwerte hier nicht so klar von zufälligen Schwankungen abheben. Dennoch konnten auch solche Ereignisse – wie etwa die heftigen Monsunregenfälle in Pakistan 2022 – teilweise dem Klimawandel zugeordnet werden.
Wissenschaft im Medientempo
Medien, Politik und Gesellschaft fragen häufig schon während einer Hitzewelle, einer Dürre oder ähnlichen Ereignissen nach deren Zusammenhang mit dem Klimawandel. Dass es Antworten auf diese Frage oft schneller als bei klassischen wissenschaftlichen Studien gibt, ermöglicht die World-Weather-Attribution-Initiative (WWA), ein internationaler Zusammenschluss von Attributionsforschenden. Sie veröffentlicht manchmal nur Tage nach einem Ereignis bereits ihre Analyse. Dabei nutzen die Forschenden eine Methode, die wissenschaftlich geprüft und 2020 veröffentlicht wurde – die Analyse des Ereignisses selbst geht dann ohne weitere Begutachtung online.
„Es geht klar darum, zu zeigen, der Klimawandel ist jetzt und hier und heute“, erklärt Karsten Haustein, der bis 2020 selbst Teil der WWA war. Dazu nutze man die Aufmerksamkeit, solange sie da sei, so der Meteorologe. Dass die Attributionsforschung hier nicht dem Tempo der Wissenschaft, sondern dem der Medien folgt, brachte der Initiative zu Beginn Kritik ein. „Viele Kolleg:innen haben die Nase gerümpft“, so Haustein. Zahlreiche Studien, die im Schnellverfahren auf der Website veröffentlicht wurden, hätten aber nachträglich bei Fachzeitschriften den üblichen Begutachtungsprozess durchlaufen.
Bedeutung für Politik, Justiz – und Wissenschaft
Tatsächlich mag die Wirkung der Attributionsforschung vor allem darin liegen, dass sie es erlaubt, Forderungen nach mehr Klimaschutz mit Zahlen zu untermauern – möglicherweise auch vor Gericht. Dort könnten sie in Verfahren gegen Klimasünder:innen – also beispielsweise Firmen, die besonders viele Treibhausgase freisetzen, oder Regierungen, die beim Klimaschutz zu zögerlich handeln – als Beweismittel dienen. „Ein interessanter Bereich, in dem die Attributionsstudien wichtig sind“, findet UFZ-Forscher Zscheischler. Ob von immer mehr Attributionsstudien grundlegend neue Erkenntnisse zu erwarten sind, ist jedoch eine andere Frage: „Wissenschaftlich ist meist nicht so viel Neues drin, außer dass es jeweils ein neues Extremereignis ist.“
Allerdings liefern die Studien auch wertvolle Erkenntnisse über mögliche Schwachstellen der genutzten Klimamodelle. Denn entsprechen die Simulationen nicht den tatsächlichen Beobachtungen, berücksichtigen die Modelle offensichtlich einige wesentliche Prozesse nicht. Insofern kann die Attributionsforschung wichtige Beiträge zur Klimamodellierung liefern. Außerdem entwickelt sich die Methode noch weiter: Zscheischler untersucht beispielsweise kombinierte Extremereignisse. „Wenn man sich anguckt, was eigentlich die Klimafolgen sind, dann ist das oft nicht getrieben durch einen einzigen Wetterindikator, sondern es ist oft eine Kombination.“ So habe das gleichzeitige Auftreten von Hitze und Dürre oder von Dürren an zwei wirtschaftlich voneinander abhängigen Orten oft schlimme Folgen für Menschen. Solche Mehrfachereignisse zuzuordnen, ist methodisch nochmal anspruchsvoller als die klassische Attribution und aktuell Gegenstand der Forschung.