"Im US-Klimaplan fehlen zentrale Elemente"
Bei einem Klimagipfel am 22./23. April hat der neue US-Präsident Joe Biden das Klimaziel der Vereinigten Staaten verschärft. Klimaökonom Reimund Schwarze vom Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung (UFZ) analysiert die Aussagen der beteiligten Staatschefs.
Herr Schwarze, mit seinem Klimagipfel wollte US-Präsident Joe Biden große Staaten zu höheren Klimazielen motivieren. Das 1,5-Grad-Ziel sollte so wieder in Reichweite kommen. Wurden die Erwartungen erfüllt?
Weltweit sind wir schon bei einer Erwärmung von 1,2 Grad. Deshalb ist es leider ziemlich fraglich, ob die 1,5 Grad überhaupt noch in Reichweite sind. Aber immerhin: Die USA haben erklärt, die Stromerzeugung bis 2035 CO2-frei zu machen und sie haben ihr Treibhausgas-Reduktionsziel für 2030 auf 50 bis 52 Prozent gegenüber 2005 erhöht. Nach einer Abschätzung des Climate Action Tracker wird das 1,5 bis 2,5 Milliarden Tonnen Kohlendioxid pro Jahr zusätzlich einsparen.
Das entspräche dem Zwei- bis Dreifachen der gesamten deutschen Treibhausgasemissionen. Ein Riesenfortschritt also?
Zentrale Elemente fehlen. Die US-Regierung hat kein detailliertes Programm vorgelegt, wie sie ihre Ziele umsetzen will. Durchgerechnet ist nur der Ausstieg aus der Kohleverstromung, aber für Land- und Forstwirtschaft zum Beispiel fehlt ein Klimaschutzprogramm. Vor allem fehlen die Bereitschaft und der politische Rückhalt für ein nationales Emissionshandelssystem wie in der EU. Mit ihren jetzt erklärten Emissionsminderungen bis 2030 verringern die USA den Abstand zur Erreichung des 1,5 Grad Ziels um fünf bis zehn Prozent. Der weitaus größte Teil der CO2-Reduktion zum Lückenschluss muss daher von anderen Ländern kommen. Die jetzt versprochene Verdopplung der US-Klimafinanzierung für die Entwicklungsländer auf 5,7 Milliarden US-Dollar bis 2024 macht sich dagegen bescheiden aus. Im Pariser Übereinkommen sind den Entwicklungsländern Finanzhilfen von 100 Milliarden US-Dollar pro Jahr versprochen worden.
Im Blick der Veranstaltung stand auch der anhaltende Bau neuer Kohlekraftwerke in Asien. Chinas Staatspräsident Xi Jinping hat bei dem Gipfel angekündigt, die Kohleverstromung zwischen 2026 und 2030 zurückzufahren. Ist das ein Durchbruch?
Es ist ein Fortschritt. Andererseits wird noch immer kein Ausstiegsdatum für die Kohleverstromung genannt. Und das zu erwartende enorme Wirtschaftswachstum nach der Pandemie lässt Zweifel daran aufkommen, ob die Entkopplung von Wirtschaftswachstum und Kohleverbrennung gelingen kann. Erfolg und Misserfolg der internationalen Klimapolitik hängen daher von der Frage ab, wie konsequent China in den nächsten Jahren eingebunden wird.
Die EU will andere Staaten mit Klimazöllen zu einem gemeinsamen Vorgehen bewegen – etwa zu einem international einheitlichen Mindestpreis für CO2. Gab es auf dem Gipfel neue Signale zur CO2-Preisen?
Ich bin ein bekennender Anhänger der Theorie von Klimaclubs. Wir brauchen international geschlossene schlagkräftige Koalitionen der Willigen, die im Klimaschutz vorangehen. Vor dem Hintergrund, dass die entscheidende Größe China ist, bin ich aber außerordentlich pessimistisch, ob Klimazölle oder andere Grenzausgleichsmechanismen der EU für importierte Waren das Mittel der Wahl sind. Die Chinesen lehnen sie dezidiert ab, die Amerikaner wollen sie auch auf gar keinen Fall. Ich glaube, dass Klimazölle für die EU nicht mehr als ein Drohmittel sein können. Was die Zukunft der internationalen Klimapolitik angeht, fand ich die Aussagen des amerikanischen Außenministers viel bedeutsamer.
Antony Blinken hatte im Vorfeld des Gipfels Druck auf Länder ausgeübt, die das Klima schädigen.
Der US-Außenminister sagte, dass Staaten, die sich weiter von Kohle abhängig machten, in neue Kohlekraftwerke investierten oder das massive Abholzen von Wäldern zuließen, würden von den Vereinigten Staaten und ihren Verbündeten „hören“, wie schädlich diese Handlungen für die Weltgemeinschaft seien. Das ist eine erklärte Großmachtstrategie hegemonialer Ansprüche. Komplizierte Grenzausgleichsmechanismen brauchen die USA dafür nicht, Klimazölle wären für sie gewissermaßen Peanuts.
Das Klimaabkommen von Paris setzt ganz auf Kooperation und freiwillige Beiträge der Staaten. Wird es Klimaverhandlungen wirklich voranbringen, wenn nun CO2-Zölle oder noch schärfere Sanktionen hinzukommen?
Fehlende Sanktion sind doch gerade der zentrale Grund für das Scheitern eines wirksamen Klimaschutzes. Das sehen wir seit Jahrzehnten und inzwischen stehen wir bei 1,2 Grad Erwärmung. Bald werden wir die Ziele von Paris überschreiten. Im Vorläufer des Paris-Abkommens gab es schon einmal Sanktionen. Nach dem Kyoto-Protokoll hatten die Industriestaaten zwar keine überambitionierten Reduktionsziele, aber die Industrienationen des sogenannten Annex-I haben immerhin ihre Zusagen erreicht. Das Kyoto-Protokoll sah direkte Strafzahlungen vor, wenn einzelne Industriestaaten ihre Klimaziele verfehlen. Kanada hatte 2011 sogar den Austritt aus dem Vertrag angekündigt, um solchen Strafen zu entgehen. Im Paris-Abkommen gibt es das nicht und genau das ist seine Schwäche. Für einen Klimaclub der führenden Staaten USA, China und jenen der EU gibt es zwar noch keinen festen weltpolitischen Rahmen, aber die Bedingungen für diese Strategie sind heute so gut wie noch nie.
Auffällig war beim Klimagipfel eine Randbemerkung des russischen Präsidenten. Wladimir Putin sagte, dass Russland mit seinen Wäldern und anderen Ökosystemen jährlich 2,5 Milliarden Tonnen CO2 speichere. Möchte Russland damit Kompensationszahlungen erreichen?
Ich bin mir nicht sicher, ob sich Russland mit dem Hinweis auf vermeintliche CO2-Senken etwas Gutes tut. Die Ökosysteme schlagen bereits zurück. In Russland beginnt der Permafrost zu tauen und setzt große Mengen Methan frei. Weltweit verlassen wir gerade die Phase, wo die Wälder noch Kohlendioxid speichern. Ökosysteme entwickeln sich umgekehrt zur Quelle weiterer Treibhausgasemissionen. Die Natur ist keine Billiglösung, um Kohlenstoff zu speichern. Eine CO2-Senken-Strategie kann sich zu einer Hypothek entwickeln und die Aufgabe Klimaschutz noch vergrößern. Daran sollte auch die EU denken, wenn sie den gesamten Landsektor nun in ihre Treibhaugasbilanz einbezieht.
In der Klimadiplomatie steht als Nächstes der Petersberger Klimadialog an. Worauf sollten Deutschland und Großbritannien achten, wenn sie dort die Weltklimakonferenz im Herbst in Glasgow vorbereiten?
Der Petersberger Klimadialog wäre eine kluge Ergänzung zum Gipfel der US-Regierung, wenn er sich stärker den Entwicklungsländern zuwendete – insbesondere der Verantwortung der Industrieländer für Verluste und Schäden in ärmeren Staaten. In Washington wurde ja hauptsächlich über Jobs, Jobs, Jobs gesprochen. Die Entwicklungsländer erschienen in dieser Rechnung nur am Rande. Bei der COP 26 in Glasgow wird das Thema Klimagerechtigkeit im Mittelpunkt stehen.