Negative Emissionen: Umstrittene Instrumente der Klimapolitik
Noch hat es die Menschheit in der Hand, den Anstieg der globalen Temperatur auf 1,5 Grad Celsius gegenüber dem vorindustriellen Niveau zu begrenzen. Das zeigt der Weltklimarat in seinem Sonderbericht aus dem Jahr 2018. Der Ausstoß von Treibhausgasen muss dazu schnell und umfassend reduziert werden. Dann noch verbleibende Emissionen könnten der Atmosphäre mit Hilfe so genannter „Negativemissionstechnologien“ (NET) entzogen werden. Welche rechtliche und ökonomische Rolle diese Technologien in der internationalen Klimapolitik spielen, hat jetzt ein Autorenteam des Helmholtz-Zentrums für Umweltforschung (UFZ) in Leipzig im Rahmen der Helmholtz-Klima-Initiative untersucht.
Der Begriff klingt zunächst sperrig, beschreibt jedoch eine einfache Idee: Mit Negativemissionstechnologien (NETs) wie Ozeandüngung, Waldaufforstung oder dem Herausfiltern von Kohlendioxid aus der Luft lassen sich - im weitesten Sinne - Treibhausgase, die in die Atmosphäre ausgestoßen werden, wieder einfangen. Somit könnten die NETs dazu beitragen, den globalen Temperaturanstieg zu mindern. Welche Rolle diese Instrumente in der internationalen Klimapolitik spielen, hat jetzt ein Autorenteam rund um den Umweltökonomen Erik Gawel und den Rechtswissenschaftler Till Markus vom Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung (UFZ) in Leipzig im Rahmen der Helmholtz-Klima-Initiative untersucht.
In einer zweiteiligen Publikation (Springer Verlag) haben die beiden Wissenschaftler zentrale klimawissenschaftliche, klimapolitische und klimarechtliche Aspekte von NETs untersucht. Dabei arbeiten sie insbesondere die Unterschiede zu anderen klimapolitischen Maßnahmen heraus, u.a. zur Vermeidung von Treibhausgasen. Ein zentrales Fazit ihrer Publikationen lautet: Ob die höchst unterschiedlichen NETs tatsächlich dazu beitragen, kontinuierlich „Negativ-Emissionen“ zu erzeugen, ist unsicher und hängt zum Beispiel davon ab, ob eine dauerhafte Einlagerung gelingt. Während zudem der Übergang zu einem klimaneutralen Energiesystem „nur“ die Aufgabe einer Generation darstellt, müssten nicht vermiedene Emissionen auf ewig eingefangen bleiben und dabei umweltsicher neutralisiert werden. Wer das für die gesamte Weltgemeinschaft garantiert und finanziert, ist vollkommen offen.
Daher sollten NETs auch nicht undifferenziert unter dem Begriff der Emissionsminderung (Mitigation) zusammengefasst werden. Dies könne sich im ungünstigsten Fall sogar kontraproduktiv auf Klimaschutzbemühungen auswirken, insbesondere wenn Emissionsvermeidung deswegen nicht ambitioniert genug ausfalle.
Unterschiedliche Argumentationsmuster
Für die Befürworter der Technologien könnten NETs ein zu hoch bewertetes Mittel im Kampf gegen den Klimawandel sein. „Emissionsvermeidung scheint teuer und mühsam zu sein. Viele versprechen sich daher eine einfachere Lösung durch NETs“, sagt Erik Gawel. „Die relativen Kosten von NETs werden aber unterschätzt. Vor allem werden jetzt nötige Klimaschutzschritte in die Zukunft verschoben.“ Deshalb müsse man die Rolle dieser Technologien für die Klimapolitik zunächst weiter erforschen, um ein realistisches Bild ihres tatsächlichen Potenzials als Instrument der Politik gegen den Klimawandel gewinnen zu können.
„NETs können im ungünstigsten Fall auch ein überoptimistisches Vertrauen erwecken, indem sie als gleichwertige Alternative zur Reduzierung von Emissionen angesehen werden“, sagt Till Markus. Dieser Eindruck könnte wiederum dazu führen, dass Staaten sich deutlich weniger bemühen, ihre Lebens- und Wirtschaftsweise so zu verändern, dass sie Treibhausgase verringern oder vermeiden.
Bestimmte Technologien greifen zudem sehr stark in die Natur ein. Diese Folgen seien derzeit ebenso schwer abschätzbar wie die Kosten bestimmter Verfahren und deren Auswirkungen auf die Gesellschaft.
NETs als Instrumente der Klimapolitik?
„Die deutliche Mehrheit der Wissenschaftler geht derzeit davon aus, dass NETs keine gleichwertige Alternative zur Vermeidung von Emissionen sind“, sagt Gawel. „Sie sind keine schnelle Lösung für das Klimaproblem. Die meisten NETs sind noch in einem frühen Entwicklungsstadium.“ Das spiegele sich im geltenden Recht, etwa der Klimarahmenkonvention oder dem Pariser Übereinkommen, wider. Dort seien NETs nur unzureichend erfasst. Maßnahmen, mit denen bereits die Entstehung von Emissionen vermieden werden könne, würden dort bislang priorisiert.
Was bedeutet das nun für die Rolle, die NETs als Instrumente der Klimapolitik spielen könnten? „Um das 1,5 °C-Ziel noch zu erreichen, müssten wir unsere Emissionen bis 2050 auf Null senken“, sagt Gawel. Aus Sicht der Autoren spricht nichts gegen den Einsatz von NETs schon heute, sofern ihre Umweltverträglichkeit nachgewiesen ist. NETs als unterstützende Maßnahme müssen dafür jedoch dringend weiter erforscht werden, und zwar nicht nur technisch, sondern auch hinsichtlich der Rolle staatlicher und privater Akteure sowie der rechtlichen Einbindung. In der deutschen Klimapolitik spielen NETs derzeit noch keine erkennbare Rolle, der Druck aber steigt. Länder wie Kanada, Schweden und das Vereinigten Königreich haben bereits einige Technologien in ihre Klimapolitik eingebunden. Sie böten gute Anschlussmöglichkeiten für weitere empirische Untersuchungen.
Kontakt zu den Autoren:
Prof. Dr. Erik Gawel, erik.gawel@ufz.de
PD Dr. Till Markus, till.markus@ufz.de