02.08.2021
Sina Löschke

Die Wucht heutiger Hitzewellen in einer wärmeren Welt

Hitze treibt Menschen schon heute in vielen Regionen der Erde an ihre körperlichen Grenzen. Bei Lufttemperaturen von 45 Grad Celsius und mehr kann kaum noch jemand schlafen, geschweige denn Arbeit im Freien verrichten. Angesichts des Klimawandels stellt sich daher die Frage: Wie extrem werden Hitzewellen und andere Extremereignisse in Zukunft ausfallen? Helmholtz-Klimaforscher liefern jetzt konkrete Antworten. Mithilfe einer neuen Modellierungsmethode können sie berechnen, welch immense Wirkung aktuelle Extremereignisse entwickeln würden, wäre die Welt nicht ein, sondern zwei oder vier Grad wärmer als zu Beginn der Industrialisierung – ein eindringlicher Ausblick.

Prof. Dr. Thomas Jung
Prof. Dr. Thomas Jung im Interview
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Andauernde, extreme Temperaturen haben den Süden Europas Ende Juli 2021 in einen Glutofen verwandelt: In der Türkei sind in zahlreichen Provinzen Waldbrände ausgebrochen, die sich immer weiter ausbreiten. Auch auf Sizilien, Sardinien sowie im Süden Italiens fingen ganze Landstriche Feuer. Griechenland droht eine Hitzewelle mit historischen Höchsttemperaturen von weit über 40 Grad Celsius. Bereits Anfang Juli diesen Jahres purzelten im äußersten Nordwesten Nordamerikas die Temperaturrekorde: Mit fast 50 Grad Celsius Lufttemperatur an drei aufeinanderfolgenden Tagen traf zum Beispiel das kanadische British Columbia eine Hitzewelle, wie sie ohne den Klimawandel quasi unmöglich gewesen wäre. Hunderte Menschen starben an den Folgen der Backofenhitze – und das in einer Region, die eigentlich für ihr eher kühles Klima bekannt ist.

Wetterextreme wie Hitzewellen, Dürren und Starkregenereignisse werden im Zuge des Klimawandels häufiger und mit größerer Intensität auftreten, da sind sich Klimaforscher*innen einig. „Trotzdem fehlte uns bislang ein Werkzeug, mit dem wir sowohl der Öffentlichkeit als auch Entscheidungsträgern auf eindrückliche und verständliche Weise vermitteln konnten, was diese Aussage tatsächlich bedeutet und welche Dimension heutige Wetterextreme annehmen werden, wenn sich unsere Welt um zwei oder vier Grad Celsius im Vergleich zur vorindustriellen Zeit erwärmt“, sagt Prof. Dr. Thomas Jung, Klimaforscher am Alfred-Wegener-Institut, Helmholtz-Zentrum für Polar- und Meeresforschung (AWI) und leitender Wissenschaftler des Projektes „Drivers“ im Rahmen der Helmholtz-Klima-Initiative.

vier Karten zeigen die veränderte Temperaturen vom 25. Juli 2019 in der vorindustriellen Zeit, in einer Welt mit einer Durchschnittstemperatur von +2°C und +4°C
vier Karten zeigen die veränderte Temperaturen vom 25. Juli 2019 in der vorindustriellen Zeit, in einer Welt mit einer Durchschnittstemperatur von +2°C und +4°C

Solche detaillierten Ausblicke in das Klima- und Wettergeschehen von morgen aber werden vielerorts dringend benötigt, um heute bereits die notwendigen Vorkehrungen treffen zu können – angefangen bei den Abgeordneten der Bundes- und Landesparlamente, über die Ministerien und Stadtverwaltungen bis hin zu den Fachleuten in wichtigen Versorgungsunternehmen oder aber bei Infrastrukturdienstleistern wie der Energie- und Wasserwirtschaft, der Bahn, den Straßenämtern und den Behörden für Binnenschifffahrt.

Portrait Thomas Jung
Portrait Thomas Jung
Klimaforscher Prof. Dr. Thomas Jung
©
Alfred-Wegener-Institut

Frustriert von der Schwierigkeit, den Klimawandel greifbarer zu machen, begann Thomas Jung vor drei Jahren nach einer Lösung zu suchen. Gemeinsam mit seinem vierköpfigen Drivers-Projektteam am Alfred-Wegener-Institut fand er nun einen Weg, mit Hilfe der sogenannten Nudging-Technik auf neue Art und Weise in die Zukunft zu schauen und somit die Frage zu beantworten, wie aktuelle Wetter- und Extremereignisse in 1,5, 2 und 4 Grad wärmeren Welten ablaufen würden und wie sie sich in vorindustriellen Zeiten entwickelt hätten.

Vereinfacht gesagt, sind die Wissenschaftler jetzt in der Lage, ihr Klimamodell durch das Vorschreiben der beobachteten Entwicklung des Jetstreams derart zu beeinflussen, dass es auf den Tag genau die atmosphärischen und ozeanischen Ausgangsbedingungen ausgewählter Wetterextreme realitätsnah abbildet. Dazu gehören zum Beispiel die Lage und Geschwindigkeit des Jetstream, die Meeresoberflächen-Temperatur und die Verteilung des Meereises in der Arktis – ein Novum in der Klimamodellierung.

In einem zweiten Schritt verändern die Forschenden dann klimarelevante Parameter wie etwa den Kohlendioxidgehalt der Atmosphäre in ihrem Modell. Auf diese Weise können sie dann simulieren, wie sich das ausgewählte Wetterextrem in einer zwei oder vier Grad wärmeren Welt entwickeln würde oder aber welche Form es ohne die Treibhausgasemissionen der Menschheit angenommen hätte. Diese Methode funktioniert tatsächlich für Hitze- und Kältephänomene rund um den Erdball.

Die Ergebnisse der Computer-Rechenarbeit stellen die Wissenschaftler in beeindruckende Wetterkarten und -animationen dar, die einen stellenweise beängstigenden Blick in die Klimazukunft erlauben. Welche Temperaturextreme physikalisch möglich sind, zeigen die Forschenden unter anderem am Beispiel der Sommer-Hitzewelle 2019 in Deutschland.

„Am 25. Juli 2019 wurde im westlichen Teil Deutschlands eine Rekordtemperatur von 42,6 Grad Celsius gemessen“, sagt Thomas Jung. „Ich persönlich erinnere mich noch sehr gut an diesen heißen Tag, weil ich damals auf dem Weg von Brüssel nach Bremen war, und nach meiner Ankunft in Köln der Zugverkehr in Westdeutschland weitestgehend eingestellt oder stark beeinträchtigt war.“ Die neuen Wetter-Simulationen, gerechnet am und visualisiert vom Deutschen Klimarechenzentrum (DKRZ) in Hamburg, zeigen jetzt in Rot- und Violett-Tönen: In einer vier Grad wärmeren Welt wäre das Thermometer an diesem Tag in Köln nicht nur bis auf 40 Grad Celsius gestiegen, sondern hätte die 47 Grad-Marke erreicht. Ohne die menschengemachten Treibhausgasemissionen wiederum hätte sich die Luft nur auf 37 Grad Celsius erwärmt – ein Unterschied von 10 Grad Celsius für diese Hitzewelle bei einem Anstieg der globalen Mitteltemperatur um 4 Grad Celsius.

„Anhand dieser Temperaturkarten wird hoffentlich für jeden Menschen verständlich, welche Folgen der Klimawandel haben kann, wie entscheidend es deshalb für uns als Gesellschaft ist, unsere Treibhausgasemissionen drastisch zu reduzieren und wie dringend Anpassungsmaßnahmen von Nöten sind“, sagt Thomas Jung.

„Wir wollen testen, ob unsere Methode das Potenzial für einen neuen Klima-Service besitzt, der politisch Verantwortliche und die breite Öffentlichkeit in die Lage versetzt, genau zu verstehen, wie unser künftiges Wetter im Extremfall aussehen wird und es ihnen so ermöglicht, wissensbasierte Entscheidungen zu treffen“, sagt Thomas Jung. „Im Idealfall werden unsere Zukunftssimulationen aber auch für extreme Wetterlagen im Fernseh-Wetterbericht gezeigt, direkt neben den gewohnten Wetterkarten, um allen Zuschauenden zu verdeutlichen, was Klimawandel tatsächlich für uns und unser Leben bedeutet.“

Neben dem Kommunikationsaspekt birgt der neue Modellierungsansatz aber auch wissenschaftliche Vorteile und hilft, Extremereignisse besser zu verstehen: „Unsere Modellierungsmethode erlaubt es uns zum einen, die physikalischen Prozesse anhand der Entwicklung konkreter Extrem-Wetterereignissen wie Hitzewellen oder aber polaren Kälteeinbrüchen im Winter erstmals detailliert im Modell zu untersuchen“, sagt AWI-Klimamodellierer Dr. Helge Goessling.

Anhand ihrer bisherigen Untersuchungen können die Forschenden zum Beispiel bestätigen, dass die Bodenfeuchte einen ganz entscheidenden Einfluss auf die Temperatur einer Hitzewelle ausübt. „Bei normaler bis hoher Bodenfeuchte kann auch in sehr warmen Wochen Wasser an der Bodenoberfläche verdunsten und die bodennahe Luft kühlen. Ist der Untergrund aber trocken, fehlt die Verdunstungskälte an der Erdoberfläche und die Luft darüber erwärmt sich deutlich stärker. Dieser Effekt kann Hitzewellen zusätzlich verstärken“, erklärt Helge Goessling.

Zum anderen wollen die AWI-Klimaforscher ihre Modelldaten so aufbereiten, dass sie in die Modelle ihrer Projektpartner an anderen Helmholtz-Zentren einfließen können, um verschiedenartige Folgen im Detail zu studieren. Dabei geht es zum Beispiel um die Auswirkungen der Extremereignisse auf die Bodenfeuchte, auf den Zustand der Vegetation, auf den Wasserstand in Flüssen sowie um Auswirkungen auf die Luftqualität.

Entsprechende Vorbereitungen werden derzeit an mehreren Forschungsinstituten getroffen: „Wir sind wirklich gespannt darauf zu sehen, welche Veränderungen der Bodenfeuchte es zum Beispiel im bekannten Dürre-Monitor des Helmholtz-Zentrums für Umweltforschung in Leipzig gibt, wenn dieser für Experimente mit den Zukunftsdaten unserer Extremereignisse angetrieben wird“, sagt Helge Goessling.

Mithilfe dieser und anderer Simulationsergebnisse, so hoffen alle Projektbeteiligten, werden sich dann wichtige Zukunftsfragen beantworten lassen – etwa jene, mit welchen Maßnahmen sich Land- und Forstwirte, Binnenschiffer oder aber auch die Kleingärtner in Deutschland und Europa wappnen können, um den Folgen des Klimawandels möglichst erfolgreich zu trotzen.

Nudging: Das Modell in die richtige Richtung schubsen

Normalerweise werden Simulationen des künftigen Wetters und Klimas mit Klimamodellen durchgeführt, die frei laufen. Das heißt, wie sich das Wetter in diesen Modellen entwickelt, hängt von den Eingangsparametern und den physikalisch-dynamischen Gesetzen ab, die in den Modellen als Formeln hinterlegt sind. Ansonsten sind der Wetterentwicklung in der Simulation keine Grenzen gesetzt. Die Wetterschwankungen entwickeln sich gewissermaßen zufällig, weshalb es sehr wahrscheinlich ist, dass ein Modell für einen bestimmten Tag X eine völlig andere Wetterkonstellation berechnet, als diese in der Realität beobachtet wurde. Für die Analyse konkreter Extremereignisse scheiden klassische Modellierungsansätze daher aus.

Bei der Nudging-Technik schränken die Forschenden die Freiheit eines klassischen Klimamodells ein. Die AWI-Wissenschaftler beispielsweise geben dem Modell vor, wie sich die großskalige Zirkulation der Luftmassen und damit der Jetstream im Laufe der Simulation entwickeln soll. Dazu vergleichen sie die freien Windberechnungen des Modells mit den tatsächlich gemessenen Winddaten und schubsen (englisch: nudging) das Modell dann im Laufe seiner Berechnungen fortwährend in die richtige Richtung. Auf diese Weise versetzen sie das Klimamodell in die Lage, tatsächlich jene Wetterkonstellation entstehen zu lassen, die auch in der Realität zum fraglichen Extremereignis geführt hat.

Bei gleichbleibender, vorgegebener Abfolge der Wetterkonstellation können die Wissenschaftler nun klimarelevante Parameter wie die Kohlendioxidkonzentration in der Atmosphäre verändern und untersuchen, welche Ausmaße das Extremereignis unter diesen neuen Randbedingungen annimmt.

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