Die Angst in konstruktive Bahnen lenken
In ein paar Jahren gehört ‚Klimaangst‘ vielleicht ganz selbstverständlich zu unserem Wortschatz. Noch ist es kein Massenphänomen, sagen Psycholog:innen. Aber: Warum wirft junge Menschen die Bedrohung durch den Klimawandel leichter aus der Bahn als die Generation ihrer Eltern?
„Für Entwarnung in Sachen Klimawandel gibt es nicht den geringsten Grund. Ich will, dass ihr richtig Panik bekommt – und diese Angst jeden Tag spürt. Bis ihr endlich ins Handeln kommt.“ Wütende Sätze von Klimaaktivistin Greta Thunberg an Politiker:innen, die ihre Hausaufgaben nicht gemacht haben. Denn: Vom 1,5-Grad-Ziel sind wir noch weit entfernt. Statt Politiker:innen ängstigt dies aber vor allem junge Menschen.
Die Psychologin Elizabeth Marks von der University of Bath hat für eine Studie 10.000 Jugendliche und junge Erwachsene zwischen 16 und 25 aus aller Welt nach ihren Ängsten und Sorgen in Bezug auf den Klimawandel befragt. Demnach sind 84 Prozent besorgt über den Klimawandel, mehr als 50 Prozent davon sogar sehr. Über 50 Prozent fühlten sich traurig, wütend, machtlos, und schuldig. Und 45 Prozent sagten, dass ihre Gefühle gegenüber dem Klimawandel ihr tägliches Leben negativ beeinflussten.
„Es schnürt mir die Kehle zu“
„Wenn ich in unserer lokalen Fridays-For-Future-Gruppe sehe, wie sich zehnjährige Kinder vor eine Menschenmenge stellen und eine Rede halten, schnürt es mir die Kehle zu“, sagt beispielsweise die Psychologiestudentin Maria Vreden Bascón. „Diese Kinder wachsen mit ständigen Bedrohungen und Sorgen auf. Sie erleben keine Kindheit, wie ich sie erfahren durfte.“
Vreden Bascón ist 25 und hat bald ihren Masterabschluss in der Tasche. Was die gefühlte Ohnmacht angesichts der politischen Untätigkeit mit Menschen machen kann, beschäftigt sie zum einen fachlich, zum anderen auch ganz persönlich.
„Ein Gefühl von Hilflosigkeit überkommt mich in Momenten, in denen mir bewusst wird, an wie vielen Stellschrauben wir drehen müssen, um Klimaneutralität zu erreichen.“ Die junge Frau tut jedoch etwas gegen ihr Gefühl der Ohnmacht: Sie engagiert sich nicht nur bei Fridays for Future, sondern hat auch während eines Praktikums die Klimapsychologin Janna Hoppmann bei ihrer Arbeit unterstützt.
Das beste Mittel gegen die Angst
Hoppmann hat vor kurzem das Social Start-up ClimateMind gegründet. „Wir beraten und unterstützen Aktive, Gruppen und Organisationen dabei, Klimapsychologie in ihre Klimavorhaben zu bringen und aktivierende Klimakommunikation zu gestalten“, erläutert Hoppmann. Zu ihrer Dienstleistung gehören Coachings, Beratungen und Onlinekurse. Denn: Über die Angst zu reden und zu versuchen, sie in konstruktive Bahnen zu lenken und selbst aktiv zu werden, ist aus Hoppmanns Sicht das wichtigste Gegenmittel überhaupt.
Klimaangst, im Sinne einer pathologischen Angststörung, tritt ihrer Beobachtung nach bislang nur sehr selten auf und ist noch weit davon entfernt, ein Massenphänomen zu sein. „Es gibt noch keine belastbaren Zahlen und sehr wenig Forschung dazu“, sagt die Psychologin.
Pathologische Klimaangst ist äußerst selten
Daher spricht Hoppmann lieber von Klimasorge in unterschiedlicher Ausprägung. Dabei unterscheidet sie drei Gruppen. Die erste Gruppe hat Sorge um das Klima und versucht deshalb, entsprechend klimaneutral zu leben und sich zu engagieren.
Die zweite Gruppe sind die Verdränger:innen: Aus großer Angst vor dem Klimawandel wird dieser – bewusst oder unbewusst – heruntergespielt, zum Selbstschutz. Die dritte Gruppe schließlich zeigt Anzeichen pathologischer Angst.
„Besonders anfällig für eine pathologische Form von Klimaangst sind vermutlich Personen, die Dispositionen zu Angststörungen und Depressionen haben oder traumatische Lebenserfahrungen gemacht haben“, sagt Janna Hoppmann.
Hilft: Social Media-Abstinenz
Wie bei anderen Stressoren auch spiele Resilienz, also die psychische Anpassungsfähigkeit in belastenden Situationen, eine wichtige Rolle: „So wie resiliente Menschen Prüfungsstress oder Stress bei der Arbeit zwar als negativ wahrnehmen, aber letztlich in der Lage sind, ihn gut zu bewältigen, schaffen resiliente Menschen es auch, sich mit ihrer Sorge um den Klimawandel auf eine für sie gesunde Art auseinanderzusetzen“, erläutert Hoppmann.
Die Psychologin rät unter anderem zu kleinen Achtsamkeitsübungen: Etwa mit sich selbst die Vereinbarung abzuschließen, nur einmal am Tag die sozialen Medien nach neuen Nachrichten zum Thema zu checken. Und Foren zu meiden, in denen immer nur Katastrophenmeldungen verbreitet werden. Stattdessen sollte man sich an Foren oder Facebook-Gruppen orientieren, in denen die Mitglieder sich gegenseitig für mehr Klimaschutz zu motivieren versuchen.
Mit anderen darüber zu sprechen, seine Angst zu benennen und so zu erkennen, worunter man leidet – dazu rät auch Bernd Rieken, Professor für Psychotherapiewissenschaft an der Sigmund-Freud-Universität in Wien. Was Rieken zufolge außerdem hilft: Über die eigene Angst zu schreiben.
Sich Ängste von der Seele schreiben
Als Sechsjähriger erlebte er die verheerende Sturmflut von 1962 an der Nordseeküste, die zahlreiche Todesopfer forderte. Obwohl er selbst äußerlich unversehrt geblieben sei, habe ihn diese Katastrophe nachhaltig geprägt, erläutert er. „Das konnte ich erst richtig verarbeiten, als ich meine Habilitationsschrift über Sturmflutkatastrophen und ihre Bedeutung für die Mentalitätsgeschichte der Friesen verfasste.“
Seine Generation und auch die folgende hätten weitere Bedrohungen erlebt, wie sie junge Menschen heute noch nicht kennen: „Wir sind mit einer ständigen Bedrohung aufgewachsen: dem Kalten Krieg. Der Overkill machte uns Angst, aber wir hatten immer auch die Hoffnung, dass das Gleichgewicht des Schreckens halten wird. Was sich am Ende bewahrheitet hat“, sagt Rieken. „Das hat uns geprägt und vielleicht auch dafür gesorgt, dass wir etwas gelassener mit der Bedrohung durch den Klimawandel umgehen können als Jugendliche und junge Erwachsene.“
Dass es, abgesehen davon, durchaus auch Menschen gibt, die sich gar nicht um den Klimawandel sorgen, könnte Rieken zufolge auch etwas mit mangelnder Fähigkeit zum abstrakten Denken zu tun haben: „Der Klimawandel ist, anders als etwa der Krieg in der Ukraine, für viele Menschen abstrakt, weil wir etliche seiner Auswirkungen erst in ein paar Jahren voll zu spüren bekommen. Menschen mit Abstraktionsvermögen können diese Gefahren deshalb vielleicht besser erfassen als andere.“
Und für diese Menschen gilt, darin sind sich Psycholog:innen einig: Die Angst um das Klima lässt sich bewältigen und in konstruktive Bahnen lenken.