30.06.2022
Ulrike Schneeweiß

Design für Klimaschutz: Wie kleiden wir uns nachhaltig?

Die Bekleidungsindustrie hat ihre weltweite Produktion seit 2015 mehr als verdoppelt, um bis zu 24 neue Modekollektionen im Jahr anzubieten. Der immense Verbrauch an Energie und Chemikalien belastet Umwelt und  Klima massiv. Mit ihrer Forschungsinitiative „use-less“ ergründet Designprofessorin Martina Glomb an der Hochschule Hannover Wege der nachhaltigen Herstellung und Nutzung von Bekleidung.

Frau Glomb, welche Probleme sehen Sie beim derzeitigen Konsum von Bekleidung?

Grundsätzlich würde ich sagen, es gibt einen Mangel an Wertschätzung für Bekleidung. Eine Kollektion jagt die nächste, die Produktzyklen sind kurz, Kleidung wird rund um den Globus geschickt, weil sie in vielen armen Ländern billig produziert wird. Riesige Überproduktionen werden wieder vernichtet und massenhaft Chemie kommt bei der Produktion zum Einsatz. All das schadet der Umwelt und dem Klima – und damit letztlich uns selbst. Das Vergnügen an textilen Materialien und an der Gestaltung des eigenen Erscheinungsbildes wird mit dem Akt des Kaufens verbunden. In diesem konsumorientierten System sind wir völlig entfremdet von den Produkten, die wir nutzen, und von ihrer Entstehung; globale Prozesse der Bekleidungsfertigung sind uns total entglitten. Dabei müsste das nicht so sein! Verbraucher:innen und Designer:innen könnten viel näher zusammenrücken und in co-kreativen Prozessen Bekleidung gestalten, die den wahren Bedürfnissen der Nutzer:innen entspricht - also ihrem Anspruch an Stil, Funktion, Passform, Langlebigkeit und Materialeigenschaften.

Die Designerin M. Glomb steht vor einem Spiegel und trägt ein selbstentworfenes Kleid
Die Designerin M. Glomb steht vor einem Spiegel und trägt ein selbstentworfenes Kleid
Designprofessorin Martina Glomb
©
Tom Wesse

Was hat Textildesign mit dem Klima zu tun?

Im Design sind nicht nur Funktion und Aussehen, sondern auch die Nachhaltigkeit eines Produktes angelegt. Das fängt mit der Auswahl der Materialien an. Nehmen Sie zum Beispiel Wolle: Da haben Sie ein hochwertiges, langlebiges, strapazierfähiges tolles Material! Wenn ich es in allen Schritten wertschätzend und sorgfältig verarbeite, wird es auch zu einem tollen Produkt, hält ewig, kann repariert und weitergegeben werden. Und wenn es gar nicht mehr geht, kann ich es zerrupfen und neu verspinnen oder im Garten als Dünger eingraben. Werden der Wolle aber nur einige Prozent Polyester beigemischt, kann das Kleidungsstück am Ende seiner Nutzung eigentlich nur noch verbrannt oder auf die Deponie gebracht werden.

In Ihrer Ausstellung unter der Schirmherrschaft der Stilikone und Ökopionierin Vivienne Westwood haben Sie und Ihre Studierenden verschiedene Lösungsansätze und Visionen für die Bekleidungsindustrie gezeigt. Welchen Beitrag leisten Designer:innen, um die Ressourcen des Planeten zu schonen?

Ein Beispiel: In jedem Schritt der Textilherstellung und Bekleidungsproduktion entstehen Abfälle, die auf Halden oder in der Umwelt enden. Diese Sackgassen müssen wir vermeiden! Beim Zuschnitt von Textilien fallen beispielsweise etwa 20 Prozent Stoffreste an. Eine meiner Studentinnen hat aus solchen Reststücken eine ganze Kollektion entworfen und gefertigt. Ich bin überzeugt, dass derartige Produkte aus Upcycling grundsätzlich massenmarktfähig sind. Dazu erforschen wir derzeit verschiedene technische Ansätze. Außerdem verfolgen die Studierenden und ich ‘zero waste’- Designstrategien, bei denen die Schnitte von vornherein so angelegt sind, dass keine Ränder abgeschnitten werden.

Zwei Demonstratinnen in Wollpullis gekleidet
Zwei Demonstratinnen in Wollpullis gekleidet
Zwei Wollpullis, Designerin Josefine Faller
©
Linus Kempa

Verändern sich dadurch die Aufgaben der Designer:innen?

Ich sehe Designer:innen in einer ganz neuen Rolle: Als Change-Agents managen sie das Netzwerk von Schneider:innen, Materialforscher:innen, Maschinenbauer:innen, Verbraucher:innen. Sie sind die lokalen Ansprechpartner:innen für alle an der Fertigung Beteiligten, steuern Prozesse und schaffen Transparenz in allen Schritten von der Produktion bis zur Entsorgung. Unsere Aufgabe ist, die explodierten Wege der Tex-tilindustrie wieder zusammenführen …

Welchen Beitrag zum Wandel der Textilindustrie kann die (Material-)Forschung leisten?

Ich definiere Forschung als eine Mischung aus Gestaltung, Wissenschaft und Experiment. Entstehen müssen dabei nicht nur technische Weiterentwicklungen, sondern auch neue Wege und Systeme der Zusammenarbeit und Interdisziplinarität. Designer:innen sollten sich etwa mit Material- und Verfahrensingenieur:innen austauschen, um Textilien zu entwickeln, die in ihren Eigenschaften den Bedürfnissen der Konsumierenden entsprechen und in ihrer Herstellung und Verwendung nachhaltig sind. Wir müssen zudem Wege erforschen und erproben, wie wir uns gemeinsam und auch individuell am Wandel beteiligen können. Da geht es beispielsweise darum, wie wir unsere Bekleidung entsorgen, wenn wir sie nicht mehr tragen; oder wie wir dafür sorgen, dass Textilien möglichst lange genutzt werden.

Eine Frau trägt ein T-shirt mit der Aufschrift use-less
Eine Frau trägt ein T-shirt mit der Aufschrift use-less
Bild der Ausstellung use-less
©
Tom Wesse

Die Nutzungsdauer von Kleidungsstücken zu verlängern, ist ein entscheidender Beitrag zum Klima- und Umweltschutz. Was können modebewusste Konsument:innen ganz praktisch tun, um das zu erreichen?

Schauen Sie, anstatt etwas Neues zu kaufen, erst einmal in den eigenen Kleiderschrank. Lassen Sie sich dabei von einer Designerin oder Stylistin beraten! Und lösen wir uns von bestimmten Clichés: Warum nicht mal im alten Seidenkleid mit Wollpulli zum Tanzen gehen?

Die Schirmherrin unserer Ausstellung use-less, Vivienne Westwood, fasst ihre Aufforderung an Konsumierende übrigens in die wenigen Worte: „Buy less, choose well and make it last.“ Dazu kann neben Reparaturen auch gehören, ein altes Kleidungsstück durch kleine kreative Veränderungen oder mithilfe von Accessoires aufzupeppen. Das bedeutet ja auch, dass nachhaltiger Konsum nicht teurer ist, als die Art, wie wir uns heute kleiden. Wir besäßen einfach weniger, weil hochwertigere und wertgeschätzte Kleidungsstücke.

Was ist Ihre Version für die Mode und Bekleidung der Zukunft?

In meiner Vorstellung kleiden wir uns künftig einerseits in perfekt kreislauffähig gestaltet und produzierte, vereinheitlichte Teile der Grundausstattung - die könnte man auch mieten und gemeinsam waschen lassen, um Energie zu sparen. Dazu kommen hochgradig personalisierte, wertgeschätzte Kleidungsstücke, die in Maßarbeit, vielleicht als Upcycling, gemeinsam mit Nutzer:innen gestaltet und in hoher Qualität hergestellt werden - das ist meine Utopie.

 

 

Ausstellungsraum mit Stoffen an den Wänden
Ausstellungsraum mit Stoffen an den Wänden
Bild der Ausstellung use-less
©
Tom Wesse

Ende März hat die EU-Kommission ihre „Strategie für nachhaltige und kreislauffähige Textilien“ veröffentlicht. Mit dieser Strategie hat die EU einen Rahmen und eine Vision für einen nachhaltigen und zirkulär wirtschaftenden Textilsektor vorgegeben. Bis 2030 sollen alle Textilerzeugnisse auf dem EU-Markt langlebig und recyclingfähig sein. Zum größten Teil sollen sie aus Recyclingfasern bestehen, keine gefährlichen Stoffe enthalten und unter Einhaltung der sozialen Rechte und im Sinne des Umweltschutzes hergestellt werden. Verbraucher:innen sollen die hochwertigen, aber erschwinglichen Textilien länger nutzen können, „Fast Fashion“ soll aus der Mode kommen und wirtschaftlich rentable Wiederverwendungs- und Reparaturdienste sollen allgemein zugänglich sein.

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