Der neue Sachstandsbericht des Weltklimarats (WG I)
Anfang August 2021 veröffentlichte der Weltklimarat (IPCC) den ersten Teil seines sechsten Sachstandsberichts zum Klimawandel. Die Ergebnisse zeigen immer deutlicher, dass die Menschheit jetzt schnell und entschlossen handeln muss, wenn sie den Klimawandel und seine Folgen stoppen will. Die Atmosphären-Forscherin Astrid Kiendler-Scharr (†) vom Forschungszentrum Jülich war eine der Leitautorinnen des Berichts, der die neuesten naturwissenschaftlichen Grundlagen des Klimawandels zusammenfasst.
Frau Kiendler-Scharr, der Weltklimarat trägt den internationalen Forschungsstand zum Klimawandel zusammen. Wird hier auch selbst Forschung betrieben?
Nein, es ist der klare Auftrag an die Arbeitsgruppen des IPCC, eine Bewertung der vorhandenen Literatur und des aktuellen wissenschaftlichen Kenntnisstands vorzunehmen. Die Mitglieder der Arbeitsgruppen sind aber natürlich alle selbst Expert*innen auf ihrem Gebiet und betreiben parallel selbst ihre eigene Forschung weiter. Auch die Ergebnisse dieser Forschung fließen zum Teil in die Berichte mit ein, nachdem sie von Kolleg*innen bewertet worden sind.
In den IPCC-Berichten wird also der international bestehende wissenschaftliche Kenntnisstand zusammengetragen und bewertet?
Genau. Die Berichte werden über einen Zeitraum von knapp drei Jahren erstellt. In dieser Zeit wird von hunderten Wissenschaftler*innen kontinuierlich das neueste Wissen aus tausenden Publikationen zusammengetragen. Die Berichte entwickeln sich in dieser Zeit also kontinuierlich weiter und sind am Ende topaktuell. Mit ihnen wissen wir, was die Wissenschaft derzeit zum Thema Klimawandel weiß.
Und was sind die Kernaussagen des ersten Berichts, der sich mit den naturwissenschaftlichen Zusammenhängen des Klimawandels befasst?
Eine zentrale Aussage ist, dass es mittlerweile keinen Zweifel mehr daran gibt, dass der derzeitige Klimawandel vom Menschen verursacht ist. Die Schadstoffe, die wir Menschen ausstoßen, verursachen den Klimawandel. Dieser Zusammenhang ist naturwissenschaftlich unstrittig. Auch zur bereits erfolgten Erwärmung der Erde können wir nun genauer sagen, dass sie bei knapp 1,1 Grad im Vergleich zum vorindustriellen Zeitalter liegt. Eine dritte wichtige Aussage ist, dass die Anstiegsraten beispielsweise von Treibhausgasen, Erwärmung oder Meeresspiegel deutlich höher ausfallen, als in anderen erdgeschichtlichen Zeiträumen. Diese Änderungen vollziehen sich so schnell, dass sie auch für Ökosysteme problematisch sind, weil diese sich nicht so schnell an die sich verändernden Lebensbedingungen anpassen können. Jede Tonne Kohlendioxid, die in die Atmosphäre gelangt, verschärft diese Probleme. Denn es besteht ein linearer Zusammenhang zwischen den aufsummierten Kohlendioxid-Emissionen und der globalen Erwärmung.
Wieso wurde ein neues Kapitel zum Thema „Kurzlebige Klimaschadstoffe und Luftqualität“ in den WGI-Bericht aufgenommen?
Die kurzlebigen Klimaschadstoffe wie Aerosole, Ozon, Stickoxide oder Methan wurden in den bisherigen fünf Berichten schon immer unter dem Aspekt ihrer Klimawirksamkeit mitbehandelt. Jetzt im sechsten Sachstandsbericht wurde allerdings ein genauerer Blick darauf geworfen, was für ein Zusammenspiel es dabei mit der Luftqualität gibt. Aerosole, wie Staub oder Ruß beispielsweise, sind ein wichtiger Treiber schlechter Luftqualität. Sie haben aber auch kühlende Effekte fürs Klima, weil sie beispielsweise Sonnenstrahlung reflektieren. Sie mindern also teilweise die erwärmenden Effekte der Klimagase. Das heißt, sie verschlechtern die Luftqualität, maskieren aber einen Teil des Klimaeffekts der Treibhausgase. Wir haben nun genauer untersucht, ob und wie sich Luftqualität und Klimaschutz gegenseitig stärken oder belasten. Zusätzlich haben wir untersucht, wie sich eine Reduktion von kurzlebigen Treibhausgasen auf langfristige Entwicklungen auswirken würde, wie also ihre langfristige Klimawirksamkeit ist. Denn die kurzlebigen Schadstoffe bleiben, wie der Name schon sagt, nur für kurze Zeit in der Atmosphäre. Damit ist ein Zeitraum von manchmal nur wenigen Tagen bis hin zu 10 bis 12 Jahren gemeint. Andere Treibhausgase wie Kohlendioxid verbleiben deutlich länger in der Atmosphäre und wirken über Jahrhunderte.
Müsste nicht aus der Corona-Pandemie ein Zusammenhang zwischen kurz- und langfristigen Effekten ersichtlich sein? Können wir aus der Corona-Pandemie etwas für den Klimaschutz lernen?
Ja, das können wir. Die Klimawirkung der Corona-Maßnahmen ist sehr gering. Die Luftqualität hat sich zwar sehr schnell verbessert, weil kurzlebige Klimaschadstoffe, die auch für die Luftqualität relevant sind, eingespart wurden. Die vorübergehenden Reduktionen von Emissionen haben jedoch keine langfristige Klimawirksamkeit gehabt.
Prof. Dr. Astrid Kiendler-Scharr
Prof. Dr. Astrid Kiendler-Scharr leitete am Forschungszentrum Jülich das Institut für Energie- und Klimaforschung. Sie war zudem Vorstandsvorsitzende des Deutschen Klimakonsortiums. Am 6. Februar 2023 ist sie plötzlich und unerwartet verstorben. Zum Nachruf.
Bei den massiven Einschränkungen, die wir alle in den vergangenen Monaten erfahren haben, ist das sehr ernüchternd, oder?
Einerseits ja. Andererseits muss man berücksichtigen, dass die Maßnahmen dazu gedacht waren, die Ausbreitung eines luftgetragenen Virus zu verringern, nicht darauf, Klimaschutz zu betreiben. Die Emissionen waren auch nur vorübergehend reduziert. Für wirksamen Klimaschutz müssen wir dauerhafte Einsparungen von Treibhausgasen umsetzen und netto-null Emissionen erreichen.
Ihr Bericht erscheint knapp drei Monate vor dem Beginn der nächsten Weltklimakonferenz, der COP26 in Glasgow. Was erhoffen Sie sich von der Konferenz Anfang November?
Wir alle wissen mittlerweile, dass wir dringend handeln müssen, um den Klimawandel zu stoppen. Von der COP 26 in Glasgow erhoffe ich mir, dass es international ein Commitment dazu gibt, welche Wege wir nun gemeinsam beschreiten werden. Ich wünsche mir, dass das Bestreben, gemeinsame Wege einzuschlagen, stärker wird. Denn ein Ziel ohne Weg ist nur ein Wunsch. Beim Klimawandel darf es aber nicht beim Wünschen bleiben: Jedes Zehntelgrad weiterer Erwärmung verschärft unser Problem massiv.
Wenn diese Zusammenhänge naturwissenschaftlich so klar sind: Geben Sie als Autoren des Berichts auch Handlungsempfehlungen beispielsweise an die Wirtschaft oder Politik?
Das ist explizit nicht die Aufgabe des IPCC. Unsere Arbeit ist zwar politikrelevant. Wir geben jedoch keine konkreten politischen Handlungsempfehlungen. Wir bieten vielmehr die wissenschaftlichen Grundlagen für politische Entscheidungen. Wir analysieren auch so genannte Szenarien. Diese Szenarien zeigen, welche Entwicklungen aus möglichen künftigen Treibhausgaskonzentrationen resultieren würden. Politiker*innen können daraus also ersehen, was mit unserer Welt passieren würde, wenn wir weiterhin so viel Treibhausgas ausstoßen wie bisher oder wenn wir diesen Ausstoß reduzieren. Die Entscheidungen darüber, was getan wird, müssen letztendlich jedoch sie treffen, nicht wir Wissenschaftler*innen.
Weitere Infos
Die Experten des Weltklimarates kommen aus 195 Mitgliedsstaaten. Sie tragen regelmäßig im so genannten „Zwischenstaatlichen Ausschuss für Klimaänderungen“ (IPCC) die neuesten Kenntnisse zum Klimawandel zusammen und bewerten ihn auf wissenschaftlicher Grundlage. Dadurch bietet der IPCC einerseits eine Einschätzung zu Auswirkungen und künftigen Risiken des Klimawandels. Andererseits schafft er eine aktuelle Grundlage für die Zusammenarbeit von Regierungen und Wissenschaftler*innen.
Der Sachstandsbericht befindet sich derzeit in seinem sechsten Bewertungszyklus (AR6). Er besteht aus den Beiträgen von drei Arbeitsgruppen sowie einem Synthesebericht.
Am 9. August 2021 hat die erste Veröffentlichung, die der Arbeitsgruppe I (WG I), stattgefunden. In dieser werden die physikalischen Grundlagen des vergangenen, gegenwärtigen und zukünftigen Klimawandels dargestellt. Dabei werden neben wissenschaftlichen Informationen für die globale Gemeinschaft, auch Veränderungen auf regionaler Ebene zusammengetragen.