Da bewegt sich was
Corona stellt unser Mobilitätsverhalten auf den Kopf. Wir fahren mehr Fahrrad und gehen öfter mal zu Fuß. Für den Urlaub entdecken die Deutschen das Wohnmobil, mit dem sie an die Nord- oder Ostsee reisen. Wie nachhaltig die neue Mobilität ist und wie sie sich aufs Klima auswirkt, ist derzeit aber noch nicht absehbar.
„In Corona-Zeiten gibt es kein ‚konstantes‘ Mobilitätsverhalten mehr. Unsere Mobilität passt sich immer wieder an veränderte Situationen an“, sagt Barbara Lenz, Leiterin des Instituts für Verkehrsforschung am Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR). Das betreffe zum Beispiel die Öffnung von Geschäften oder Freizeitmöglichkeiten, Vorgaben von Arbeitgebern etwa zum Home-Office oder die Organisation von Kinderbetreuung oder Schulbetrieb.
„Viele der veröffentlichten Daten zur Corona-Situation zeigen, dass die Mobilität in Deutschland insgesamt mit dem Lockdown Ende März sehr stark zurückgegangen ist“, sagt Barbara Lenz. Das sehe man auch im Vergleich mit anderen Bereichen: „Der Anteil des Verkehrssektors an den insgesamt verursachten Emissionen ist – zumindest zwischenzeitlich – im April und Mai gesunken.“
Das betreffe sowohl den Straßenverkehr, als auch den Luftverkehr: So blieben in Europa laut der deutschen Flugsicherung 80 bis 90 Prozent der Flieger auf dem Boden. Das Umweltbundesamt geht nach ersten Erhebungen davon aus, dass der Straßenverkehr in den Städten zwischen März und Mai um 30 bis 50 Prozent zurückging. Damit gab es im Verkehrsbereich deutlich stärkere Rückgänge als im Industrie- und Energiesektor. „Deshalb gehen wir davon aus, dass der Emissionsausstoß im Verkehr in Deutschland in den letzten Monaten im Vergleich zum Vorjahr signifikant geringer war.“ Tatsächlich verzeichnet das Global Carbon Project in diesem Sektor einen Rückgang der CO2-Emissionen um 20 Prozent für Deutschland während des Lockdowns zwischen März und April.
Derzeit jedoch nimmt die Mobilität wieder Fahrt auf, wie Verkehrsforscherin Lenz weiß: „Mittlerweile bewegt sich die Anzahl der Autofahrten stark auf die Werte aus der Vor-Corona-Zeit hin und auch der Flugverkehr läuft seit einigen Wochen wieder an.“
Rückenwind fürs Fahrrad
In der Corona-Zeit ist auch das bevorzugte Verkehrsmittel ein anderes geworden, wie Erhebungen des Instituts für Verkehrsforschung zeigen. Große Gewinner sind das Fahrrad und die eigenen Füße: Diese werden jetzt häufiger bewegt als vor der Corona-Pandemie. Generell legten Menschen jedoch während des Lockdowns weniger Wege mit Verkehrsmitteln zurück. Für die Strecken, die sie dennoch machten, nutzten sie überdurchschnittlich oft das Auto. „Das Auto hat relativ gesehen an Bedeutung gewonnen gegenüber Bussen, Bahnen und Flugzeugen“, erklärt Barbara Lenz. „Zwar ist auch der Autoverkehr Ende März/Anfang April stark gesunken, allerdings weniger stark als die Nutzung des Öffentlichen Personenverkehrs.“ Die Erhebungen des DLR-Instituts zeigen, dass bei der Wahl des Verkehrsmittels verschiedene Faktoren eine Rolle spielen, zum Beispiel der „Wohlfühlfaktor“. So empfanden die Befragten in der Corona-Zeit die Verkehrsmittel als angenehmer, die sie nicht mit anderen Menschen teilen mussten.
Sommerurlauber bleiben zu Hause
Gerade in den Sommermonaten bestimmt der Reiseverkehr unser Mobilitätsverhalten. Auch hier stellt Corona viele Pläne auf den Kopf: Erste Analysen einer repräsentativen Erhebung des DLR-Instituts für Verkehrsforschung zum deutschen Reiseverhalten im April zeigen, dass 64 Prozent der Befragten nicht planen einen Sommerurlaub in diesem Jahr zu unternehmen. 26 Prozent der Befragten gaben an, in den Sommerurlaub zu fahren oder bereits einen Urlaub gemacht zu haben. 10 Prozent waren sich noch unsicher, ob sie überhaupt verreisen werden.
Derzeit läuft die Auswertung einer zweiten Befragungsrunde von Anfang Juli, die das Institut demnächst veröffentlicht wird. Ein erstes Ergebnis zeigt, dass Deutschland das beliebteste Urlaubsziel ist: 64 Prozent der Befragten, die im Juni Urlaub machten, taten dies im eigenen Land. Auf diesen Urlaubsreisen war der Pkw das dominierende Verkehrsmittel. 70 Prozent haben das Auto genutzt. 11 Prozent waren mit dem Wohnmobil beziehungsweise mit dem Wohnwagen unterwegs. „Der Urlaub mit dem Reisemobil scheint immer beliebter zu werden“, sagt Lenz. „Die Neuzulassungen von Freizeitfahrzeugen ist im Mai 2020 um 16 Prozent im Vergleich zum Vorjahr gestiegen.“
Auch das Mobilitätsverhalten in deutschen Touristenregionen hat sich in diesem Sommer geändert: „Derzeitige Mobilitäts-Hotspots sind die Urlaubsgebiete an der Nord- und Ostsee. Auswertungen von Mobilfunkdaten durch das Robert-Koch-Instituts (RKI) zeigen in diesen Regionen ein deutlich höheres Verkehrsaufkommen als im letzten Sommer“, sagt Barbara Lenz. So war das Verkehrsaufkommen beispielsweise in Mecklenburg-Vorpommern Mitte Juli 2020 bis zu 80 Prozent höher als im gleichen Zeitraum des letzten Jahres. In der Nordseeregion bei Husum und Sylt ist sie um 60 Prozent höher als im Vorjahr.
„In den Städten hierzulande scheinen die Touristenzahlen deutlich geringer zu sein als in den vergangenen Jahren. Beispielsweise zeigen die Daten des RKI, dass das Verkehrsaufkommen in Berlin im Vergleich zum letzten Jahr 10 bis 25 Prozent niedriger ist“, sagt Lenz. Dies liege wahrscheinlich am geringeren absoluten Tourismusaufkommen. „Diese These bestätigen auch unsere Recherchen zu Hotelbelegungen von Mitte März bis Mitte Juni. 2019 waren in diesem Zeitraum 83 Prozent der Hotelbetten in Berlin belegt, 2020 lediglich 12 Prozent.“
Auswirkungen auf die Atmosphäre noch unklar
Ob der Atmosphäre durch den bundesweiten Lockdown im März und April eine Emissions-Verschnaufpause gegönnt wurde, ist noch nicht sicher. Das Bundesumweltamt stellt fest, dass die Maßnahmen der Bundesregierung vor allem im Straßenverkehr und in der Industrie zwar zu einem reduzierten Schadstoff-Ausstoß führten. Um regionale Auswirkungen, den Einfluss auf die Atmosphäre und langfristige Effekte festzustellen, brauche es aber noch mehr Daten über einen längeren Zeitraum. Denn auch das Wetter nimmt Einfluss auf die Entstehung und Verbreitung von Schadstoffen. Dies müsse laut Bundesumweltamt unbedingt berücksichtigt werden, um herauszufinden, welchen Einfluss die Corona-Maßnahmen auf die Atmosphäre haben.
In der Helmholtz-Klima-Initiative erforscht Barbara Lenz wie sich Städte und ländliche Regionen zukünftig an den Klimawandel anpassen müssen, um Orte hoher Lebensqualität und gesicherter Mobilität zu bleiben. Sie untersucht wie sich veränderte Witterungsbedingungen wie zum Beispiel Hitze oder Starkregen auf das Mobilitätsverhalten der Menschen und damit auf den Verkehr insgesamt auswirken. Mehr zu den Projekten der Helmholtz-Klima-Initiative gibt es hier.