Jeder Kilometer zählt
Zur Arbeit, zum Einkaufen, in der Freizeit: Wir sind viel unterwegs. Das verursacht auch klimaschädliche Treibhausgase. Der Mobilitätssektor ist stärker denn je gefordert, diese Emissionen zu senken. Wie wir künftig klimafreundlich unterwegs sein können, untersuchen Helmholtz-Forschende.
„Wir kommen nicht weg vom Auto als Mittel der individuellen Mobilität“, sagt Barbara Lenz klipp und klar. Die Geografin leitete bis April 2021 das Institut für Verkehrsforschung am Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt. Das Auto, sagt sie, biete Komfort, Flexibilität, Unabhängigkeit – oder wenigstens ein Gefühl davon, auf das viele Menschen nicht verzichten wollen. „Die Art aber, wie wir das Auto nutzen, wird sich ändern“, ist Lenz überzeugt.
Noch nicht bereit: Wasserstoff und neue Treibstoffe
Seit Jahrzehnten ist es trotz aller Klimaschutzmaßnahmen kaum gelungen, die Emissionen von Treibhausgasen im Mobilitätsektor zu senken. Antriebstechnologien auf Basis von Wasserstoff, synthetischen oder biogenen Treibstoffen sind allerdings noch nicht bereit für den breiten Einsatz im individuellen Personenkraftverkehr, darin sind sich Verkehrsexpert*innen einig. Um klimafreundlicher unterwegs zu sein, gilt es derzeit also, die individuelle Mobilität auf elektrischen Antrieb umzurüsten. Er ist die energieeffizienteste Technologie, die uns für die Fortbewegung derzeit zur Verfügung steht und spielt damit für das Erreichen der Klimaziele eine zentrale Rolle.
Bei der Umstellung hilft vielleicht so etwas wie ein Mitzieh-Effekt: Je mehr Menschen E-Autos fahren, desto unpopulärer werden Verbrennungsmotoren. „Dieser Effekt wirkt ab etwa zehn Prozent Elektroautos auf den Straßen“, erklärt die Psychologin Meike Jipp, die das Institut für Verkehrsforschung inzwischen leitet. In Deutschland sind sie bisher aber eher Außenseiter. Von den knapp 50 Millionen Pkw auf Deutschlands Straßen sind nur etwa ein Prozent rein elektrisch betrieben. Immerhin: Die Zahl der Neuzulassungen elektrischer Modelle steigt.
Elektroautos fahren effizient, aber mit Nebenwirkungen
Doch auch E-Autos sind für die Umwelt nicht unproblematisch: Insbesondere die Herstellung von Batterien verbraucht weit mehr Ressourcen, also Material und Energie, als die der Bauteile konventioneller Fahrzeuge mit Verbrennungsmotor. Eine Analyse des Umweltbundesamtes (PDF) zeigt beispielsweise, dass für einen durchschnittlichen Kompaktwagen mit Elektromotor rund 75% mehr Primärrohstoffe benötigt werden als für einen entsprechenden Verbrenner. Für die zahlreichen verbauten Chips, den Elektromotor und die Batterie werden insbesondere Metalle benötigt, deren Vorkommen begrenzt sind. Zudem bergen die Bedingungen des Abbaus und der Aufbereitung dieser Metalle ökologische, soziale und politische Konflikte.
Eine Studie von Forschenden um Dietmar Göhlich, Professor für Produktentwicklung und Mechatronik von der Technischen Universität Berlin, ergab zudem: Selbst wenn der gesamte städtische Verkehr in Deutschland elektrisch betrieben wäre, fiele die Gesamtbilanz der Treibhausgasemissionen aus Herstellung, Betrieb und Entsorgung der Fahrzeuge bei dem derzeitigen Strommix nur etwa zwanzig Prozent niedriger aus als derzeit. Das Recycling der Materialien aus Batterien ist noch sehr aufwendig und bislang nicht vollständig möglich; zu den Möglichkeiten der weiteren Verwendung von Batterien nach ihrem Leben im E-Auto wird noch geforscht und experimentiert. Was also können wir noch tun, um klima- und umweltfreundlicher unterwegs zu sein?
Innovative Konzepte für den öffentlichen Personennahverkehr
„Mobilität ist ein zielgerichtetes Verhalten“, merkt Meike Jipp an. Wir brauchen sie, um beispielsweise zur Arbeit zu kommen. „Wenn Menschen weniger Auto fahren sollen, muss es bezahlbare Alternativen für alle geben“, betont Jipp.
Um das zu erreichen, gibt es nicht die eine technische Lösung, stellt ihre Kollegin Barbara Lenz klar. Die Rahmenbedingungen müssten stimmen: „Wir brauchen die Infrastruktur für den Wandel. Ein gut ausgebautes Netz von Radwegen, Radschnellwege für Berufspendler und mehr als doppelt so viel öffentlichen Personennahverkehr.“
Die Fahrzeuge des öffentlichen Personennahverkehrs (ÖPNV) sind schon heute vielfach elektrisch betrieben und damit klimaschonender als die bisherigen Verbrenner unterwegs. Gerade bei ihrer hohen Fahrleistung macht das Weniger an Emissionen einen bedeutenden Unterschied für den Klimaschutz. Doch die Nutzung muss auch attraktiv für Fahrgäste sein – auf mehreren Ebenen. „Es reicht nicht, die Vorteile rational zu erklären“, meint Lenz. „Wir müssen die Menschen auch auf emotionaler Ebene erreichen.“ Es müsste sie zum Beispiel stolz machen, Bus zu fahren und ihnen Spaß bereiten, regt Meike Jipp zum Nachdenken an.
Einzelne Städte haben hierzu bereits Ideen. Zum Beispiel, Patenschaften für Busse zu vergeben, um eine Beziehung der Nutzer und Nutzerinnen zu den Fahrzeugen zu fördern. Und manche Verkehrsbetriebe locken mit komfortabler oder ästhetischer Einrichtung: Die Deutsche Bahn experimentiert mit Lichtstimmungen in den Wagons von Regionalzügen, andere überlegen, Ruhe-, Arbeits- oder Spielebereiche oder Fahrgastlounges in Bussen und Bahnen einzurichten.
Digitalisierung macht den ÖPNV komfortabler
Auch die Digitalisierung hilft, indem sie die verschiedenen Module des ÖPNV komfortabler miteinander verknüpft. Und sie unterstützt niedrigschwellige Bezahlmodelle. „ÖPNV-Betreiber haben angefangen, neue Bezahlsysteme zu entwickeln: Wie wäre es, eine grundsätzliche Berechtigung zur Fahrt im ÖPVN in digitaler Form anzubieten?“, fragt Barbara Lenz. Dem Nutzer oder der Nutzerin würde dann wöchentlich oder monatlich der günstigste Preis für die zurückgelegten Fahrten berechnet.
Weniger, bewusster konsumieren
Auch beim Einkaufen beeinflussen wir den Verkehr: Was auf unserem Teller oder im Kleiderschrank landet, hat möglicherweise einen langen Weg hinter sich, der Ressourcen verbraucht, Umweltschäden verursacht und Treibhausgase produziert. „30 Prozent der Kilometerleistung in Deutschland findet im Güterverkehr statt“, sagt Barbara Lenz. Globaler Flug- und Seeverkehr verursachen riesigen Energiebedarf.
Doch die Informationen, die wir brauchen, um ein klima- oder umweltfreundliches Produkt auszuwählen, sind nicht immer leicht zugänglich und transparent. „Der individuelle Verbraucher ist oft aufgeschmissen“, sagt Lenz. Labels wie das EU Ecolabel können den ökologischen Fußabdruck verschiedener Produkte oder Leistungen abbilden und Verbraucher*innen ein Stück weit helfen, sich im Markt zu orientieren.
„Solche Ansätze erlauben es, die Nutzung des ÖPNV ganz neu zu denken“, meint die Verkehrsforscherin. Sie machen das Angebot niedrigschwelliger, indem sie den Nutzer*innen abnehmen, erst zu überlegen, wie sie am günstigsten an ihr Ziel kommen. Und weil sie einen wichtigen emotionalen Aspekt berücksichtigen: Vertrauen.
Barbara Lenz berichtet von einer Studie, die am DLR-Institut für Verkehrsforschung kürzlich durchgeführt wurde: „Den Neuwagenkäuferinnen und -käufern, die weiterhin am Verbrenner festhalten, fehlt vor allem Vertrauen in die Technologie der Elektrofahrzeuge“. Vertrauen, erzählt Psychologin Jipp, entsteht durch Erfahrung. Deshalb schätzt sie die Reallabore der Mobilitäts- und Klimaforschung, in denen neue Technologien und Mobilitätsformen unter Alltagsbedingungen erprobt werden. Hier habe jede und jeder die Chance, positive Erfahrungen mit neuen Nutzungsarten des Autos zu machen, etwa dem Car- oder Ride-Sharing. Gleichzeitig könnten Technologien und Modelle, die sich als untauglich erweisen, frühzeitig aussortiert oder nachgebessert werden.
Reallabore zeigen, wie die Zukunft aussehen könnte
Die Forschung nutzt solche Reallabore, um Ziele, Motivationen und Bedarfe von Verkehrsteilnehmenden besser zu verstehen. Mobilitätsexpert*innen erarbeiten Prognosen und Modelle, um gesellschaftliche und ökologische Effekte verschiedener Mobilitätsformen und -konzepte aufzuzeigen. Auf deren Basis informieren sie Politik und Wirtschaft, die Entscheidungen darüber treffen, wie wir gemeinsam Konzepte und Technologien klimafreundlicher weiter entwickeln.
„Die Gesellschaft ist ein Stakeholder in dieser Sache“, formuliert es Jipp. So ist jeder Verbraucher und jede Verbraucherin im Alltag gefordert, Entscheidungen zu treffen.
„Wir nutzen das Auto in erster Linie zum Einkaufen und für unsere Freizeitgestaltung“, sagt Lenz. Bei jeder Fahrt kann ich mich dann fragen: Wie groß ist die Notwendigkeit, wie kann ich diese oder jene Strecke bewältigen, welchen Preis bin ich bereit, dafür zu zahlen und welche Auswirkungen auf die Umwelt nehme ich in Kauf. Der Wissenschaft komme die Aufgabe zu, auch die Gesellschaft mit leicht verständlicher Information zu versorgen.
Den alten Verbrenner weiter fahren oder ein E-Auto kaufen?
Informationen, die helfen, solche klimarelevanten Alltagsfragen zu beantworten und Entscheidungen zu treffen – beispielsweise darüber, ob es ökologisch sinnvoll ist, ein Bestandsfahrzeug mit Verbrennungsmotor noch einige Zeit zu fahren. „Das hängt natürlich von der Fahrleistung ab“, sagt der Berliner Experte für E-Mobilität Dietmar Göhlich. Aber eben nicht nur. Eines von Göhlichs Forschungsgebieten sind Lebenszyklusanalysen. Diese bilden den gesamten Einfluss eines Produkts auf die Umwelt ab: von seiner Herstellung über den Betrieb bis zur Entsorgung, Wieder- oder Weiterverwendung.
Beim Batterierecycling, einem Faktor in der Ökobilanz von Elektrofahrzeugen, erwartet Göhlich beispielsweise innerhalb weniger Jahre umweltfreundlichere Weiterentwicklungen. „Zudem können wir davon ausgehen“, ergänzt er, „dass sich der Strommix mit der Energiewende weiter verändert. Der grüne Strom wird die Gesamtbilanz von Herstellung und Betrieb elektrischer Fahrzeuge klimaschonender machen.“
Zu Fuß, mit Rad oder Carsharing zur Haltestelle oder zum Bahnhof
Bei aller Weiterentwicklung elektrischer und anderer Antriebstechnologien – sie sind nur ein Puzzleteil der Verkehrswende. Neben dem technischen Fortschritt braucht es vor allem kreative Ideen dazu, wie wir unsere Mobilität in Zukunft gestalten. Heute mal mit dem Fahrrad zur Arbeit? Die Autofahrt zum Einkaufen mit der Nachbarin teilen?
Immer mehr Kommunen fördern die Mobilität im umweltfreundlichen Verbund aus Öffis, Fahrrad und Fußwegen. Sie erleichtern die Übergänge von einem Verkehrsmittel zum anderen, indem sie beispielsweise Leihfahrräder und Carsharing anbieten. Sie bauen Rad- und Fußwegenetze aus und betten sie in attraktiven öffentlichen Raum ein. Das ist ein wichtiger Aspekt, denn so wird etwa die Radfahrt zum Einkaufen gleichzeitig zu einem Ausflug durchs Stadtgrün. „Aktive Mobilität kann Spaß machen“, betont Barbara Lenz. „Und ganz nebenbei ist sie gesund - für die Umwelt und für uns.“