Kommunen klimasicher machen
Nach den verheerenden Folgen des Starkregens im Juli 2021 in mehreren Bundesländern fragen sich Städte und Gemeinden in ganz Deutschland, wie sich besser schützen und an Wetterextreme anpassen können. 22 Wissenschaftler:innen unter Koordination des Helmholtz-Zentrums für Umweltforschung (UFZ) in Leipzig hatten unmittelbar nach dem Ereignis fünf wesentliche Prinzipien definiert. Ein Jahr ist seitdem vergangen.
„Schon wieder so ein Ereignis solchen Ausmaßes. Wir wissen es doch eigentlich besser“, dachte Christian Kuhlicke angesichts der Berichte über das Hochwasser in Rheinland-Pfalz und Nordrhein-Westfalen im Juli 2021, „wir müssen uns schleunigst zu Wort melden“. Nach nur 24 Stunden und vielen Telefonaten mit Kolleginnen und Kollegen quer durch Deutschland waren die „Fünf Prinzipien für klimasichere Kommunen“ formuliert. Im Grunde steht darin nichts, was selbst außerhalb der Fachwelt nicht längst bekannt gewesen sein sollte, doch Kuhlicke war und ist es wichtig, erneut in Erinnerung zu rufen, dass dieses Wissen existiert und dass auch nicht dahinter zurückgefallen werden dürfe.
Hochwasser-Ereignisse werden anhand ihrer statistischen Häufigkeit beschrieben. „HQ100“ bedeutet beispielsweise ein Hochwasser, das im statistischen Mittel alle 100 Jahre auftritt. Das ist eine wichtige Marke, um Hochwasserschutz zu planen. Auch seltener auftretende Ereignisse, wie das Extremereignis („HQextrem“), werden in Hochwasserkarten ausgewiesen. Diese treten statistisch alle 200 bis 300 ein. Das Hochwasser im Juli 2021 hatte sich allerdings deutlich weiter ausgebreitet, als das bisher gedachte HQextrem. Das Ereignis war also deutlich seltener als das bis dahin angenommen Extremereignis - was allerdings nicht bedeutet, dass man für die nächsten 600 Jahre, oder so, vor einem solchen Hochwasser garantiert sicher wäre. Wie gesagt: es handelt sich um reine Statistik.
Für die großen Flüsse existieren gute Karten mit Vorhersagen der Überschwemmungsrisiken, die für viele kleine Flüsse in Deutschland aber fehlen. Kuhlicke vermisst detaillierte Informationen und Karten, die die größere Dynamik in engen und eng bebauten Flusstälern abbilden und Besonderheiten der Bebauung berücksichtigen. Die Querbebauung mit Brücken etwa, an denen sich Treibgut erst festgesetzt und die Flüsse zusätzlich aufgestaut und dann zu noch stärkeren Flutwellen geführt hatte. Eines der fünf Prinzipien lautet deshalb: „Frühwarnsysteme verbessern und Bevölkerungsschutz stärken“. Dabei geht es nicht nur um technische Warnsysteme wie SMS auf alle Mobiltelefone in betroffenen Gebieten, sondern darum, die Bevölkerung mit Handlungswissen für den Hochwasserfall auszustatten. Wann muss ich raus? Welche Fluchtwege kann ich nehmen? Um welche Nachbarn muss ich mich möglicherweise kümmern? „Und so müsste eigentlich vom Regentropfen bis zum Bürger an der Tür ein konstanter Informationsfluss existieren, so dass jeder weiß, was zu tun ist und auch jeder handelt, wie es ihm möglich ist“, sagt Kuhlicke. Und davon sei Deutschland, anders als beispielsweise der schweizerische Kanton Bern, sehr weit entfernt.
Interviews mit Christian Kuhlicke
Die Katastrophe jährt sich zum ersten Mal. Der Wiederaufbau hat nicht nur längst begonnen, er ist an vielen Orten auch schon so weit gediehen, dass von den Verwüstungen und ersten Schadenbildern selbst dort kaum noch etwas zu erkennen ist, wo das Wasser ganze Ortskerne überflutet hatte, wie beispielsweise im nordrhein-westfälischen Stolberg.
Doch ein Wiederaufbau verläuft nicht linear und selten planvoll, denn die den Aufbau organisierenden Strukturen wachsen, während er stattfindet. Auch hier kann ein Blick auf die vorhandenen wissenschaftlichen Erkenntnisse zum Klimawandel hilfreich sein. Zu den Prinzipien für klimasichere Kommunen gehören eine Klimaprüfung kritischer Infrastrukturen und die Förderung der Klimasicherheit von Gebäuden. Das heißt, nicht nur zu bauen und wieder aufzubauen wie Einrichtungen und Landschaften in der Vergangenheit ausgesehen haben, sondern dabei den Blick in die Zukunft zu richten. Die Frage darf nicht allein sein, ob die Infrastrukturen in einigen Jahrzehnten noch funktionsfähig und wirtschaftlich sind, sondern auch, ob die Standorte in Zukunft noch sicher genug sein werden.
Viele Gebäude sind in Privatbesitz. Paragraph 5 des Wasserhaushaltsgesetzes sagt: „Jede Person, die durch Hochwasser betroffen sein kann, ist im Rahmen des ihr Möglichen und Zumutbaren verpflichtet, geeignete Vorsorgemaßnahmen zu treffen“. Für Kuhlicke ist das zu wenig. Er schlägt vor, entsprechende Anreizsysteme auszubauen, wie es sie für energetische Sanierungen längst gibt. ”So könnte beispielsweise die Fähigkeit von Gemeinden und Städten, Wasser zu speichern, erhöht werden, indem Hausdächer begrünt, versiegelte Flächen entsiegelt und neue Oberflächen durchlässiger gestaltet werden. Auch die Speicherfähigkeit von Landschaften ließe sich erhöhen”, ist Kuhlicke überzeugt Das wiederum, so Kuhlicke, wäre eine kommunale und staatliche Aufgabe, die ohne passenden Gestaltungs- und Durchsetzungswillen ebenso schwer lösbar sei, wie ohne Kooperationsbereitschaft und Solidarität aller Beteiligen.
Auch wenn die Prinzipien klar sind und sich bei Neubauten oder planvollen Sanierungen leicht anwenden ließen, stoßen sie bei eher erratischen Wiederaufbauten nach Katastrophen recht schnell an ihre Grenzen. Hier will das Projekt KAHR (KlimaAnpassung HochwasserResilienz) einen Beitrag leisten, indem es sich nicht erst nach vielen Jahren den fertigen Wiederaufbau ansieht, sondern versucht, sofort zu verstehen, wie der Wiederaufbau vonstatten geht, welche Probleme es gibt und welche Instrumente und Ansätze auch langfristig gebraucht werden, um den Gefahren durch Hochwasser gerecht zu werden.
Bis Ende 2024 werden in dem Verbundprojekt unter anderem mit Bauingenieuren, Hydrologen, Umweltwissenschaftlern und Raumplanern Fragen zur Klimaanpassung, der risikobasierten Raumplanung und zum Hochwasserschutz erarbeitet. Die Forschung geht so weit ins Detail, dass Betroffene an der Tür befragt werden, wie sie auf welche Weise warum wieder aufgebaut haben (sie hätten auch wegziehen können). Es wird aber auch konkret geholfen. Die Beratungsgespräche des Kölner Hochwasserkompetenzzentrums mit Betroffenen und Kommunen geben wichtige Hinweise wie jeder Einzelnen den eigenen Schutz verbessern kann. Es werden also konkrete Maßnahmen für einen klimaresilienten und zukunftsorientierten Wieder- und Neuaufbau in den betroffenen Regionen gemeinsam mit der Praxis entwickelt.
Eine Bedienungsanleitung zum Wiederaufbau wird man am Ende aber trotzdem nicht in der Hand halten, räumt Christian Kuhlicke ein, ein besseres Verständnis davon, wie man Hochwassergefahren reduzieren kann aber sehr wohl. Und eine systematische Betrachtung eines Wiederaufbaus und seiner Bedingungen - denn die fehlt bislang.