Gibt es wirklich einen Klimawandel?
Behauptung: „Der Meeresspiegel steigt gar nicht“
Behauptung: Das Gerede von steigenden Ozeanen und versinkenden Inseln ist Quatsch. Die Küstenpegel auf Tuvalu beispielsweise geben keine Anzeichen für einen Untergang. Auch auf anderen Pazifikinseln zeigten Tidenmesser in den letzten 16 Jahren keine Änderung des Meeresspiegels.
Antwort: Der Meeresspiegel wird mit einer Reihe unterschiedlicher Methoden gemessen, die alle zu ähnlichen Ergebnissen kommen: Daten von Sedimentbohrkernen, Küstenpegeln und Satelliten belegen, dass der Meeresspiegel global steigt. Der Anstieg hat sich im letzten Jahrhundert beschleunigt. Messungen an nur einem einzigen Ort und über kurze Zeitspannen sind kein verlässlicher Indikator für die Gesamtentwicklung.
Ein häufiger Fehler von Kritiker:innen der Klimaforschung besteht darin, aus Datenbruchstücken mit begrenzter Aussagekraft sehr weitgehende Schlussfolgerungen zu ziehen – und dabei das Gesamtbild zu vernachlässigen. Die Behauptung, der Anstieg des Meeresspiegels habe sich verlangsamt oder sei gar zum Stillstand gekommen, ist ein typisches Beispiel für diese Argumentationsweise.
Dabei wird gern auf Satellitenmessungen des durchschnittlichen weltweiten Meeresspiegelanstiegs seit Anfang der neunziger Jahre geblickt (siehe Abbildung 1). Mit Verweis auf diese Datenkurve war vor Jahren immer mal wieder öffentlich behauptet worden, seit 2006 oder auch seit 2010 stagniere der Meeresspiegel.
Abbildung 1: Satellitenmessungen der Veränderungen des globalen Durchschnitts- Meeresspiegels 1993-2011 (ohne saisonale Schwankungen und invers-barometrischem Effekt), in Rot die Daten des Satelliten „Topex“, in Grün und Gelb die der Folgemissionen „Jason“, die blaue Kurve zeigt das 60-Tages-Mittel, die schwarze Linie den Gesamttrend; Quelle: University of Colorado
Doch betrachtet man die vollständige Datenreihe, dann wird deutlich: Der langfristige Trend des Meeresspiegelanstiegs ist lediglich von kurzfristigen Schwankungen überlagert. Wegen dieser Fluktuationen gibt es immer mal wieder Zeiträume mit mehr oder weniger raschem Anstieg, bisweilen sogar mit kurzzeitigen Rückgängen. Diese temporären Schwankungen bedeuten jedoch keine Änderung im klimabedingten Gesamttrend, und tatsächlich stieg der Meeresspiegel auch nach 2006 oder 2010 oder eine ähnlichen Kurzzeit-Stagnation nach 2016 weiter - wie aus einer aktuelleren Grafik klar ersichtlich ist (siehe Abbildung 2).
Abbildung 2: Satellitenmessungen der Veränderungen des globalen Durchschnitts- Meeresspiegels 1993-2021 (ohne saisonale Schwankungen und invers-barometrischem Effekt), in Rot die Daten des Satelliten „Topex“, in Hellblau, Gelb und Grün die der Folgemissionen „Jason1-3“, die schwarze Kurve zeigt das 60-Tages-Mittel, die dunkelblaue Linie den Gesamttrend; Quelle: University of Colorado
Dieses Phänomen zeitweiliger Unter- bzw. Überschreitungen der Trendlinie ist übrigens normal, wenn aus Einzeldaten einer schwankenden Entwicklung eine Langzeitentwicklung abgeleitet wird. Bei den Temperaturaufzeichnungen beispielsweise ist es nicht anders (und auch dort werden oft die gleichen falschen Schlüsse gezogen). Man sollte deshalb stets sehr skeptisch sein, wenn jemand langfristige Tendenzen aus Daten nur weniger Jahre (oder nur eines Ortes) abzuleiten versucht. Eine weitere typische Strategie, mit der die wissenschaftlichen Befunde zum Meeresspiegelanstieg bestritten werden, ist, die Aussagekraft der Daten anzuzweifeln.
Traditionell wird der globale Durchschnitts-Meeresspiegel (d.h. der weltweite Durchschnitt des Ozeanpegels) durch Tidenmesser bestimmt. Diese ermitteln den Stand der Meeresoberfläche im Verhältnis zur Küste. Ein Problem dabei ist, dass nicht nur der Meeresspiegel, sondern auch die Höhe der Landmasse sich verändern kann, z.B. als Landabsenkung durch das Abpumpen von Grundwasser oder durch glazio-isostatische Ausgleichsprozesse. Diese treten auf, wenn Landmassen früher von massiven Eisschilden heruntergedrückt wurden und sich nach der Befreiung von der Eislast nach dem Ende der letzten Eiszeit noch nach oben bewegen. Ein bekanntes Beispiel dafür ist Bottenwiek, der nördliche Teil der Ostsee-Bucht zwischen Schweden und Finnland, wo sich das Land immer noch um bis zu zehn Millimeter pro Jahr hebt (Nordmann et al. 2020). Zur Erstellung einer weltweiten Historie des Meeresspiegel-Standes werden solche Landhebungs- oder Senkungsprozesse herauskorrigiert.
Außerdem ist zu beachten, dass sich die Meeresspiegel regional deutlich unterscheiden können, beispielsweise durch den Einfluss von Ozeanströmungen. So steigt der Meeresspiegel etwa im tropischen Pazifik deutlich schneller als im weltweiten Durchschnitt, weiter im Norden des Pazifik hingegen deutlich langsamer. Auch haben Ozeanströmungen dafür gesorgt, dass die Pegel an der nordamerikanischen Westküste während der 1990er und 2000er Jahre zeitweise fielen – ein Trend, der sich aber mittlerweile umgekehrt hat.
Will man ein fundiertes Bild der weltweiten Entwicklung der Meeresspiegel bekommen, müssen solche Sondereinflüsse berücksichtigt werden. Und es ist hilfreich, Daten aus möglichst verschiedenen, voneinander unabhängigen Quellen zu verwenden – neben den traditionellen Tidenmessungen auch die seit einigen Jahrzehnten verfügbaren Satellitendaten. Alles zusammengenommen ist das Ergebnis klar: Die Meeresspiegel steigen – und zwar immer schneller.
Wie aber fügen sich die Daten der vergangenen Jahrzehnte in die längere Entwicklung ein – und wie wird es vermutlich weitergehen?
Schon Church/White 2006 ermittelten mithilfe von Tidenmessern, die über die gesamte Erde verteilt sind, einen sich beschleunigenden Anstieg der Meere im 20. Jahrhundert. Dabei zeigte sich, dass die Anstiegsrate sich von ca. einem Millimeter pro Jahr zu Beginn des 20. Jahrhunderts auf rund drei Millimeter pro Jahr zum Ende des 20. Jahrhunderts beschleunigt hat.
In neueren Untersuchungen konnte der Meeresspiegel über noch längere Zeiträume aus Sedimentdaten rekonstruiert werden. Eine entsprechende Studie zum Nordatlantik zeigte beispielsweise, dass die Anstiegsrate im 20. Jahrhundert dreimal so hoch war wie in jedem früheren Jahrhundert der zurückliegenden 2000 Jahre (Kemp et al. 2011). Eine weitere Studie kam für den globalen Meeresspiegel sogar zu dem Ergebnis, dass dieser Anstieg der schnellste in fast 3000 Jahren war (Kopp et al. 2016). Auch an den deutschen Küsten sind die Meeresspiegel in den letzten Jahrzehnten schneller gestiegen als vorher, wie Pegeldaten aus der Deutschen Bucht belegen.
Dass die Meeresspiegel global steigen und ich zuletzt beschleunigt haben, ist also bereits lange bekannt und gesichertes Wissen. Den aktuellen Stand der Forschung hat der Sechste Sachstandsbericht des IPCC 2021 zusammengefasst (Abbildung 3). Das Fazit lautet (IPCC 2021, AR6, Band 1, Kapitel 2.3.3.3):
„Der mittlere globale Meeresspiegel steigt, und der Anstieg ist seit dem 20. Jahrhundert schneller als in jedem vorangegangenen Jahrhundert in mindestens den vergangenen drei Jahrtausenden (hohe Gewissheit).“
Abbildung 3: Anstieg des mittleren Meeresspiegels seit 1850 – zahlreiche, voneinander unabhängige Datensätze und Studien (dargestellt jeweils in einer eigenen, farbigen Kurve) zeigen übereinstimmend, dass sich der Anstieg im letzten Jahrhundert beschleunigt hat; Quelle: IPCC 2021, AR6, WG1, Kap.2, Abb.2.28 (Ausschnitt)
Der Sechste IPCC-Sachstandsbericht enthält auch Abschätzungen der künftigen Entwicklung der Meeresspiegel. Dessen Anstieg setzt sich (wie auch jener der Vergangenheit) aus mehreren Komponenten zusammen: Da ist zum einen die thermische Ausdehnung der Wassermassen in den Ozeanen – wenn deren Temperatur im Zuge der Erderwärmung steigt, nimmt auch das Volumen zu. Zum anderen ist klar absehbar, dass das weltweite Abschmelzen der Gebirgsgletscherdie Meere weiter steigen lässt. Am schwierigsten zu beziffern ist der Beitrag, den das Schmelzen des Festlandeises in Grönland und der Antarktis haben wird – denn die dortigen Eismassen sind riesig, ihre Entwicklung sehr komplex, und die Zeiträume, in denen sie auf eine gestiegene Temperatur der Erde reagieren, extrem lang. Studien deuten darauf hin, dass durch die bereits eingetretene Erwärmung in der Westantarktis die Schwelle zur Instabilität bereits überschritten wurde und damit ein jahrhunderte- bis jahrtausendelanger Prozess einer Schmelze irreversibel begonnen hat (Joughin et al. 2014, Rignot et al. 2014, Patton & Morlighem 2020).
Vor allem zum letzten Punkt hat die Forschung in den vergangenen Jahren große Fortschritte gemacht. Die Aussagen des IPCC zum künftigen Meeresspiegelanstieg im Sechsten Sachstandsbericht liegen deshalb deutlich höher als in vorherigen Reports. Wenn die Treibhausgas-Emissionen ungebremst steigen, muss bis zum Jahr 2100 mit 63 Zentimetern bis 1,01 Metern gerechnet werden (verglichen mit dem Zeitraum 1995-2014, als die Pegel bereits rund 16 Zentimeter höher lagen als vor Beginn der Industrialisierung). Im optimistischsten Szenario, also bei strengsten Klimaschutzbemühungen, wären es immer noch 28 bis 55 Zentimeter (IPCC 2021, AR6, Band 1, Summary for Policymakers). Wegen der Unsicherheiten beim künftigen Verhalten der Eisschildekönnte der Anstieg jedoch auch viel höher ausfallen: rund zwei Meter bis 2100 und fünf Meter bis 2150 könnten nicht ausgeschlossen werden, mahnt der IPCC.
Abbildung 4: Anstieg des durchschnittlichen weltweiten Meeresspiegels gegenüber dem Niveau des Jahres 1900. Selbst bei strengstem Klimaschutz (hellblaue Linie - "SSP1-1.9") muss bis Ende des Jahrhunderts mit etwa einem halben Meter gerechnet werden, bei ungebremsten Emissionen (rotbraune Linie - "SSP5-8.5") sind bis zu ein Meter wahrscheinlich. Doch selbst ein noch stärkerer Anstieg (oberste, gestrichelte Linie) kann nicht gänzlich ausgeschlossen werden; Quelle: IPCC 2021, AR6, WG1, SPM, Abb. SPM.8d (Ausschnitt)
Weil die Meeresspiegel so träge reagieren, werden die Unterschiede zwischen einer Welt ohne und einer Welt mit ambitioniertem Klimaschutz umso deutlicher, je weiter man in die Zukunft blickt.
Würde die Menschheit ihre Treibhausgasemissionen schnell und drastisch reduzieren, wird der globale Meeresspiegel bis 2300 wohl dennoch um bis zu 3,10 Meter anschwellen. Werden jedoch weiterhin große Mengen Treibhausgaseemittiert, muss in den nächsten 280 Jahren sogar mit bis zu 6,80 Meter gerechnet werden – doch selbst 16 Meter sind nicht ausgeschlossen, sollten tatsächlich Kippelemente in Gang gesetzt werden, die den Eisverlust in der Antarktis beschleunigen (IPCC 2021, AR6, Band 1, Technical Summary, Box TS.4).
John Cook/klimafakten.de, November 2011;
zuletzt aktualisiert: Dezember 2021