„Wir müssen die Chance haben, einzugreifen“
Mit dem Klimawandel steigt die Gefahr von Waldbränden auch in Deutschland. Sollte deshalb totes Holz, das die Brände verstärkt, aus den Wäldern geräumt werden? Oder sollte es aus Naturschutzgründen liegen bleiben? Hauptbrandmeister Detlef Maushake aus Vechelde in Niedersachsen ist Gründer des Vereins Waldbrandteam, das sich in der Forschung und Entwicklung zeitgemäßer Brandbekämpfung und -vorbeugung engagiert. Er erklärt, worauf es aus Sicht der Feuerwehren ankommt.
Herr Maushake, die Brände in diesem Jahr haben uns wachgerüttelt, weil sie deutlich machen, wie geschwächt unsere Wälder sind. Sie sind Waldbrandexperte und waren selbst zum Einsatz im Harz, Ihr Team war auch in der Sächsischen Schweiz. Wie haben Sie die Situation vor Ort erlebt?
Maushake: In den betroffenen Gebieten des Harzes und der sächsischen Schweiz lag tatsächlich sehr viel Totholz am Boden. Es hat sich dort aufgrund von vermehrtem Sturmbruch und Schädlingsbefall ange-sammelt und war durch die anhaltende Hitze und Trockenheit leicht brennbar. Aus Sicht eines Feuerbe-kämpfenden bedeutet trockenes Totholz Brandmasse, egal ob es nach forstwirtschaftlichem Einschlag oder aus Naturschutzgründen im Wald bleibt. Je mehr Brandmasse am Boden liegt, desto heißer brennt das Feuer - dann kann es so weit kommen wie jetzt in Teilen der Sächsischen Schweiz. Wenn von gestande-nen Bäumen nur noch verkohlte Stecknadeln übrig bleiben, lag zu viel Totholz am Boden.
Nationalparkvertreter und auch Forstwirte belassen totes Holz bewusst im Wald, weil es dort verschiedene ökologische Funktionen erfüllt. Unter anderem bildet es die Nährstoffgrundlage für folgende Generationen von Bäumen und beheimatet viele Tierarten. Stehen Brand- und Naturschutz im Widerspruch zueinander?
Maushake: Man muss unterscheiden: Wald ist nicht gleich Wald, und Feuer ist nicht gleich Feuer. Ein niedrigenergetisches Bodenfeuer läuft durch einen naturnahen Mischwald und verzehrt nur die Streuschicht. Das überleben viele Bäume ohne allzu große Schäden. Auf der fruchtbaren Asche können bestimmte Samen sogar gut austreiben und gedeihen. Bei einer Intensität des Feuers, wie wir sie diesen Sommer in den Nationalparks erlebt haben, leidet auch der Boden: Die Humusschicht verbrennt, Pilze und Mikroorganismen, die zum Ökosystem gehören, werden vernichtet. Da bleibt nicht viel von der Biodiversität des Waldes. Es dauert sehr lange, bis auf diesen ‘sterilen’ Böden wieder etwas wächst. Von den ökologischen Aspekten abgesehen ist es für Feuerwehrleute lebensgefährlich, in stark totholzbelastete Gebieten zu arbeiten. Wir müssen solchen Bränden deshalb unbedingt vorbeugen.
Was sind denn die häufigsten Auslöser der Waldbrände?
Maushake: In über 90 Prozent der Fälle ist mit hoher Wahrscheinlichkeit der Mensch verantwortlich. Technische Defekte an forst- oder landwirtschaftlichen Fahrzeugen können einen Brand auslösen, ebenso wie Funkenflug von einer Straße auf die Böschung, von wo sich das Feuer in einen angrenzenden Wald ausbreitet. Häufig sind auch Waldbesucher unachtsam, werfen glimmende Zigarettenstummel in das Unterholz oder löschen ein Lagerfeuer nicht vollständig. Und natürlich gibt es bewusste Brandstiftung. Wir müssen festhalten: Der Mensch ist der treibende Faktor für Waldbrände. Aus meiner Sicht ist das eine Schwachstelle in der Konzeption der Nationalparks: Man überlässt einerseits die Natur sich selbst und nimmt dabei ein erhöhtes Brandrisiko in Kauf. Gleichzeitig lässt man den Brandverursacher schlechthin als Besucher in die Parks - den Menschen.
In der Kernzone des Nationalparks Harz lässt man den Wald nach den Bränden auf natürliche Weise wieder aufwachsen. So soll ein naturnaher, standortgerechter Wald entstehen, der dem Klimawandel standhält und auch gegen Feuer besser geschützt ist. Ist das aus Ihrer Sicht eine geeignete Vorbeugungsstrategie?
Maushake: Aus der Brandschutzperspektive muss man dabei die Zeit mit bedenken, bis dort wieder ein Wald steht. Wachsen beispielsweise vorrangig wieder Fichten heran, weil die Samen aus der Umgebung einfliegen, finden sich in 20 bis 30 Jahren junge Bäume, die besonders vollbrandgefährdet sind: Ihre Zweige setzten nah über dem Boden an und durch Funkenflug oder Flammen gelangt ein Brand leicht bis in die Kronen, wo er sich schnell ausbreitet.
Noch davor wachsen auf den verbrannten Flächen Gräser und Kräuter. Wegen des fehlenden Schattens und der fast schon wüstenartigen klimatischen Bedingungen, die etwa im Harz auftreten können, liegen die Flächen oft trocken. Am Boden kann es bis zu 50°C oder 60°C heiß werden. Das sind dann ideale Voraussetzungen für die Entzündung und Ausbreitung eines Feuers.
Sollte der Mensch also stärker eingreifen, um die Wälder auch in den Nationalparks schneller umzugestalten?
Maushake: Auch wenn wir den strategischen Umbau der Wälder auf klimaresiliente Mischwälder mit aller Kraft voranbringen, nimmt er Jahrzehnte in Anspruch. In der Brandbekämpfung und -vorbeugung brauchen wir auch Lösungen für jetzt! Wenn wir so weitermachen wie bisher, werden wir weiterhin große Waldbereiche an das Feuer verlieren.
Also doch das Totholz wegräumen?
Maushake: Die Vorstellung, man könnte sämtliches Totholz flächendeckend aus den Wäldern entfernen, ist völlig illusorisch - das ist, als wollten wir mit dem Fahrrad zum Mond fliegen. Aber wir Feuerwehren müssen die Chance haben, bei einem Schadbrand einzugreifen, um Gefahr für Mensch und Infrastruktur abzuwenden. Dafür brauchen wir kurzfristige Lösungen, die alle Beteiligten mittragen können. Es kann zum Beispiel bedeuten, dass man bestimmte Bereiche beräumt, die uns nach menschlichem Ermessen die Möglichkeit geben, einen Brand an dieser Stelle aufzuhalten. Zudem benötigen wir Möglichkeiten, Brandschutzschneisen und Zufahrtswege anzulegen. Auch waldnahe Wohngebiete müssen umsichtig gestaltet werden - die leicht brennbare Koniferenhecke um den Garten am Waldrand ist ein No-Go. Die Feuerwehren beraten Anwohner in Fragen der Vorbeugung.
Und, das mag jetzt überraschend klingen, aber aus Gründen des Brand- wie des Naturschutzes kann es sehr sinnvoll sein, Totholz und Sträucher in bestimmten Waldbereichen während der kalten Jahreszeit und unter streng kontrollierten Bedingungen aktiv abzubrennen. Im Fall eines Schadbrandes verlangsamt das die Ausbreitung des Feuers. In Südeuropa und Skandinavien werden solche kontrollierten Brände bereits praktiziert. Unser Verein versendet deshalb Mitglieder zu Schulungen nach Portugal.
Das Gespräch führte Ulrike Schneeweiß