Warum der Klimawandel behinderte Menschen besonders trifft
Der 5. Mai ist Europäischer Protesttag zur Gleichstellung von Menschen mit Behinderung – auch in Zusammenhang mit dem Klimawandel ist das ein wichtiges Thema. Denn obwohl sie besonders von den Folgen des Klimawandels betroffen sind, werden Menschen mit Behinderung von der Klimapolitik systematisch ignoriert. Dabei müssten sie besser geschützt und stärker direkt einbezogen werden. Barrierefreie Informationen, direkte Kommunikation und mehr Forschung könnten die Situation verbessern.
Dass Menschen mit Behinderung besonders vom Klimawandel betroffen sind, hat verschiedene Gründe. In Notsituationen, die durch Extremwetterereignisse in Zukunft häufiger auftreten können, brauchen die Rettungskräfte für die Evakuierung von behinderten Menschen oft besonderes Wissen oder technisches Zubehör. Diese besonderen Anforderungen werden aber in Notfallplänen und Evakuierungskonzepten oft nicht mitbedacht. Im Extremfall kommt es zu Tragödien wie beim Hochwasser im Ahrtal, wo bei der Flutkatastrophe zwölf Menschen mit Behinderungen in einer Einrichtung der Lebenshilfe ertranken.
Je nach Art ihrer Behinderung leiden sie außerdem besonders unter Hitzewellen, Wassermangel und anderen Gesundheitsrisiken, die der Klimawandel verschärft, wie etwa allergisches Asthma durch verstärkten Pollenflug.
Zudem haben Menschen mit Behinderung durch die strukturelle Diskriminierung, auch Ableismus genannt, oft weniger Ressourcen für den Umgang mit potenziell negativen Folgen des Klimawandels – beispielsweise wäre ein Umzug in eine andere Umgebung für sie mit größeren finanziellen und organisatorischen Hürden verbunden.
Weltweit fehlt die Inklusion beim Klimaschutz
Eigentlich sind alle Staaten verpflichtet, die Menschenrechte zu schützen und in ihrer Politik auch Menschen mit Behinderung zu berücksichtigen. Eine Studie der kanadischen McGill University hat die nationalen Beiträge zum Klimaschutz (englisch „Nationally Determined Contributions“, kurz NDCs) daraufhin vergleichend untersucht. Die Analyse von Jodoin und Kolleg:innen zeigt: Nur 37 von 192 NDCs erwähnen Menschen mit Behinderung überhaupt bei der Anpassung an die Folgen des Klimawandels, 14 davon nennen konkrete Maßnahmen. Menschen mit Behinderung werden von der Politik weltweit „systematisch ignoriert“, schlussfolgern die Autorinnen und Autoren.
Auch Deutschland steht im internationalen Vergleich nicht gut da, obwohl es eine reiche Industrienation ist – in den deutschen NDCs werden Menschen mit Behinderung nicht einmal erwähnt, anders als etwa in den Plänen von Zimbabwe oder Panama. Wie könnte sich diese Situation verbessern?
Informationen zugänglich machen und Betroffene einbeziehen
Autorin und Expertin Andrea Schöne bemängelt: „Viele Informationen sind für Menschen mit Behinderung nicht zugänglich, weil sie nicht barrierefrei sind. Wir bräuchten ein gut zugängliches Informationsangebot zu Klimawandel und Katastrophenschutz in Leichter Sprache – das wäre für die gesamte Bevölkerung hilfreich.“ Deutschland stehe im internationalen Vergleich erst am Anfang der Debatte um die Inklusion von behinderten Menschen beim Thema Klimawandel. Doch der Zugang zu Bildung und Informationen sei nur eine Voraussetzung für die politische und gesellschaftliche Teilhabe. Menschen mit Behinderung müssten beim Thema Klimagerechtigkeit stärker einbezogen werden – hilfreich sein könnten z.B. feste Plätze für behinderte Menschen in politischen Gremien, die neue Maßnahmen beschließen, oder die Gründung einer Organisation, die politische Lobbyarbeit macht. So könnte das Thema im Mainstream verankert werden, damit Menschen mit Behinderung bei zukünftigen politischen Maßnahmen mitbedacht werden. Auch ein internationaler Austausch wäre hilfreich, insbesondere mit noch stärker betroffenen behinderten Menschen aus dem globalen Süden oder indigenen Gemeinschaften.
Mehr Forschung zu besonderen Bedarfen nötig
Menschen mit Behinderung sind weltweit die größte marginalisierte Gruppe. Doch es ist durch die Vielzahl der verschiedenen Behinderungen unmöglich, Maßnahmen für alle zu planen. „Wir brauchen mehr Wissen darüber, wie sich die Folgen des Klimawandels auf verschiedene Arten von Behinderungen auswirken können, wie Extremwetterereignisse Menschen mit verschiedenen Behinderungen betreffen werden, und in welcher Hinsicht sie besonders vulnerabel sind“, sagt Dr. Sasha Kosanic. Die Physiogeografin forscht und lehrt an der Liverpool John Moores University zu den Effekten des Klimawandels auf Ökosysteme und die Gesellschaft, insbesondere auf besonders gefährdete Gruppen. Es fehle an konkreten Daten und an Forschung zu dem Thema, doch auch im Wissenschaftssystem hätten behinderte Menschen eine schwache Lobby.
„Im Moment sitzen Menschen mit Behinderung nicht mit am Tisch, wenn Pläne gemacht und Entscheidungen getroffen werden – das muss sich ändern“, sagt sie. Menschen mit Behinderung müssten als Expert*innen einbezogen werden. Insbesondere lokale Organisationen und Interessenvertretungen könnten Bedürfnisse ihrer Mitglieder sehr gut identifizieren und bündeln, aber um daraus eine erfolgreiche Politik zu machen, brauche es eine gute Koordination. Nur so könnte auch verborgene Diskriminierung verhindert werden – wenn Maßnahmen von Menschen ohne Behinderung geplant werden, die an den Bedürfnissen der Zielgruppe vorbeigehen und keinen positiven oder sogar negative Effekte haben.
Auch bei der Planung von neuen Regelungen und technischen Lösungen für mehr Klimaschutz müssten behinderte Menschen einbezogen werden. Ansonsten können diese ihr Leben plötzlich massiv erschweren – so war etwa das Verbot von Plastikstrohhalmen ohne Ausnahmen für viele Betroffene ein großes Problem, ebenso wie etwa nicht rollstuhlgerechte E-Ladesäulen. Nur so können neue Maßnahmen für Klimaschutz so gestaltet werden, dass sie die Diskriminierung von Menschen mit Behinderung im Alltag eher abbauen als vergrößern. Auch beim Thema Klimagerechtigkeit ist also das Motto der UN-Behindertenrechtskonvention zutreffend: Nichts über uns ohne uns.