Der Wald der Zukunft - Umbauen statt Aufräumen?
Unsere Wälder sind wertvolle Natur- und Lebensräume. Sie leisten bedeutende Beiträge zum Klimaschutz und lindern die Folgen des Klimawandels für den Menschen. Doch sie leiden zunehmend unter Hitze und Dürre. Wissenschaftler:innen und Unternehmen, die Wälder bewirtschaften, machen sich gemeinsam Gedanken darüber, wie wir den Wald der Zukunft gestalten.
Diese Anblicke waren nicht schön. „Nach den Dürren von 2018 und 2019 waren etwa 380 000 Hektar der Waldfläche in Deutschland abgestorben“, sagt Friedrich Bohn. „Das entspricht etwa drei Prozent der Gesamtfläche.“ Der Anteil abgestorbener Flächen am Gesamtwald variiert zwar von Jahr zu Jahr, in den Jahren 2019 und 2020 sind jedoch so viele Bäume abgestorben wie seit fast dreißig Jahren nicht. Und wir brauchen unsere Wälder als wichtige CO2-Speicher, um dem Klimawandel entgegenzuwirken. In Deutschland bindet der Wald rund sieben Prozent unserer jährlichen Gesamtemissionen. „Damit sie ihre Aufnahmekapazität aufrechterhalten können, müssen wir zuallererst das Abkommen von Paris einhalten“, mahnt der Forscher, der am Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung (UFZ) Computermodelle von Wäldern entwickelt.
Vom Menschen geprägt
Doch auch den moderaten Klimaveränderungen, die mit einer globalen Erwärmung um 1,5°C einhergehen, halten die Wälder Deutschlands in ihrer derzeitigen Form nicht stand. Heute machen Fichten rund ein Viertel der Bäume in deutschen Wäldern aus, knapp ein weiteres Viertel sind Kiefern. Oft stehen sie in Reinkultur, dicht an dicht und Reihe um Reihe - „fast wie Pflanzen auf einem Maisfeld“, sagt Jörg Müller, Professor für Biodiversität an der Universität Würzburg und Leiter des Sachgebiets Naturschutz und Forschung des Nationalparks Bayerischer Wald.
Unsere Wälder sahen nicht immer so aus. „Sie sind geprägt von menschlicher Bewirtschaftung. Beginnend im Mittelalter und angetrieben durch die Industrialisierung hat man in ganz Mitteleuropa verstärkt Fichten angebaut“, erläutert Müller. „Sie wachsen vergleichsweise schnell und die geraden Stämme lassen sich gut industriell verarbeiten.“ Allerdings leiden Fichten besonders unter der zunehmenden Hitze. Und als typische Flachwurzler trifft sie der Mangel an oberflächennahem Wasser während der Dürreperioden besonders. Schädlinge wie der Borkenkäfer befallen dann gern geschwächte Bäume und können sich in den Monokulturen ungehindert ausbreiten. Hinzu kommen Stürme, die spröde Stämme flächenweise einfach umknicken.
Ein Wald, viele Funktionen
Um unsere Wirtschaftswälder für die künftigen Klimabedingungen zu rüsten, muss der Mensch aktiv eingreifen. „Wie wir unsere Wälder gestalten, hängt auch davon ab, was wir von ihnen wollen“, sagt UFZ-Forscher Bohn. Stand bei der Wahl der Fichte die wirtschaftliche Holzgewinnung im Vordergrund, rücken heute auch andere Funktionen des Waldes in den Fokus: Er ist CO2-Speicher, Schattenspender und Erholungsgebiet, Luft- und Wasserfilter. „Das Entscheidende, um diese Funktionen nachhaltig zu stärken, ist, dass wir unsere Wälder konsequent auf artenreiche Mischwälder mit einer heterogenen Altersstruktur umbauen!“, erklärt Jörg Müller von der Uni Würzburg. Was das in der forstwirtschaftlichen Praxis heißt, verdeutlicht der Geschäftsführer der Hatzfeldt-Wildenburg´schen Verwaltung, einer der größten Waldbesitzer Deutschlands: „Wir haben seit den 1990er Jahren heimische Laubbäume im Voranbau gepflanzt“, also im Schutz des bisherigen Baumbestandes. “Und wir experimentieren mit Gastbaumarten wie Douglasie oder Esskastanie, die hoffentlich besser mit Hitze und Dürre klarkommen“, erzählt Nicolaus Graf von Hatzfeldt. Er ist froh, dass schon sein Vater die Veränderungen auf den über 15.000 Hektar Wald, die das Familienunternehmen bewirtschaftet, mutig vorangetrieben hat. „Unter den absterbenden Fichten steht in unseren Wäldern heute eine Schicht junger Laub- und Nadelbäume, die den Boden schützen und zu unserer wirtschaftlichen Zukunft heranwachsen.“
Trockenheit bringt Brandgefahr
Wälder im Hatzfeldt’schen Besitz, die noch von Fichten und Kiefern dominiert sind, wurden aufgelichtet. „Dadurch bringen wir zum einen Sonne auf den Boden, damit die nächste Baumgeneration unter dem Schirm der alten Bäume heranwachsen kann“, sagt von Hatzfeldt. Die Auflichtung und die Mischung der Bäume hilft gleichzeitig, den Schädlingsbefall zu begrenzen. Und die nachwachsende Baumschicht dämmt die Brandgefahr ein, die bei großer Hitze und Trockenheit zunimmt.
Die kiefernreichsten Flächen der Forstverwaltung liegen in Brandenburg. Die dortigen sandigen Böden sind, wie der Dürremonitor Deutschland im Sommer 2022 deutlich zeigte, besonders von anhaltenden Perioden der Bodentrockenheit betroffen und damit brandgefährdet. „Um aufkommenden Brände effizient bekämpfen zu können, wurde der Wald in Absprache mit der Feuerwehr erschlossen“, sagt Nicolaus von Hatzfeldt. Es wurden teilweise befestigte Wege und ein Netz von Löschbrunnen und -teichen angelegt. Deutschlandweit hat es im vergangenen Sommer auf über 4000 Hektar Waldfläche gebrannt, die Feuer haben teilweise verheerende Schäden angerichtet. Die Bilder verkohlter Flächen zeigen drastisch, wie sehr der Klimawandel die Natur auch in unseren Breiten schwächt und damit gleichzeitig Klimaschutzpotenzial zerstört.
Ökosystemleistungen in Wert setzen
Zur nachhaltigen Gestaltung des Waldes gehört es, den Rohstoff Holz entsprechend zu nutzen. Ein nachhaltiges Produkt aus Holz bindet den gespeicherten Kohlenstoff mindestens so lange, bis ein gleichwertiger Baum nachgewachsen ist. Derzeit wird viel kurzlebiger Zellstoff und Papier aus Holz gefertigt, außerdem wird es als Brennstoff benutzt. „Ein Stück Totholz im Wald bindet den Kohlenstoff etwa fünf mal länger als das durchschnittliche Produkt, das wir daraus machen“, erklärt Waldexperte Prof. Jörg Müller. Holz bietet auch viele Möglichkeiten, es im Bau einzusetzen. „Dort kann es den Kohlenstoff Jahrhunderte lang binden“, sagt UFZ-Forscher Dr. Friedrich Bohn. Allerdings erfordert das letztendlich ein Umdenken und Umlenken entlang der gesamten Produktionskette, vom Sägewerk bis zum Bauingenieur.
Totholz: Nährstoffquelle oder Brandverstärker?
Im Zuge der Brände kam immer wieder die Frage auf, ob totes Holz die Feuer schürt und aus den Wäldern geräumt werden sollte. „In gesunden Wäldern liegt nicht viel Totholz, und nur der kleinste Teil davon ist überhaupt brennbar“, sagt Jörg Müller. „Absterbende Bäume werden von Pilzen zersetzt und verlieren sehr schnell an Brennwert.“ Auch die Hatzfeld’sche Verwaltung belässt Holz, das sie nicht wirtschaftlich nutzt, im Wald. Dazu gehören etwa Baumstümpfe und Wipfel. Von Hatzfeld spricht gerne von Biotopholz. „Der Baum mag zwar ‘tot’ sein, bietet aber weiterhin Lebensraum - und zwar einen anderen, als ein lebender Baum. Diese Ergänzung ist für die Artenvielfalt im Wald wichtig.“ Zahlreiche Arten von Kleintieren, Amphibien und Insekten besiedeln das abgestorbene Holz. Für das Ökosystem Wald hat es viele weitere Funktionen: Umgeknickte Bäume und herabgefallene Äste beschatten den Boden und halten Wind und Bodenfröste fern. Sie schützen nachwachsende Bäume vor Wildverbiss. Sie saugen sich mit Wasser voll, halten Feuchtigkeit im Wald und schützen ihn so auch im Fall eines Brandes. Die meisten Brände entzünden sich nämlich am Boden und das feuchte Totholz hemmt die Ausbreitung. „Unter günstigen Bedingungen kann so ein Brand von alleine zum Stillstand kommen“, sagt Müller. Viele Bäume würden sogar ein gewisses Maß an Feuer vertragen und sich vollständig erholen.
Nicht jeder Wald ist gesund
Im Nationalpark Harz sind inzwischen mehr als 80 Prozent der Fichten abgestorben, erklärt der dortige Nationalparkleiter Dr. Roland Pietsch. Hier wie im Nationalpark Sächsische Schweiz liegen besondere Flächen: ehemalige Fichten- und Kiefernmonokulturen, die aus Naturschutzgründen seit Jahrzehnten sich selbst überlassen wurden. Abgestorbenes Holz als Nährstoffgrundlage für nachwachsende Waldgenerationen liegen zu lassen, gehört zur Schutzstrategie dieser Gebiete.
Wo sich solch große Mengen trockenen Holzes am Boden ansammeln, sind Brände für die Feuerwehr schwer zugänglich. Zudem können sie sehr intensiv brennen, zurück bleibt eine veränderte Landschaft. Das Totholz zur Brandvorbeugung großflächig zu beseitigen, ist aus Sicht der Nationalparkleiter dennoch keine Option. Es sei technisch kaum möglich und wirtschaftlich reiner Wahnsinn, sagen sie. „Die Aufgabe würde Forstmaschinen über viele Jahre binden, die in den wirtschaftenden Forstbetrieben zur Freimachung von Pflanzflächen viel dringender gebraucht werden“, erklärt Roland Pietsch. „Außerdem würden sie die empfindliche natürliche Bodenstruktur komplett zerstören. Gerade die begünstigt aber den zügigen Aufwuchs neuer Vegetation.“
Selbst auf stark verbrannten Flächen in Kerngebieten der Nationalparks bewältigt die Natur den Umbau aus eigener Kraft. „Mit dem Wind kommen zuerst die Samen von Gräsern und Kräutern, später kommen Sträucher hinzu und schließlich wachsen, eingebracht von Wind und Tieren, auch wieder Bäume“, schildert Roland Pietsch, was er im Nationalpark Harz erwartet. Wo noch Holz am Boden liegt, schützt und nährt es die nachwachsende Vegetation. „Anfangs kann sogar die Asche das Wachstum fördern. Über Jahrhunderte erwächst dann ein neuer naturnaher, standortgerechter Wald.“