Verantwortungsvolle Forschung zu ozeanbasierter CO2-Entnahme
Das Interesse an Methoden der meeresbasierten Kohlendioxid-Entnahme (CDR) wächst schnell. Während viele Fragen, einschließlich denen nach ökologischen und sozialen Risiken, noch beantwortet werden müssen, sollte die Forschung zu ozeanbasierten Entnahmemethoden auf sichere und verantwortungsvolle Weise durchgeführt werden, sagt David Keller vom GEOMAR Helmholtz-Zentrum für Ozeanforschung Kiel.
Um die Klimaziele des Pariser Abkommens zu erreichen, müssen die vom Menschen verursachten Treibhausgasemissionen schnell und drastisch reduziert werden. Laut dem jüngsten Bericht des Weltklimarates (IPCC) werden sich einige Treibhausgasemissionen aus der Landwirtschaft, dem Flugverkehr und industriellen Prozessen kaum vollständig vermeiden lassen. Um das Ziel der Treibhausgasneutralität trotzdem zu erreichen, müssen diese Restemissionen durch eine gezielte Entnahme von Treibhausgasen aus der Atmosphäre ausgeglichen und das entnommene Gas dauerhaft von der Atmosphäre ferngehalten werden. Methoden zur gezielten Kohlendioxidentnahme aus der Atmosphäre werden unter dem Begriff Carbon Dioxide Removal (CDR) oder Negativemissionstechnologien (NET) diskutiert.
Viele der bisher untersuchten CDR-Methoden sind landbasiert, wie zum Beispiel die Kombination von Forstwirtschaft und Ackerbau. Dabei wächst jedoch das Forschungsinteresse an ozeanbasierten CDR-Methoden, denn: Der Ozean ist die größte natürliche Kohlenstoffsenke der Welt und spielt eine entscheidende Rolle bei der globalen Klimaregulierung. Er bedeckt über 70 Prozent der Erdoberfläche und nimmt bereits jetzt etwa 25 Prozent der jährlichen CO2-Emissionen auf. Da die natürliche CO2-Aufnahme viel Zeit in Anspruch nimmt, zielen viele der ozeanbasierten CDR-Ansätze darauf ab, diese Prozesse zu beschleunigen sowie die Fähigkeit des Ozeans, CO2 aus der Atmosphäre zu entfernen, zu stärken.
Wachsendes Forschungsfeld mit vielen Fragen
Ozeanbasierte CDR-Ansätze können wie folgt unterteilt werden: 1) Verfahren, die die natürlichen (biologischen, chemischen oder physikalischen) Kapazitäten des Ozeans zur CO2-Aufnahme verbessern, 2) technische Maßnahmen zur CO2-Entfernung und 3) hybride Methoden, die natürliche und technische Ansätze kombinieren (für weitere Informationen zu den einzelnen Ansätzen siehe Infobox unten).
Zu den biologischen Verfahren gehören zum Beispiel die Kultivierung von Makroalgen, künstlicher Auftrieb, die gezielte Düngung des Oberflächenwassers mit Eisen, die Verklappung von terrestrischer Biomasse und das Wiederherstellen und Erweitern von Küstenökosystemen wie Mangroven, Seegraswiesen und Seetang. Zu den geochemischen Methoden gehört die Erhöhung der Alkalinität des Ozeans, das heißt des Säurebindungsvermögens von Meerwasser, während das künstliche Absinken eine physikalische Methode ist. Zu den technischen Methoden gehört die direkte CO2-Abscheidung aus dem Meerwasser mit anschließender Speicherung im Untergrund. Zu den hybriden Methoden gehört der Anbau von Meeresbiomasse wie Algen zur Gewinnung von Biokohle oder Bioenergie mit Kohlenstoffabscheidung und -speicherung (BECCS) oder zum Versenken.
"Das Interesse an ozeanbasierten CDR-Methoden wächst schnell. Öffentliche und private Gelder fließen sowohl in die Forschung, die Interessenvertretung als auch in erste Feldexperimente", sagt David Keller, leitender Wissenschaftler in der Forschungseinheit Biogeochemische Modellierung am GEOMAR Helmholtz-Zentrum für Ozeanforschung Kiel. Öffentliche Mittel für die Forschung in diesem Bereich kommen vor allem von der Europäischen Union (OceanNETs, RESCUE und SEAO2-CDR Projekte), Deutschland (Forschungsmission CDRmare), den Vereinigten Staaten (NOAA und ARPA-E) und China (ONCE).
David Keller koordiniert das europäische OceanNETs-Projekt, in dem 14 Institutionen aus sechs Ländern die Potenziale und Risiken ozeanbasierter negativer Emissionstechnologien untersuchen. Das Projekt zielt darauf ab, die effektivsten Ansätze mit gleichzeitig geringsten Risiken zu ermitteln und ihre sozialen, wirtschaftlichen und politischen Auswirkungen zu bewerten.
Die Forschung zeigt, dass alle ozeanbasierten CDR-Methoden positive wie negative Nebeneffekte haben, so Keller. "Biologische Ansätze können die Artenvielfalt, aber auch die Licht-, Nährstoff- und Sauerstoffverfügbarkeit im Ozean verändern. Geochemische Ansätze hingegen können den chemischen Kohlegehalt der Ozeane verändern, was die Versauerung von Ozeanen wahrscheinlich begünstigt." Hinzu kommt: Geochemische Methoden erfordern eine umfangreiche Infrastruktur, einschließlich Minen, Schiffen und Plattformen, so Keller weiter. Auch bei technischen CDR-Methoden müssen riesige Wassermengen gefiltert werden, was zum Absterben von Plankton führen und den chemischen Kohlegehalt der Ozeane verändern kann. "Diese Begleiterscheinungen müssen jedoch mit den Folgen des Nichtstuns verglichen werden, da der Klimawandel bereits massive Auswirkungen auf den Ozean hat", erklärt Keller. Ein weiteres Problem besteht darin, dass einige Auswirkungen erst nach Jahren oder an einem anderen Ort auftreten können, je nachdem, in welchem Umfang die CDR-Methoden eingesetzt werden.
CDRmare
Laut Keller müssen viele Fragen zu ozeanbasierten CDR-Ansätzen noch beantwortet werden. Trotz der Studien zur Modellierung des Erdsystems und einer Reihe von Feldexperimenten wissen die Wissenschaftler:innen immer noch nicht, wie sie die verschiedenen Verfahren in größerem Maßstab einsetzen und wie sie ihre Nebeneffekte minimieren oder vermeiden können. Bei vielen Ansätzen ist es schwierig zu messen, wie viel Kohlenstoff entnommen und gespeichert wird, und die derzeitigen Methoden zur Überwachung, Berichterstattung und Überprüfung vom ozeanbasierten CDR sind unausgereift und müssen weiterentwickelt und standardisiert werden, so Keller.
"Wir müssen auch bewerten, welche CDR-Ansätze für verschiedene Standorte machbar und wünschenswert sind", sagt Keller. "Es ist klar, dass es nicht nur einen Ansatz gibt, der den Bedarf an Kohlendioxid-Entnahme überall decken kann. Wahrscheinlich werden wir in Zukunft auf verschiedene CDR-Ansätze im Meer und auf dem Land zurückgreifen."
Gewährleistung einer "sicheren und nachhaltigen" Forschung
Die bisherigen Bewertungen von CDR-Ansätzen konzentrierten sich auf ihre technische und wirtschaftliche Machbarkeit, sagt Keller. Als Teil der ASMASYS-Forschungsgruppe innerhalb des CDRmare arbeitet Keller an einem einheitlichen und transdisziplinären Bewertungsrahmen, der nicht nur die Machbarkeit, sondern auch die Erwünschtheit verschiedener ozeanbasierter CDR-Ansätze im Dialog mit Interessengruppen in Deutschland untersucht. Besonderes Gewicht wird auf Bewertungskriterien gelegt, die rechtliche, soziale und ethische Aspekte wie Transparenz, faire Verteilung von Nutzen und Lasten sowie Fragen der Gerechtigkeit berücksichtigen.
Um sicherzustellen, dass die Forschung zu ozeanbasierten CDR-Methoden auf ethische und verantwortungsvolle Weise durchgeführt wird und die Risiken für die Gesellschaft, die Natur und die Ökosysteme minimiert werden, hat Keller zusammen mit einem internationalen Team von Wissenschaftler:innen unter der Leitung des ASPEN Energie- und Umweltprogramms einen Verhaltenskodex für die Forschung zum marinen Kohlenstoffabbau entwickelt.
Als Keller vor etwa zehn Jahren anfing zu ozeanbasierten CDR-Methoden zu forschen, war er skeptisch und konzentrierte sich darauf, die Nebeneffekte aufzuzeigen. "Im Laufe der Zeit wurde mir jedoch klar, dass angesichts der mangelnden Fortschritte bei der Bekämpfung des Klimawandels Methoden zur CO2-Entnahme erforderlich sind. Mein Fokus liegt nun darauf, wie wir diese Methoden sicher und nachhaltig umsetzen können", so Keller weiter.
Infobox: Ozeanbasierte Methoden zur CO2-Entnahme
Biologische Methoden
Der Transport von nährstoffreichem Wasser aus der Tiefe des Ozeans mit Hilfe von Rohren oder Wellenpumpen in die obere Schicht des Ozeans kann eine düngende Wirkung haben. Die Nährstoffe regen das Wachstum des Phytoplanktons an, und es kann mehr CO2 in seiner Biomasse gebunden werden. Wenn das Phytoplankton abstirbt und seine Biomasse in die Tiefsee sinkt, kann der gebundene Kohlenstoff je nach Standort für Jahrzehnte bis Jahrtausende in der Tiefe des Ozeans gespeichert werden. Es bestehen jedoch Ungewissheiten darüber, wie viel CO2-reiches Tiefenwasser gepumpt werden kann und welche biologischen und anderen Begleiterscheinungen diese Methode hat. Weitere Informationen.
Dieser Ansatz zielt darauf ab, terrestrische Biomasse, also z.B. Holz oder Stroh zu ernten und in der Tiefsee oder in sauerstoffreien Gewässern zu versenken oder in Küstensedimenten zu vergraben. Terrestrische Biomasse enthält den Kohlenstoff, der durch die Vegetation während des Wachstums aus der Atmosphäre entfernt wird. Zu den Nebeneffekten gehören das Vergraben der Meeresbodenfauna, das zum Ersticken und zum Tod von Organismen führen kann, die Störung der Biogeochemie der Sedimente und möglicherweise die Entstehung von neuen Gebieten ohne Sauerstoff. Der freigesetzte Kohlenstoff und die Nährstoffe können je nach Standort in Zeiträumen von Jahrzehnten bis zu Jahrtausenden wieder an die Oberfläche gelangen.
Die Ozeandüngung zielt darauf ab, bestimmte Elemente wie zum Beispiel Eisensulfat, die das Wachstum des Phytoplanktons anregen, in die oberen, sonnenbeschienenen Schichten des Ozeans einzubringen. Der Prozess der Photosynthese bindet Kohlenstoff und verwandelt ihn in Biomasse des Phytoplanktons. Wenn das Phytoplankton abstirbt und absinkt, kann der gebundene Kohlenstoff je nach Standort Jahrzehnte bis Jahrtausende in der Tiefe gespeichert werden. Es bestehen jedoch Unsicherheiten darüber, wie viel Kohlendioxid durch diese Methoden gebunden werden kann. Zu den bekannten Nebeneffekten gehören eine veränderte Artenvielfalt und Produktivität des Planktons. Modellstudien haben gezeigt, dass sich dies bei massiver Anwendung auf den Sauerstoffgehalt der Ozeane auswirken kann. Weitere Informationen.
Küstenökosysteme wie Mangroven, Seegraswiesen, Salzwiesen und Seetang sind äußerst effizient bei der Aufnahme von CO2 und der Speicherung von Kohlenstoff in ihrer Biomasse und im Boden. Durch den Erhalt, das Wiederherstellen und Erweitern von Küstenökosystemen kann die Menge des in den Küstensedimenten gespeicherten Kohlenstoffs erhöht werden. Dieser Ansatz hat positive ökologische Nebeneffekte: Er fördert die biologische Vielfalt und bietet wichtige Lebensräume für viele Arten. Außerdem hilft er, die Küsten vor Erosion, Stürmen und dem Anstieg des Meeresspiegels zu schützen. Die Rate der CO2-Entnahmen, das heißt die Geschwindigkeit, mit der CO2 aus der Atmosphäre entfernt wird, von diesem Ansatz ist sehr unterschiedlich und hängt von den Arten, der Geografie und den Umweltbedingungen ab. Weitere Informationen.
Chemische Methoden
Die Alkalinität ist die Fähigkeit einer Lösung, Säure zu neutralisieren. Eine höhere Alkalinität des Meerwassers kann seine Fähigkeit zur Kohlenstoffspeicherung verbessern. Dadurch kann der Ozean der Atmosphäre mehr CO2 entziehen und es dauerhaft speichern. Wenn man zerkleinerte Mineralien wie Silikat, Carbonatgestein oder künstlich hergestellten Kalk in das Oberflächenwasser des Ozeans einleitet, lösen sie sich auf und erhöhen die Alkalinität des Ozeans, wobei sich die Aufnahme von CO2 durch den Ozean erhöht. Alkalische Lösungen können auch aus Wasser selbst durch Elektrochemie in Reaktoren erzeugt und dann in den Ozean eingeleitet werden. Bei Ansätzen auf mineralischer Basis erfordert diese chemische Neutralisation mehr als eine Tonne Gestein pro Tonne entferntes CO2.
Um einen globalen Effekt zu erzielen, müsste für die benötigte Menge an Mineralien eine völlig neue Bergbau- und industrielle Fertigungsindustrie in großem Maßstab aufgebaut werden. Für elektrochemische Ansätze müsste eine neue Infrastruktur geschaffen werden, zum Beispiel als Zusatz zu bestehenden Entsalzungsanlagen. Bislang ist unklar, wie sich die Alkalinitätserhöhung durch diese Ansätze auf die marinen Ökosysteme auswirken würde. Neben den Risiken durch potenziell toxische Verunreinigungen in Gesteinsstaub müssen auch die ökologischen Auswirkungen, wie die Auswirkungen des erhöhten pH-Werts und der verringerten CO2-Konzentration noch untersucht werden. Weitere Informationen.
Physikalische Methoden
Dieser Ansatz zielt darauf ab, Kohlenstoff, der an der Meeresoberfläche aufgenommen wurde, in die Tiefsee zu transportieren, wo er für Jahrhunderte bis Jahrtausende gespeichert wird. Dieser technische Ansatz existiert bisher nur in der Theorie und würde Berechnungen zufolge große Mengen an Energie erfordern, wobei zahlreiche Unsicherheiten hinsichtlich der Nebenwirkungen des Ansatzes bestehen.
Technische Methoden
Diese Ansätze zielen darauf ab, CO2 chemisch oder elektrochemisch aus dem Meerwasser zu entfernen und für die geologische Speicherung zu konzentrieren. Die direkte Entfernung kann dann die CO2-Aufnahme im Oberflächenwasser des Ozeans erhöhen, wenn Wasser mit einer niedrigeren CO2-Konzentration dem Ozean wieder zugeführt wird und sich wieder mit der Atmosphäre ausgleicht. Zu den Nebeneffekten gehören die Notwendigkeit, riesige Wassermengen zu filtern mit potentiellen Auswirkungen auf das Plankton, die Risiken der Kohlenstoffabscheidung und -speicherung sowie der veränderte Kohlegehalt im Ozean.
Hybride Methoden
Diese Ansätze zielen darauf ab, Algen oder Makroalgen zu züchten, um (a) die Biomasse zur Bildung von Biokohle zu pyrolysieren, die an Land ausgebracht wird, oder (b) aus der Biomasse Biokraftstoffe zu erzeugen, die in Verbindung mit Technologien zur Kohlenstoffabscheidung und -speicherung verbrannt werden können, oder (c) die Biomasse in der Tiefsee zu versenken. Die Makroalgenzucht kann auch zu einer natürlichen Kohlenstoffbindung über gelösten und partikulären organischen Kohlenstoff führen. Es bestehen Ungewissheiten darüber, wie viel Kohlenstoff gebunden wird und über die Nebeneffekte auf die Biologie des Ozeans durch die Konkurrenz um Nährstoffe und die Beschattung der Wassersäule durch Makroalgenfarmen.