Strom aus der Fassade
Hinter dem Baugerüst schimmern die Platten in kräftigem Blau. Jede einzelne von ihnen hat die Form eines rechteckigen Fensters. Hindurchsehen kann man jedoch nicht. Gemeinsam ergeben sie vielmehr die schmucke Fassade eines Neubaus in Berlin-Adlershof. Je nach Sonneneinstrahlung schimmert sie in verschiedenen Blautönen. Ein Blickfänger für jeden Passanten, für Wissenschaftler jedoch eine Quelle sauber erzeugter Energie mit einem riesigen Potenzial. Künftig wollen sie deshalb Gebäudehüllen noch viel stärker nutzen, um mit ihnen Solarenergie zu produzieren.
Björn Rau ist einer dieser Experten. An einem freundlichen Oktobertag steht der Kenner von Solarenergie vor dem Neubau des Helmholtz-Zentrums Berlin und begutachtet die letzten Montagearbeiten an der Werkshalle. Schon bald soll die neue Photovoltaik-Anlage Strom liefern. Das Besondere sind die 360 Solarmodule. Nicht versteckt auf dem Dach sind sie montiert, sondern weithin sichtbar als schmückendes Fassendenelement.
„Dieses Projekt ist bisher einmalig und es kommt genau zur richtigen Zeit“, sagt Rau. Bislang kenne man Photovoltaik fast nur von Modulen, die auf Hausdächern installiert seien oder in Solarparks auf der grünen Wiese stünden. Doch mittlerweile sei die Technik schon viel weiter ausgereift und biete Architekten eine Vielzahl von Einsatz- und Gestaltungselementen.
Mit der Fassade, die in Adlershof entstehe, könne man nun als Reallabor wertvolle praktische Erfahrungen sammeln. „Mit der eingebauten Sensortechnik können wir beispielsweise konkret messen, wie sich die realen Witterungsbedingungen, Hitze, Kälte, Regen oder Verschmutzungen auf die Leistung auswirken und zwar über alle Jahreszeiten und mehrere Jahre hinweg“, erklärt Björn Rau, der die Beratungsstelle für bauwerkintegrierte Photovoltaik (BAIP) leitet.
Solarmodule sind heute Gestaltungselemente
Die schlichte Halle für Beschleunigerphysik wird durch die blaue Hülle ästhetisch aufgewertet. Das ist für viele Bauherren ein wichtiger Aspekt, denn noch gibt es Vorbehalte: Technisch zu komplex und nicht besonders schön seien die verfügbaren Module. „Aber das stimmt heute nicht mehr“, sagt der Architekt Thorsten Kühn. Gemeinsam mit Björn Rau und der Architektin Samira Aden berät er Architektinnen und Architekten, Investoren und Menschen aus Stadtplanung und Entwicklung. Heute gibt es bereits Module in unterschiedlichen Farben und Formen, die als Gestaltungselemente in die Fassade oder Gebäudehülle integriert werden können.
„Wir beraten unabhängig von einzelnen Herstellern, neutral und kostenfrei, und zeigen, welche Technologien bereits verfügbar sind“, sagt Rau.
„Wir beraten auch konkret zu technischen Aspekten wie Brandschutz oder Statik und natürlich zeigen wir auch auf, welche Gestaltungsoptionen es bereits gibt“, ergänzt Kühn, der als Architekt bereits Bauprojekte mit Solar-Fassaden realisiert hat. Dieses Beratungsangebot ist dringend nötig. Denn es wird weiterhin viel gebaut in Deutschland, aber oft noch nach tradionellen Vorstellungen: Vollverglaste Türme aus energieintensivem Stahl und Beton zum Beispiel, die auch im Betrieb viel Energie benötigen.
Wenn aber die Klimaziele erreicht werden sollen, muss bis 2050 der gesamte Gebäudebestand nahezu klimaneutral sein. Das ist eine riesige Herausforderung. Sowohl bei Neubauten als auch Sanierungen muss die CO2-Bilanz drastisch reduziert werden. Gebäude, die ihre Energie selbst bereitstellen, könnten dazu einen wichtigen Beitrag leisten.
Bauwerkintegrierte Photovoltaik könne aber noch viel mehr: Durch die Gebäudehüllen könnte bis zu einem Drittel des Stromverbrauchs in Deutschland gedeckt werden. „Da sind enorme Flächen verfügbar“, sagt Rau. Die könne man noch umfänglich nutzen. „Tatsächlich lassen sich unter Einbeziehung von Fassadenflächen gerade auch größere Gebäude so umbauen, dass sie sogar einen Überschuss an Energie erzeugen“, erklärt Kühn.
Mit einer 3D-Software ermitteln die Experten das jährliche Ertragspotenzial der Fassaden-Solaranlage und berücksichtigen dabei auch Bäume und Nachbargebäude, die eventuell Schatten verursachen.
Der Platz auf Dächern ist knapp
Im ersten Jahr von BAIP haben Kühn, Aden und Rau etwa 50 Projekte beraten, darunter auch Schulen, Krankenhäuser oder Verwaltungsgebäude. „Falls es in Zukunft eine Solarpflicht gibt, wäre es wichtig, im Gesetzestext nicht ausschließlich auf Dachanlagen zu fokussieren, sondern es freizustellen, wo Solarenergie gewonnen wird. Der Platz auf Dächern ist knapp, und manchmal möchten die Bauherren lieber ein Gründach oder eine Terrasse. Da können Fassadenanlagen eine gute Alternative sein“, sagt Rau.
Grüne Energie für saubere Energieträger
Die Ergebnisse von Björn Rau und seinem Team fließen auch in die Arbeit der Helmholtz-Klima-Initiative ein. Für das Forschungsprojekt „Zirkulare Kohlenstoffnutzung“ erforschen sie Möglichkeiten, der nachhaltigen Energiegewinnung, um Kohlendioxid aus der Atmosphäre zu gewinnen und beispielsweise in Brennstoffe umzuwandeln. Auf diese Weise wird eine Kohlenstoffnutzung im Kreislauf möglich.
Die Energieversorgung ist für die Stadt der Zukunft ein wichtiger Aspekt, aber nicht der einzige, weiß Kühn. Man benötige Parks und Frischluftschneisen, damit das städtische Klima auch während der Hitzewellen noch erträglich sei. Die Zukunftsstadt müsse als so genannte Schwammstadt auch für Starkregen gewappnet sein. So kann sie etwa durch zusätzliche Bäume oder begrünte Dächer Regenwasser besser speichern und später versickern oder wieder verdunsten lassen.
„Und bei den Baustoffen sollte vermehrt Holz statt Stahl und Beton eingesetzt werden, in Holzbauweise sind heute auch mehrstöckige Gebäude und sogar Hochhäuser möglich“, sagt Kühn. Damit solche Mehrgeschosser auch im Betrieb klimaneutral sind, ist eine smarte Haustechnik nötig. Wärmerückgewinnung aus Brauchwasser und Lüftungsanlagen oder Wärmepumpen können dabei mithelfen. Eine Fassadensolaranlage ist ein weiterer Baustein. In der Stadt der Zukunft wird es viele Gebäude geben, die selbst auch Stromerzeuger sind - und vielen wird es nicht einmal anzusehen sein.