23.06.2023
Komila Nabiyeva

Planetare Grenzen: Mit der Gerechtigkeit wird es noch enger

Die Menschheit belastet immer mehr die Umwelt und gefährdet damit ihr eigenes sicheres Leben auf der Erde. Laut einer aktuellen Studie sind sieben von acht Grenzen der Erdbelastbarkeit bereits überschritten. Um das menschliche Wohlergehen auf dem Planeten zu sichern, ist eine gerechte globale Transformation dringend notwendig, so die Forschenden.

2009 hat der schwedische Resilienzforscher Johan Rockström das Konzept der planetaren Belastungsgrenzen entwickelt. Das Konzept definiert neun physikalische, chemische und ökologische Grenzen des Erdsystems, die eingehalten werden müssen, um die Lebensgrundlagen für die Menschheit zu bewahren. Die Helmholtz-Klima-Initiative hat in einer Reihe der Artikel alle neun Belastungsgrenzen vorgestellt. In einer aktuellen Studie im Fachjournal Nature hat Rockström zusammen mit einem internationalen Forschungsteam das Konzept nun weiterentwickelt. 

Neuer Aspekt der Gerechtigkeit

So unterscheiden die Forschenden nun erstmals zwischen sicheren und gerechten Grenzen des Erdsystems. Sichere Grenzen sorgen laut Autor:innen dafür, dass das Erdsystem stabil und widerstandsfähig bleibt und dabei die Fähigkeit behält, das Leben von Menschen und andere Organismen zu unterstützen. Diese Grenzen richten sich maßgeblich an den biophysikalischen Kipppunkten des Erdsystems aus. 

Die gerechten Grenzen beziehen soziopolitische Faktoren mit ein: wie kann man sicherstellen, dass die Menschen ihnen zur Verfügung stehende Ressourcen jetzt und Zukunft gerecht nutzen und nicht ungleich von Veränderungen oder Mängel betroffen sind? Dabei werden drei Formen von Gerechtigkeit berücksichtigt: Gerechtigkeit gegenüber anderen Lebewesen und Ökosystemen, Gerechtigkeit gegenüber den nächsten Generationen und Gerechtigkeit gegenüber den Menschen der heutigen Generation, unabhängig davon, wo und wie sie leben. 

Dabei zielen diese Grenzen darauf, die Menschen vor erheblichen Schäden zu schützen. Erheblicher Schaden wird als „schwerwiegende existenzielle oder irreversible negative Auswirkungen auf Einzelpersonen, Gemeinschaften und Länder durch den Wandel des Erdsystems“ definiert. Dazu zählen etwa der Verlust von Menschenleben, Lebensunterhalt oder Einkommen, Vertreibung, Verlust von Nahrungsmitteln sowie Wasser- oder Ernährungssicherheit. 

Sichere und gerechte Grenzen des Erdsystems
Sichere und gerechte Grenzen des Erdsystems

Der neue Aspekt der Gerechtigkeit führt zu strengeren planetaren Grenzen. So hat sich etwa die Weltgemeinschaft im Pariser Klimaabkommen darauf verständigt, die Erderwärmung auf möglichst 1,5 Grad Celsius gegenüber vorindustrieller Zeit zu begrenzen. Das Ziel grenzt zwar die schlimmsten Auswirkungen auf die Menschen und Ökosysteme ein, verhindert aber die schwerwiegenden Schäden für Millionen von Menschen nicht, die aufgrund steigender Meeresspiegel und Temperaturen ihre Lebensgrundlagen verlieren können. Daher schlagen die Autor:innen vor, die sicherere und gerechtere Klimagrenze bei einem Grad Erwärmung oder weniger anzusetzen. 

Sieben von acht Grenzen überschritten

Laut der Studie sind sieben von acht sicheren und gerechten Grenzen des Erdsystems weltweit bereits überschritten. Damit werden die Lebensgrundlagen für die heutigen und künftigen Generationen gefährdet. Die einzige Grenze, die weltweit noch nicht überschritten wurde, ist die Luftbelastung mit Schadstoffen.

Sichere und gerechte Grenzen des Erdsystems auf globaler Ebene, die von den Autor:innen vorgeschlagen werden, und ihr Status Quo: 

  • Klima: Die sichere und gerechte Klimagrenze liegt bei einem Grad Celsius Erderwärmung gegenüber der vorindustriellen Zeit und wurde mit derzeit etwa 1,2 Grad bereits überschritten.
  • Biosphäre: Hier wurden zwei Grenzen definiert. 1) 50 bis 60 Prozent der Landfläche auf der Erde müssen naturbelassen erhalten oder wiederhergestellt werden, damit die Ökosysteme funktionieren können. Die Grenze ist überschritten, da der derzeitige Anteil nur 45 bis 50 Prozent beträgt. 2) 20 bis 25 Prozent jedes Quadratkilometers auf der Erde, inklusive landwirtschaftlicher und städtischer Flächen, müssen von weitgehend natürlicher Vegetation bedeckt sein. Das trifft aktuell nur auf ein Drittel der Flächen zu. Damit ist die Grenze überschritten.
  • Wasser: Hier wurden zwei Grenzen definiert. 1) Bei Oberflächenwasser (Flüsse und Seen) weltweit darf der Wasserstand nur um etwa 20 Prozent der Wassermenge schwanken. Dies ist nur auf ca. 70 Prozent der weltweiten Fläche der Fall. 2) Es darf nur so viel Grundwasser entnommen werden, wie wieder hinzukommen kann. Diese Grenze wird derzeit auf 47 Prozent der weltweiten Landflächen überschritten. 
  • Nährstoffkreisläufe: Hier wurden zwei Grenzen für die Belastung von Böden und Gewässern mit Stickstoff und Phosphor definiert, die über Kunstdünger in Erd- und Wassersysteme eingetragen werden. Beide gelten als überschritten. 
  • Atmosphäre: Die einzige Grenze, die global nicht überschritten wurde, ist die Belastung mit Luftschadstoffen. Lokal sind diese Grenzwerte aber an vielen Orten der Welt bereits überschritten.

Um das menschliche Wohlergehen zu sichern, fordern die Forschenden eine gerechte globale Transformation über alle Sektoren hinweg. „Solch eine Umgestaltung muss systemisch in den Bereichen Energie, Ernährung, Stadt und anderen Bereichen erfolgen, sich mit den wirtschaftlichen, technologischen, politischen und anderen Treibern des Wandels des Erdsystems befassen und den Zugang für arme Menschen durch Reduzierung und Umverteilung des Ressourcenverbrauchs sicherstellen“, so die Studienautor:innen. 

Daniela Jacob, Wissenschaftliche Leiterin des Bereichs Mitigation der Helmholtz-Klima-Initiative und Direktorin des Climate Service Center Germany (GERICS) hat den Ansatz der Forschenden gegenüber dem Science Media Center gelobt. „Diese Art, natürliche und menschliche Systeme zusammen zu betrachten, um die größtmöglichen Schäden zu vermeiden und resiliente Entwicklungen zu erlauben, ist ein ganz entscheidender Schritt hin zu einer gerechten globalen Transformation und im Einklang mit den Aussagen des IPCC zu ‚Climate Resilient Development“. Dies sei „ein hervorragendes Konzept, um nun in den verschiedenen Regionen, Nationen und Sektoren Handlungsoptionen zu entwickeln, die dieser Methode folgen und ein klarer Aufruf zum Handeln,“ so Jacob.

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