"Für Seegraswiesen könnten die Auswirkungen schwerwiegend sein"
Zwei Drittel der Erdoberfläche sind mit Wasser bedeckt. Die Ozeane spielen für uns Menschen eine wichtige Rolle - sie sind Nahrungsquelle, Wärmespeicher, Handelswege und wichtigste Kohlendioxidspeicher. Insbesondere Seegraswiesen entlang der Küsten nehmen viel CO₂ auf. Doch das Ökosystem reagiert sehr empfindlich auf den Klimawandel und könnte einen großen Teil dieser Speicherfunktion verlieren.
Angela Stevenson, Nachwuchsforscherin in der Forschungseinheit „Marine Evolutionary Ecology“ am GEOMAR in Kiel, untersucht den Zustand und das Potenzial von Seegraswiesen entlang der deutschen Ostseeküste.
Frau Stevenson, Ozeane und die an ihren Küsten liegenden Seegraswiesen speichern riesige Mengen an Kohlenstoffdioxid.
Welche Rolle spielen sie im globalen Kohlenstoffkreislauf?
Ozeane sind eine der größten Kohlenstoffsenken der Erde. Sie speichern ungefähr 25 Prozent des CO₂, das wir Menschen jährlich ausstoßen. Es wird geschätzt, dass sie zwischen 1994 und 2007 um die 34 Gigatonnen CO₂ absorbiert haben. Wie viel CO₂ die Seegraswiesen im deutschen Teil der Ostsee speichern können, werde ich in meinem Projekt berechnen. Außerhalb Deutschlands speichern sie je nach Größe und Zustand ihres Lebensraums zwischen 627 und 4324 Gramm Kohlenstoff pro Quadratmeter.
Was ist das Besondere an Seegraswiesen?
Mit Pflanzen bewachsene Küstensysteme wie Seegraswiesen, Mangrovenwälder und Salzwiesen spielen durch ihre außergewöhnliche Fähigkeit, organisches Material einzufangen und zu speichern eine wichtige Rolle im globalen Kohlenstoffbudget. In der Ostsee bedecken ihre Lebensräume eine Fläche von ungefähr 285 Quadratkilometern. Die Senkungsrate für organischen Kohlenstoff sind hier 30 bis 50-mal höher als in den Wäldern an Land.
Wie kann man sich eine Seegraswiese vorstellen?
Seegräser sind Meerespflanzen, die in deutschen Küstengewässern in etwa ein bis acht Metern Tiefe und anderswo auf der Welt etwas tiefer leben. Sie haben Wurzeln sowie Wurzelstöcke, sogenannte Rhizome, unter dem Meeresboden und Triebe und Blätter darüber. Wie andere Pflanzen benötigen sie Licht, um zu überleben und während der Photosynthese CO₂ aufzunehmen. Das dichte Vordach des Seegrases unterscheidet es von anderen Pflanzen, wenn es um die Kohlenstoffspeicherung geht: Es erhöht die Partikelaufnahme aus dem Wasser und verringert den Wasserfluss entlang des Meeresbodens. So werden weniger Sedimente gelockert und der im Boden vergrabene Kohlenstoff geschützt. Das komplizierte unterirdische Netzwerk von Wurzeln und Rhizomen der Pflanze lässt sich nicht leicht verdrängen und hemmt so Mikroorganismen, den organischen Kohlenstoff im Boden in seine Bestandteile aufzulösen. Dieser Prozess erhöht die langfristige Speicherung von Kohlenstoff.
Und wie wird CO₂ im Ozean gespeichert?
Durch die „Ozean-Kohlenstoff-Pumpe“, die das CO₂ aus der Atmosphäre in die Tiefen des Ozeans pumpt. An Grenze zwischen Luft und Meerwasser löst sich das CO₂ auf, dabei gilt: Je kälter das Wasser, desto mehr CO₂ kann der Ozean aufnehmen und durch Zirkulation in die kälteren, tieferen Schichten transportieren. Mikroorganismen wie Algen und Meerespflanzen wie Seegras, Mangroven oder Salzwiesen wandeln Teile dieses CO₂ in organischen Kohlenstoff um, den wir als "blauen Kohlenstoff" bezeichnen.
Wie wirkt sich der Klimawandel auf den Ozean aus?
Vielfältig. Wir wissen zum Beispiel, dass die Versauerung und Erwärmung des Ozeans negative Auswirkungen auf die Biodiversität in Korallenriffen, Muschelbänken und einigen Makroalgenlebensräumen hat. Nehmen wir als Beispiel Seegras, weil es an der deutschen Küste weit verbreitet ist. Die Auswirkungen des Klimawandels könnten schwerwiegend sein. Temperatur und Tiefe sind im Allgemeinen die wichtigsten begrenzenden Faktoren für diese Lebensräume. Die Erwärmung des Wassers und der Anstieg des Meeresspiegels können sich also auf ihre Verteilung auswirken und ihre Reichweite verringern. In einigen Gebieten des Mittelmeers konnte der Verlust des Lebensraums von Seegras mit Hitzewellen in Verbindung gebracht werden. Erhöhte Wellenbewegungen und Sturmfluten aufgrund extremer Wetterereignisse im Zusammenhang mit dem Klimawandel könnten ihr Überlebenspotenzial in betroffenen Gebieten weiter beeinträchtigen.
Was erforschen Sie im Rahmen der Helmholtz-Klima-Initiative?
Meine Hauptaufgabe ist es, den Bestand der Kohlenstoffvorräte in Seegraswiesen entlang der deutschen Ostseeküste aufzunehmen. So können wir bestimmen, welchen Beitrag Seegras zum nationalen Kohlenstoffhaushalt in Deutschland leistet und wie die Bestände geschützt und ausgebaut werden können. Mit diesen Informationen können wir wiederum das breite Spektrum der Kohlenstoffvorräte und -flüsse sorgfältig bewerten, um die Vermeidung von CO₂-Äquivalenten und das sogenannte negative Emissionspotenzial von Seegraswiesen, also deren Speicherkapazitäten, in deutschen Hoheitsgewässern der Ostsee genau zu berechnen.
Die Vereinten Nationen haben in ihrer Agenda 2030 insgesamt 17 globale Ziele für nachhaltige Entwicklungen festgelegt. Ein Ziel ist die Rettung von Ozeanen und Leben unter Wasser. Wie können Seegraswiesen geschützt werden?
Küstennahe Vegetationsräume sind nicht nur Hotspots für Biodiversität, sie verbessern auch die Wasserqualität und bieten Küstenschutz. Seegraswiesen und andere Meerespflanzen speichern seit Jahrhunderten bis Jahrtausenden sehr effizient Kohlenstoff. Mit diesem Wissen müssen wir diese natürlichen Kohlenstoffsenken unter der Erde intakt halten und das Leben darin schützen, wenn wir bis 2050 Netto-Null-Emissionen erreichen wollen. Das bedeutet, wir müssen diese Systeme erhalten und den Abbau der Wiesen mit dem darin gebundenen Kohlenstoff verhindern, indem wir beschädigte Lebensräume wiederherstellen.
Was sollte Ihrer Meinung nach als nächstes für die Seegraswiesen an deutschen Küsten getan werden?
Für deutsche Seegraswiesen sollten entsprechende Mittel in die Hand genommen werden, um erfolgreiche Restaurierungstechniken zu entwickeln und natürliche sowie menschliche Einflüsse auf die Pflanzen zu erforschen, um ihre Auswirkungen abzuschwächen. Es wäre auch ratsam, die Auswirkungen des Klimawandels auf den im Ozean gebundenen Kohlenstoff genauer zu untersuchen. So könnten wir unseren CO₂-Fußabdruck in küstennahen Vegetationssystemen unter verschiedenen angenommenen Klimaszenarien verbessern.
Um wieviel Fläche ließen sich die Seegraswiesen an deutschen Küsten denn maximal erweitern?
Diese Frage ist sehr schwer zu beantworten, da wir das Verbreitungsgebiet der Seegräser historisch noch nicht vollständig verstanden haben. Die Teammitglieder der GEOMAR-Forschungseinheit „Marine Evolutionary Ecology“ kartieren seit 10 Jahren Seegraswiesen. So wissen wir, wo sie sich in den letzten Jahren Lebensräume erschlossen haben und wo sie verloren gingen. Die Restaurierung könnte sicherlich dort stattfinden, wo wir wissen, dass es zuvor schon Seegras gab. Neben den ungefähr 285 Quadratkilometern der deutschen Ostsee gibt es entlang der deutschen Küste deutlich mehr unbewachsene Stellen, an denen Seegras gepflanzt werden könnte. Wir müssen aber noch untersuchen, ob die Pflanzen hier überleben würden, weil wir nicht wissen, ob an diesen Stellen jemals Seegras gewachsen ist und die Voraussetzungen dafür stimmen.
Gibt es auch etwas, was jeder von uns tun kann?
Ich würde jedem empfehlen, sich über die Bedeutung dieser und anderer natürlicher Systeme zu informieren sowie über deren Fähigkeit, unsere Emissionen zu mindern. Engagieren Sie sich, wo Sie können.