„Ohne Akzeptanz nützt die effizienteste Technologie wenig“
Die Energiewende muss beschleunigt werden. Doch Chancen und Herausforderungen sind in Deutschland regional unterschiedlich verteilt. Ein interdisziplinäres Forschungsteam der Helmholtz-Klima-Initiative hat dies untersucht. Worauf es für eine erfolgreiche Transformation ankommt, erläutert Imke Rhoden vom Forschungszentrum Jülich.
Die Bundesregierung hat das Klimaschutzgesetz im Mai verschärft: Deutschland soll statt 2050 schon 2045 klimaneutral werden. Kann das funktionieren?
Deutschland muss nicht nur seine Energieversorgung rundum erneuern, sondern auch beim Verbrauch vieles ändern. Das betrifft alle Lebensbereiche, von der Industrie bis zu den Haushalten. Dieses Vorhaben ist enorm komplex. Bislang wurde die Energiewende vor allem im großen Maßstab betrachtet, wie all diese ehrgeizigen Aufgaben zentral gesteuert werden können. Das hieß meist: auf Bundesebene. Weil aber im Prinzip alle Menschen hierzulande davon betroffen sein werden, ist es wichtig, sich mit den Konsequenzen auch im kleinteiligen Maßstab auseinanderzusetzen. Deshalb hat unser interdisziplinäres Forschungsteam der Helmholtz-Klima-Initiative untersucht, welche regionalen Differenzen es in Deutschland gibt, welche Herausforderungen und Chancen sich dort für das Ziel der Klimaneutralität auftun. Die gute Nachricht lautet: Wenn man es richtig angeht, können dabei beträchtliche Potenziale aktiviert werden. Klimaschutz muss die Regionen berücksichtigen.
Welche Potenziale sind das und warum müssen sie aktiviert werden?
Die effizienteste Technologie nützt wenig, wenn sie nicht akzeptiert wird. Das fängt beim Bau von Windkraftanlagen an, von denen wir künftig deutlich mehr benötigen werden. Wenn Anwohner sich dagegen sperren, kommen wir nicht voran. Wir müssen Betroffene einbinden, sie müssen informiert werden und mitbestimmen können – zum Beispiel, wie eine künftige Windkraftanlage bemessen sein soll, wie die Masten aufgestellt werden und ob sie an den Anlagen finanziell beteiligt sein möchten. All dies steigert die Akzeptanz von Maßnahmen, da Betroffene direkt involviert sind. Das gleiche gilt für die Industrie: Vor allem die Akteure energieintensiver Branchen sollten motiviert werden, bei der Umstrukturierung zur Klimaneutralität mitzumachen, der Wandel muss ihnen ökonomische Chancen eröffnen.
Schon bei der Energieerzeugung ist eine deutliche Umverteilung absehbar: Alte Kraftwerke werden dichtgemacht, in Kohlerevieren gehen Arbeitsplätze verloren. Andererseits können im Norden verstärkt Potenziale der Windkraft, im Süden der Sonneneinstrahlung dezentral genutzt werden. Welche Konsequenzen hat das?
Diese unterschiedlichen Potenziale könnten zu vielfältigen Ungleichheiten und somit Konflikten auf sozialer und ökologischer Ebene führen. Unter den Regionen wird es Gewinner und Verlierer geben. Gebiete mit reicheren erneuerbaren Ressourcen werden von einem größeren Anteil an Investitionen profitieren, während Regionen mit begrenzteren Ressourcen einen größeren Anteil an den Kosten des Ausbaus tragen müssen.
Energiespeicher für den Input aus Sonne und Wind werden eine zentrale Rolle im künftigen Energiesystem spielen. Wie lässt sich diese große Infrastruktur-Aufgabe lösen?
Während Erdgas an Bedeutung verliert, werden geologische Speicherkapazitäten für andere Gase benötigt. Es kann zu einer teilweisen Konkurrenz um die Nutzung der vorhandenen Kapazitäten für Wasserstoff, synthetisches Gas und CO2 kommen. Versorgungsunternehmen, Gaslieferanten und energieintensive Industrien werden Speicherstätten benötigen. Für die Nutzung dieser Speicheroption brauchen wir eine koordinierte Strategie. Dabei muss auch der Bedarf an zusätzlicher Infrastruktur berücksichtigt werden – etwa Wärmenetze oder Gaspipelines.
Es gilt als unwahrscheinlich, dass das Netto-Null-Ziel ohne dauerhafte CO2-Speicherung erreicht werden kann. Was bedeutet dies für Deutschland?
Es gibt genügend unterirdische Speichermöglichkeiten für die langfristige CO2-Speicherung in Deutschland, vor allem jedoch in ländlichen Gebieten ohne Industrie-Cluster mit hohen Emissionen. Das macht Transportmöglichkeiten erforderlich. Zudem stellen sich Fragen hinsichtlich der Verantwortlichkeiten oder Anreize, die weniger emittierende Staaten haben, um die Emissionen hochindustrialisierter Staaten zu entsorgen. Ein Mangel an gesellschaftlicher Akzeptanz für unterirdische CO2-Speichertechnologien in Deutschland verdeutlicht diese Schwierigkeit. Um zunächst Gebiete mit hohem Speicherpotenzial für diese Perspektive zu erschließen, ist gründliche Öffentlichkeitsarbeit erforderlich – womöglich gekoppelt an finanzielle Anreize für die Speicherung. Ein Ausweg könnte darin bestehen, die strategische Bedeutung von Standorten in der Nähe von CO2-Pipelines oder -Speichern für die Industrie in einer Netto-Null-Emissionslandschaft zu kommunizieren.
Vor allem energieintensive Industrien fordern finanzielle Unterstützung für die Umstellung auf eine klimaneutrale Produktion. Wie holt man diese Akteure mit ins Boot?
Eine breit angelegte Klimaschutzpolitik kann die Wettbewerbsfähigkeit dieser Akteure langfristig sichern. Auch Industrien ohne prozessbedingte Emissionen, aber mit CO2-intensiven Produkten, wie etwa Automobilzulieferer und Fahrzeughersteller sind auf regionaler und nationaler Ebene relevant. Deshalb sollten deren Transformationsprozesse politisch unterstützt werden, etwa durch die Bereitstellung öffentlicher Infrastruktur für Forschung und Entwicklung. Beispiele wie der Einsatz von Wasserstoff in der industriellen Stahlproduktion zeigen, dass immer mehr Industrien die Energiewende als Chance erkennen, um ihre Marktposition langfristig zu stärken. Ein First-Mover-Vorteil ist zwar nicht garantiert. Um die Klimaziele auf internationaler Ebene zu erreichen, ist eine Transformation des Energiesystems aber unumgänglich. So oder so wäre es jedoch besser, rechtzeitig vorbereitet zu sein, als abzuwarten, was anderswo passiert.
Welche Rolle spielen bei alldem private Haushalte?
Die Akzeptanz der Bevölkerung ist entscheidend für eine erfolgreiche Transformation. Mit Blick auf die Energiewende sind vor allem Merkmale wie Haushaltseinkommen, Haushaltsgröße und Alter relevant. Wer etwa über weniger Geld verfügt, wird härter von steigenden Energiepreisen getroffen. Bei Einführung einer CO2-Verbrauchssteuer zum Beispiel sollten diese Härten abgefedert werden. Das wäre unter anderem zum Beispiel durch eine pauschale Rückzahlung pro Kopf möglich, die wiederum finanziell Schwache stärker entlastet als Wohlhabende. Aber auch der Unterschied zwischen Stadt und Land spielt eine Rolle. Wer auf dem Land wohnt, kann nicht so einfach auf sein Auto verzichten. Dort braucht es neue Mobilitätskonzepte. Wer in der Stadt zur Miete wohnt, investiert nicht in eine Solaranlage auf dem Dach. Politisch stellt sich also an vielen einzelnen Punkten die Frage: Für wen sollten wo Anreize geschaffen oder finanzielle Härten abgefedert werden?