Der grüne Wiederaufbau der Ukraine
Als EU-Beitrittskandidatin muss die Ukraine eine Reihe von Reformen anstoßen und einen Wiederaufbauplan entwickeln, alles mitten im russischen Angriffskrieg. Ein deutsch-ukrainisch-polnisches Projekt soll dabei helfen, die Klima- und Energiepolitik der Ukraine fit für den EU-Beitritt zu machen.
Im Dezember könnte es so weit sein: nachdem die Ukraine im Juni 2022 den offiziellen Status einer EU-Beitrittskandidatin erhalten hat, erwarten die Beobachter:innen, dass der Rat der EU noch dieses Jahr grünes Licht für die Aufnahme von formellen Beitrittsgesprächen gibt. Beitrittskandidat:innen müssen die Vorschriften und Regelungen der EU in allen Bereichen, inklusive der Energie- und Klimapolitik, in ihr nationales Recht umsetzen. Das komplexe Aufnahmeverfahren kann viele Jahre dauern.
Bei diesem Prozess will ein neues trilaterales Projekt vom Helmholtz-Zentrum Berlin (HZB) mit Partner:innen aus der Ukraine und Polen das Land unterstützen. Das Ziel des "Green Deal Ukraina" ist, bis 2027 eine unabhängige Denkfabrik in der Hauptstadt Kyiv aufzubauen, die die ukrainischen Entscheidungsträger:innen beim grünen Wiederaufbau sowie beim EU-Beitritt beraten soll. Die ersten Forschungsergebnisse des Projektes, unter anderem ein Energie- und Klimafahrplan für die Ukraine auf dem Weg in die EU, wurden auf einer hochrangigen Veranstaltung in Kyiv im Oktober präsentiert.
Ganz essenziell bei dem vom Bundesministerium für Bildung und Forschung geförderten Projekt ist, dass es neutral und wissenschaftlich ist, sagt Susanne Nies, Projektleiterin am HZB. "Durch die datenbasierten Politikberatungen und Trainings wollen wir eine Möglichkeit für die Ukraine schaffen, selbst zu wählen, wie der grüne Wiederaufbau des Landes aussehen soll." Dafür sind neben Politikanalysen und Datenmodellierungen auch Fortbildungsprogramme zu den Anforderungen der EU im Energie- und Klimabereich für ukrainische Entscheidungsträger:innen geplant.
Herkulesaufgabe
Laut Nies steht die Ukraine vor einer Herkulesaufgabe: ein Land mit über 40 Millionen Einwohner:innen und riesiger Fläche im Herzen Europas soll fit für einen EU-Beitritt werden. Dabei steht das ukrainische Energiesystem vor großen Herausforderungen: Die Energieintensität der ukrainischen Wirtschaft ist doppelt so hoch wie im EU-Durchschnitt, die Energiepreise werden subventioniert und sind deshalb zu niedrig und viele staatliche Energieunternehmen sind bankrott. Trotz der Bemühungen der Regierung bleibt außerdem Korruption nach wie vor ein großes Problem.
Im vergangenen Winter wurden mehr als 50 Prozent der ukrainischen Energieinfrastruktur durch die russischen Angriffe beschädigt, was zu Stromausfällen und Engpässen in der Wasserversorgung und Heizung geführt hat. Als Folge verbrachten die Ukrainer:innen im Durchschnitt 35 Tage ohne Strom. In Folge des Krieges wurden auch circa 90 Prozent der Windkraft- und bis zu 50 Prozent der Solarkapazität der Ukraine stillgelegt, da sich die meisten Anlagen in den besetzten Gebieten oder im aktiven Kriegsgebiet befinden.
Riesiges Potenzial
Über eine Million Dieselgeneratoren haben dazu beigetragen, dass das Land es im letzten Winter geschafft hat, sagt Nies. "Das ist aber nicht die Zukunft des Landes. Die Zukunft ist die Dezentralisierung des Energiesystems und erneuerbare Energien", ergänzt die Energieexpertin. Laut der ukrainischen Akademie der Wissenschaften beträgt das Potenzial der erneuerbaren Energien in der Ukraine 874 GW. "Das ist dreimal die gesamte installierte Kapazität in Deutschland", betont Nies.
Vor dem Beginn des Krieges hatte die Ukraine bereits ihre Klimaziele deutlich erhöht und erneuerbare Energien intensiv ausgebaut. Laut einem REN21-Bericht aus dem Jahr 2022 hatte das Land im Jahr 2020 sein Ziel von 11 Prozent Anteil der erneuerbaren Energien an der Stromerzeugung, einschließlich großer Wasserkraft, mit 14 Prozent übererfüllt. Im Jahr 2021 wurde das Ziel der Kohlenstoffneutralität bis 2060 bekannt gegeben.
Laut Nies könnte das Projekt die Ukraine bei ihrem Ziel unterstützen, ein Hub für die Forschung und Entwicklung erneuerbarer Technologien Europas zu werden sowie die Wissenschaftswelten in Deutschland, Ukraine und Polen verbinden. Das HZB ist außerdem ein Weltführer bei der Entwicklung von Dünnschicht-Solarmodulen aus neuen Materialkombinationen. Damit besteht die Möglichkeit, ein gemeinsames Forschungslab mit der Ukraine aufzubauen und eine europäische Antwort auf die chinesische Dominanz am Photovoltaikmarkt zu entwickeln, so Nies.
Green Deal Ukraina
Das Projekt Green Deal Ukraina zielt darauf ab, bis 2027 einen unabhängigen Energie- und Klima-Thinktank in der ukrainischen Hauptstadt Kyiv aufzubauen, der Entscheidungsträger:innen beim grünen Wiederaufbau sowie beim EU-Beitritt der Ukraine beraten soll. Die Projektpartner:innen sind das Helmholtz-Zentrum Berlin (HZB), der polnische Thinktank Forum Energii, der ukrainische Thinktank DixiGroup und die ukrainische Umweltstiftung EcoAction.
Geplant sind neben Datenanalysen und Politikberatung Fortbildungsprogramme zur Energie- und Klimapolitik der EU für ukrainische Entscheidungsträger:innen. Das vom Bundesministerium für Bildung und Forschung geförderte trilaterale Projekt ist in Berlin, Kyiv und Warschau angesiedelt. Es startete im Juni 2023 und ist auf vier Jahre angelegt.