17.11.2022
Mareike Knoke

Agri-Photovoltaik: Sauberer Strom vom Bauernhof

Wenn Obst und Gemüse unter Solarmodulen wachsen, nennt man das Agri-Photovoltaik. Könnte die Kombination von Landwirtschaft und Energieproduktion helfen, Deutschland klimaneutral zu machen? Ein Besuch auf den Versuchsfeldern.

Wenn Matthias Meier-Grüll auf der großen Versuchsfläche im Rheinischen Morschenich-Alt steht und nach Norden blickt, kann er den Hambacher Forst sehen – das Waldgebiet, das zum Inbegriff des Widerstands gegen den Braunkohletagebau geworden ist. Meier-Grüll ist Photovoltaik-Ingenieur und forscht am klimafreundlichen Gegenentwurf, der sauberen Stromerzeugung mit Sonnenenergie auf dem Feld: Agri- und Horti-Photovoltaik, kurz Agri-PV.

„Unter dem Aspekt der Energiegewinnung ist das Potenzial enorm“, erklärt Meier-Grüll. Für eine klimaneutrale Energieversorgung im Jahr 2040 in Deutschland liegt der Bedarf an Photovoltaik bei 300 bis 450 Gigawatt installierter Leistung. Mehr als dreimal so viel, nämlich 1700 Gigawatt, ließe sich gewinnen, wenn man das Potenzial geeigneter landwirtschaftlicher Flächen maximal nutze, so der Forscher.

Am Forschungszentrum Jülich koordiniert Meier-Grüll das Projekt Agri FEe im BioökonomieREVIER. Das ist der Name der Modellregion für biobasiertes Wirtschaften, die aus dem Rheinischen Braunkohlerevier entstehen soll. Mit 1000 Solarmodulen auf zwei Hektar Agrarfläche arbeitet man hier auch daran, Landwirtschaft und Gartenbau besser gegen Klimawandel und Wetterextreme zu wappnen: Heiße Sommer trocknen den Boden aus und führen zu anhaltender Dürre. Hagelstürme und Starkregen schaden zusätzlich den Pflanzen. Die Ernteerträge schrumpfen.

Solaranlagen spenden Schatten für empfindliche Pflanzen

Die Photovoltaik-Systeme – je nach Modell sind sie zwischen 2,10 und bis zu sechs Meter hoch - speichern nicht nur Sonnenenergie, sondern schützen auch die Pflanzen darunter. Sie spenden Schatten bei sengender Sonne, bieten Schutz vor Hagel und Frost und sind wetterresistent. „Alle Module müssen Stresstests durchlaufen, in denen etwa Hagelschlag simuliert wird“, sagt Meier-Grüll. Die Konstruktion sei so angebracht, dass die Module auch Überschwemmungen standhalten.

Das Fraunhofer Institut für Solare Energiesysteme in Freiburg (ISE), einer der Partner in dem Projekt, testet diesen Ansatz schon seit rund acht Jahren. Auf einem Bauernhof in Heggelbach in der Nähe vom Bodensee haben Wissenschaftler:innen den Anbau von Winterweizen, Kartoffeln, Kleegras und Sellerie unter den Solarpanelen begleitet. Schon nach dem ersten Projektjahr steigerte die Agri-PV durch Ernteerträge, kombiniert mit Stromproduktion die sogenannte Landnutzungsrate auf 160 Prozent. Im Hitzesommer 2018 wuchsen die Ernteerträge und die Produktion von Solarstrom sogar noch mehr, auf 186 Prozent. Grund waren die hohe Sonneneinstrahlung und der Schatten unter den Solarmodulen. Dieses positive Ergebnis ist auch ein Ansporn für die Kolleg:innen in Jülich.

Kommt genug Sonnenlicht zwischen den Solarmodulen durch?

"Ein Teil unserer Anlage wurde so konzipiert, dass sich die Solarmodule je nach Licht- oder Schutzbedarf der Pflanze automatisch kippen und damit gezielt einstellen lassen", sagt Meier-Grüll. Denn Schatten ist zwar in Hitzesommern und auch als Schutz vor Hagel wichtig – aber für manche Pflanzen könnte es zu schattig werden. Das haben die Forscher:innen einkalkuliert. Zwischen die einzelnen Module lassen sich Glasdächer setzen, „sodass das Ganze wie eine Art Gewächshaus ist, das Schutz bietet, aber dennoch nicht alles verschattet“, erklärt Meier-Grüll.

Der Biologe Onno Muller untersucht im Projekt, wie sich die PV-Anlagen auf das Wachstum der Pflanzen und den Wasserhaushalt auswirken. Die Gesamtverschattung der Fläche liegt bei etwa 35 Prozent. „Damit sind etliche Obst- und Gemüsesorten für Agri-PV geeignet,“ sagt Muller, der sich auf Pflanzenökologie spezialisiert hat. Fast alle Beerenarten, die auch in freier Natur in schattigen Waldgebieten wachsen, können hier vermutlich gut gedeihen erklärt er, „speziell Blaubeeren, Him- oder Brombeeren“. Auch viele Kräuter und Gewürze seien gut geeignet.

Viel Licht und Schimmelschutz für Tomaten

Auch Äpfel und Tomaten lassen sich anbauen – obwohl sie viel Licht brauchen, um gute, schmackhafte Früchte zu bilden. Für Tomaten entstehe sogar ein exzellenter Schutz vor heftigen Regengüssen, sagt Muller.

Denn: Die Pflanzen reagieren darauf äußerst empfindlich, Kraut- und Braunfäule, eine Pilzkrankheit, wird durch die starke Nässe begünstigt.  

Die Verschattung bewirkt auch, dass der Boden nach der Bewässerung nicht zu schnell wieder austrocknet. „Das macht die Agri-PV natürlich für südeuropäische oder afrikanische Länder interessant, die in der Trockenzeit ein dramatisches Dürreproblem haben“, sagt Muller. Sogar Tiere lassen sich unter dem schützenden Solardach halten. Hühner, die im Freiland gehalten werden, fühlen sich unter einem Schutzdach sehr wohl und sind besser vor Raubvögeln geschützt.

Gute Bedingungen für den Apfelanbau

Auch Obstbauer Christian Nachtwey, der in dritter Generation im rheinland-pfälzischen Gelsdorf auf 60 Hektar hauptsächlich Äpfel anbaut, experimentiert mit Solarmodulen. „Die Flächen für die Energieproduktion brach liegen zu lassen und mit PV-Anlagen zu versiegeln, wäre eine schlechte Lösung“, sagt er. Seit anderthalb Jahren wachsen auf Nachtweys 3000 Quadratmetern Versuchsfläche acht Sorten junger Apfelbäume heran.

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