Kann man sich auf die Klimaforschung verlassen?

Behauptung: „Der IPCC betreibt Panikmache“

Behauptung: „Der sogenannte Weltklimarat wurde mit dem Ziel gegründet, Beweise für die Theorie von der menschengemachten Erderwärmung zu finden. Damit waren alternative Forschungsansätze von vornherein ausgeschlossen. So ist es auch kein Wunder, dass der IPCC den Klimawandel ständig übertreibt.“


Fakt ist: Ziel des IPCC ist eine neutrale Zusammenfassung des Forschungsstands, und mehrfach wurde dabei der Klimawandel unterschätzt
Antwort

Die Schreib- und Redaktionsteams der jeweiligen IPCC-Reports bestehen aus hunderten ausgewiesenen Fachleuten. Sie haben die Weisung, einen unbedingt verlässlichen Überblick über die aktuelle Forschungsliteratur zu erstellen. Entsprechend sind die Schlussfolgerungen der IPCC-Berichte eher konservativ verfasst. Vergleicht man ältere Veröffentlichungen des IPCC mit der später eingetretenen Realität, so zeigt sich, dass wichtige Aspekte des Klimawandels schneller und stärker ablaufen, als dies vom IPCC prognostiziert worden war. Von ständigem Übertreiben kann daher keine Rede sein.

Das IPCC wurde 1988 gegründet, um die Ergebnisse der immer breiter werdenden Klimaforschung auszuwerten. Die wichtigste Aufgabe des „Zwischenstaatlichen Ausschusses für Klimawandel“ – so die wörtliche Übersetzung des Titels „Intergovernmental Panel on Climate Change“ – ist, den Forschungsstand für das wissenschaftliche Laienpublikum (zu dem ja in der Regel auch die Verantwortungsträger in der Politik gehören) aufzubereiten. Zu diesem Zweck veröffentlicht der IPCC alle sechs bis sieben Jahre sogenannte Sachstandsberichte über die gesamte Klimaforschung, dazwischen gelegentlich weitere Reports zu Spezialthemen.

Der IPCC arbeitet nach streng wissenschaftlichen Standards. Zu den Prinzipien gehört beispielsweise, die Studien detailliert zu nennen, die in seine Berichte eingeflossen sind. Auch der gesamte Erarbeitungsprozess samt der Kritiken, die während der Redaktionsarbeit an den Reports geübt wurden, sind nach dessen Veröffentlichung im Internet nachlesbar (hier beispielsweise jene für den Teilband I „Wissenschaftliche Grundlagen“ des 5. IPCC-Sachstandsberichts von 2013, siehe vor allem rechts unten unter "Drafts und Review Materials"). Wer will, kann also die Originalquellen leicht mit den IPCC-Berichten vergleichen oder auch Kritiken an Entwürfen der Berichte nachlesen bzw. den Umgang der IPCC-Autor:innen damit.

Nach dem Vierten Sachstandsbericht von 2007 wurde breit über den sogenannten Himalaja-Fehler berichtet – in Teil II des Berichts hatte es fälschlich geheißen, dass die Gletscher im Himalaya bis 2035 zu verschwinden drohen (der IPCC hat dies korrigiert und bedauert). Auch wenn die wesentlichen Aussagen zum Klimawandel im 2007er IPCC-Report unberührt von dem Fehler  blieben – denn dieser  war ein Zitierfehler der Arbeitsgruppe II („Auswirkungen, Anpassung, Gefährdungen“) und kein Fehler  in den Szenarien der  „zuständigen“ Arbeitsgruppe I („Physikalische Grundlagen“): Aus diesem einzelnen Fehler wird gelegentlich abgeleitet, die Reports übertrieben generell den Klimawandel. Tatsächlich aber zeigt die Erfahrung, dass die Bewertungen des IPCC eher konservativ ausfallen. Es gibt zahlreiche Fälle, in denen seine Berichte (also Zusammenfassungen veröffentlichter klimarelevanter Forschungsergebnisse) sich rückblickend als zu optimistisch herausgestellt haben. Hier drei Beispiele:

1. Kohlendioxid-Ausstoß durch Verbrennung fossiler Rohstoffe

Im Jahr 2000 veröffentlichte der IPCC einen Sonderbericht zu Emissionsszenarien. Darin wurden verschiedene Annahmen über die künftige Entwicklung der Welt skizziert und insgesamt 40 verschiedene Zukunfts-Szenarien umrissen. Darunter waren zum Beispiel Varianten mit großem oder kleinem Wirtschaftswachstum, mit raschem oder langsamerem technologischen Fortschritt, mit einer starken oder schwachen Nutzung fossiler Energiequellen. Darauf aufbauend wurden dann mögliche und wahrscheinliche Entwicklungen des künftigen Ausstoßes an Treibhausgasen prognostiziert.

Ein Blick auf die tatsächliche Entwicklung seit dem Jahr 2000 lässt ahnen, wie unberechtigt die oft geäußerte Kritik ist, der IPCC male ein zu schwarzes Bild: Die Realität entwickelte sich nahe den pessimistischsten Szenarien (siehe Abbildung 1).

Abbildung 1: Vergleich von IPCC-Prognosen (bunte Linien) mit dem später real eingetretenen CO2-Ausstoß aus der Verbrennung fossiler Energieträger (schwarze Linie) – nur der Emissionseinbruch infolge der Wirtschaftskrise 2009 ließ den tatsächlichen CO2-Ausstoß kurzzeitig unter den Durchschnitt der IPCC-Vorhersagen fallen, meist lag er am oberen Rand oder gar über den verschiedenen Prognosen; Quelle: skepticalscience.com/IEA/IPCC 

Die Ursache dafür war offenbar, dass der IPCC die Entwicklung beim Energiesparen und die Klimaschutzbemühungen in den Industriestaaten überschätzt hatte, unterschätzt wurde andererseits das Wirtschaftswachstum in Schwellenländern wie China oder Indien und der weltweite Boom der Kohleverstromung.

2. Anstieg der Meeresspiegel

Dasselbe Bild zeigt sich beim Anstieg des globalen Meeresspiegels, auch hier unterschätzte der IPCC die Entwicklung drastisch. Der durchschnittliche Anstieg zwischen 1993 und 2011 betrug nach Satellitenmessungen 3,2 mm pro Jahr (AVISO-Daten des Centre National d'Etudes Spatiales nachzulesen bei Rahmstorf et al. 2012) – während der Dritte Sachstandsbericht des IPCC im Jahr 2001 noch einen mittleren jährlichen Anstieg von 1,9 mm über diesen Zeitraum prognostiziert hatte. Der tatsächliche Anstieg liegt damit 70 Prozent über dem Median der IPCC-Prognose.

Abbildung 2: Veränderung des Meeresspiegels ermittelt durch Tidenmesser (rot) und Satelliten (blau), die graue Fläche zeigt die Bandbreite der Prognosen aus dem Dritten Sachstandsbericht des IPCC von 2001; Quelle: Copenhagen Diagnosis 2009

Im Vierten Sachstandsbericht von 2007 bezifferte der IPCC den zu erwartenden Anstieg des Meeresspiegels bis zum Jahr 2100 auf 18 bis 59 cm. Dabei ging der Bericht davon aus, dass der Eisschild der Antarktis durch stärkeren Schneefall etwa so viel an Masse gewinnen werde, wie der Eisschild in Grönland verliert. Inzwischen ist klar, dass sowohl der grönländische als auch der antarktische Eisschild bereits heute an Masse verlieren und dieser Prozess sich sogar beschleunigt. Daher liegen die neuen Meeresspiegel-Projektionen des 5. IPCC-Berichts deutlich über denen des 4. Berichts – sind aber immer noch konservativ im Vergleich beispielsweise zu denen der US Ozean- und Atmosphärenbehörde NOAA (Parris et al. 2012).

3. Schmelzen des arktischen Meereises

Auch bei der Entwicklung des Meereises, das rings um den Nordpol auf dem Meer schwimmt, hat der IPCC die Entwicklung krass unterschätzt. Während der arktischen Sommer schmilzt das Meereis deutlich schneller, als es der IPCC erwartet hatte. Die Ausdehnung der Eisfläche zum Ende des Sommers jeweils im September lag in den Jahren 2007 bis 2009 um 40 Prozent unter den Prognosen der Klimamodelle im Vierten Sachstandsbericht (Stroeve et al. 2007).

Abbildung 3: Ausdehnung des Meereises der Arktis für den Monat September in Millionen Quadratmetern – rot dargestellt sind Messdaten von 1953-2008, in Schwarz der Durchschnitt aus 13 Modellen des Vierten Sachstandsberichts des IPCC, als blaue Fläche die gesamte Bandbreite all dieser Modelle; Quelle: Copenhagen Diagnosis 2009

Daneben nimmt auch die Dicke des arktischen Meereises seit einigen Jahrzehnten kontinuierlich ab. Die Eisstärke im September verringert sich seit Ende der 1980-er Jahre mit einer Geschwindigkeit von 57 Zentimetern pro Jahrzehnt (Lindsay et al. 2009) – anders als vor dreißig Jahren gibt es heute kaum noch Eis, das fünf oder mehr Jahre alt ist und damit weniger anfällig wäre für saisonales Abschmelzen. Diese Entwicklung hat sich fast viermal so schnell vollzogen, wie es der IPCC erwartet hatte (Rampal et al. 2011).

Die Behauptung, der IPCC betreibe Panikmache, lässt sich also nicht halten – und vermutlich stimmt eher das Gegenteil. Kurz vor Veröffentlichung des Fünften Sachstandsberichts kam eine Überblicksstudie (Brysse et al. 2013) zum Ergebnis:

„Die verfügbaren Indizien legen nahe, dass Wissenschaftler tatsächlich konservativ gewesen sind in ihren Projektionen zum Klimawandel. Untersuchungen zeigen, dass wenigstens einige der wichtigsten Erscheinungen der Erderwärmung untertrieben wurden, vor allem in den Teilbänden 1 (‚Wissenschaftliche Grundlagen’) der IPCC-Sachstandsberichte. Übertreibungen kamen in derartigen Berichten weniger häufig vor. Wir nehmen deshalb an, dass Wissenschaftler nicht in Richtung Alarmismus voreingenommen sind, sondern eher in Richtung des Gegenteils: hin zu zurückhaltenden Schätzungen. … Wir nennen diese Tendenz das ‚Irren auf der Seite des geringsten Dramas’ (im Original: ‘erring on the side of least drama’).”

G. P. Wayne/klimafakten.de, August 2013;
zuletzt aktualisiert: Februar 2015