Gibt es wirklich einen Klimawandel?

Behauptung: „Aber am Südpol nimmt die Eismasse zu!“

Behauptung: Die Eismenge, die die Antarktis umgibt, ist heute so groß wie noch nie, seit vor fast 30 Jahren mit der Satellitenbeobachtung begonnen wurde. Unterm Strich gibt es am Südpol jetzt mehr Eis als je zuvor.


Fakt ist: Das wichtige Festland-Eis der Antarktis schwindet, und zwar in zunehmendem Tempo
Antwort

Antwort: Die verschiedenen Arten von Eis zeigen in der Antarktis unterschiedliche Trends: Das Meereis dehnt sich Satellitenmessungen zufolge leicht aus; ob damit auch eine Zunahme der Masse verbunden ist, lässt sich wegen mangelnder Daten schwer sagen. Das Landeis hingegen verliert an Masse – und zwar deutlich und mit zunehmender Geschwindigkeit. Diese Entwicklung aber ist erheblich wichtiger als der Trend beim Meereis, weil Landeis den Meeresspiegel stark steigen lässt.

Viele Leute sind überrascht, wenn sie erfahren, dass sich in den vergangenen Jahren das Meereis rings um die Antarktis eine Zeit lang deutlich ausgedehnt hat. Der Fakt selbst ist korrekt. Vollkommen falsch jedoch sind zwei Dinge, die häufig – implizit oder explizit – aus diesem Fakt abgeleitet werden: Dass es mit der Erderwärmung dann ja wohl nicht so schlimm sei. Oder dass der Eiszuwachs am Südpol den dramatischen Schwund des Eises am Nordpol quasi ausgleichen könnte.

Bei derartigen Fehlschlüssen werden mehrere Dinge vermischt bzw. übersehen.

1. Das Meereis hat sich zeitweise ausgedehnt, obwohl sich auch die Antarktis erwärmt 

Es mag paradox klingen, aber die Fläche des antarktischen Meereises sagt wenig über die Temperaturen am Südpol: Sowohl der Ozean rings um die Antarktis hat sich in den vergangenen Jahrzehnten merklich erwärmt (Purkey/Johnson 2010), als auch zumindest ein Teil des Kontinents selbst. Während die Westantarktis zu den Weltregionen gehört, in denen die Temperaturen am stärksten gestiegen sind (Bromwich et al. 2013), wurde in der Ostantarktis bisher keine deutliche Erwärmung gemessen (IPCC 2019, SROCC, Kapitel 3, Box 3.1).

 

Abbildung 1: Erwärmungstrends in der Antarktis 1958-2012 in Grad Celsius pro Dekade, der Westen des Kontinents zeigt einen besonders starken Temperaturanstieg (erkennbar an der roten Einfärbung). Dargestellt ist zum einen die Entwicklung der Jahresdurchschnittstemperatur (große Grafik links), zum anderen einzelne Quartale (kleine Teilgrafiken, „DJF“ steht für die Monate Dezember, Januar, Februar und so weiter); Quelle: Nicolas/Bromwich 2014

Als Ursache für die Ausdehnung des antarktischen Meereises hat die Forschung vor allem Veränderungen bei Windmustern und Ozeanströmungen identifiziert (Nghiem et al. 2016), die teilweise auf die Erderwärmung zurückgehen dürften: So verstärken sich die westlichen Winde in der Südhemisphäre, was zu einer Verstärkung der sogenannten Ekman-Strömung (nach links von der Windrichtung, d.h. nach Norden) führt. Dafdurch wird das Meereis Richtung Äquator verdriftet, und die Fläche vergrößert sich (Goyal et al. 2021). Salopp gesagt treiben die stärkeren Winde das antarktische Meereis wohl einfach weiter auseinander.

2. Nur das Meereis dehnte sich eine Zeit lang aus, das Landeis hingegen schrumpft kontinuierlich

Es ist extrem wichtig, die beiden Arten von Antarktis-Eis auseinanderzuhalten: Das Meereis schwimmt, wie der Name sagt, auf dem Meer; es ist gefrorenes Ozeanwasser, meist von etwas Schnee bedeckt. Wenn dieses Meereis schmilzt, hat das praktisch keine Auswirkungen auf den Meeresspiegel. Das Landeis der Antarktis hingegen hat sich über Jahrtausende gebildet, es liegt wie ein mächtiger Gletscher auf dem Kontinent. Etwa 60 Prozent des gesamten Süßwassers der Erde sind im antarktischen Eisschild gespeichert, und wenn er verschwände, würde das die Meeresspiegel um mehr als 50 Meter anschwellen lassen (Slater et al. 2020).

Die Eiszunahme, die ab 1979 bis etwa zum Jahr 2014 in der Antarktis beobachtet wurde, bezieht sich ausschließlich auf das Meereis. Und anhand der Satellitendaten ließ sich auch nur sicher sagen, dass die Ausdehnung zugenommen hatte – ob auch die Masse wuchs, bleibt unklar, weil verlässliche Messwerte zur Dicke des Eises fehlen. Nach 2014 jedoch (Turner et al. 2017) endete dieser signifikante Flächenzuwachs; es folgten mehrere Jahre, in denen die Eisfläche deutlich unter dem langjährigen Durchschnitt lag. Der Sechste Sachstandsbericht des IPCC konstatiert deshalb, beim Meereis der Antarktis sei bislang kein deutlicher Trend erkennbar (IPCC 2021, AR6, SPM A.1.5).

Ganz anders verhält es sich mit dem antarktischen Landeis. Hier ist klar, dass die Masse seit Jahren zurückgeht. Dieser Schwund hat sich in den vergangenen Jahren sogar beschleinigt (IPCC 2021, AR6, WG1, Kapitel 2.3.2.4 und Fig.2.24) und wird sich – selbst wenn die Menschheit den Treibhausgasausstoß drastisch senkt – im gesamten 21. Jahrhundert fortsetzen (IPCC 2021, AR6, WG1, TS.4.3.2.8).

3. Das Meereis am Nordpol schwindet viel stärker, als es zwischenzeitlich am Südpol zunahm

Schon ein kurzer Blick auf die Zahlen zeigt, dass auch an der Behauptung nichts dran ist, der zwischenzeitliche Zuwachs des Meereises am Südpol hätte den Schwund am Nordpol wettgemacht: In der Arktis ging die Ausdehnung des Meereises zwischen 1979 und 2012 um etwa 3,8 Prozent pro Jahrzehnt zurück, demgegenüber wuchs sie in der Antarktis im gleichen Zeitraum nur um etwa 1,5 Prozent pro Jahrzehnt.

Auch in absoluten Zahlen waren die Unterschiede beträchtlich: Der Rückgang am Nordpol betrug 450.000 bis 510.000 km2 pro Jahrzehnt, die Zunahme am Südpol hingegen nur 130.000 bis 200.000 km2 pro Jahrzehnt (IPCC 2013, AR5, WG1, SPM B.3).

4. Klimatisch ist eine Zunahme des antarktischen Meereises ohnehin weniger relevant 

Doch es sind nicht  nur die reinen Zahlen, die einen Zuwachs beim antarktischen Meereis weniger bedeutsam machen als es der Schwund des Meereises in der Arktis ist. Die Schmelze am Nordpol ist für das Klimasystem der Erde aus grundsätzlichen Gründen relevanter als die Flächenausdehnung am Südpol. Warum?

Dazu muss man vor allem zweierlei verstehen. Erstens: Wenn ein Ozean seine Eisbedeckung verliert, nimmt er mehr Wärme auf – denn die helle Eisoberfläche reflektiert einen Großteil der Sonnenstrahlung, während das dunkle Wasser sie stärker absorbiert. Zweitens: Dieser Effekt ist im Sommer stärker als im Winter, weil im Sommer die Sonneneinstrahlung stärker ist.

Schauen wir nun zuerst auf den Nordpol: Dort ist die Meereisbedeckung in den vergangenen Jahrzehnten besonders drastisch während der Sommermonate zurückgegangen – also just dann, wenn die Sonne am stärksten scheint und der Verlust der reflektierenden Oberfläche den Ozean am stärksten aufheizt. Am Südpol hingegen fand der beobachtete Zuwachs bei der Meereisfläche vor allem im Winter statt (die sommerliche Ausdehnung veränderte sich nur wenig) – also zu einer Jahreszeit, in der die Sonneneinstrahlung ohnehin geringer ist, der Zuwachs bei der reflektierenden Fläche also weniger „nützt“.

Sicherlich verändert die Zunahme des Meereises in der Antarktis die Wechselwirkung zwischen Ozean und Atmosphäre. Doch für den Energiehaushalt der gesamten Erde hat der Schwund des sommerlichen Meereises am Nordpol deutlich schwerwiegendere Folgen als ein (leichter und zwischenzeitlicher) winterlicher Zuwachs am Südpol.

klimafakten.de, August 2015;
zuletzt aktualisiert: Dezember 2021

Die Antarktis ist ein riesiger Kontinent, größer als Europa, und zu 98 Prozent mit Eis bedeckt. Auf dem ihn umgebenden Ozean schwimmt – jahreszeitlich schwankend – mal mehr, mal weniger Meereis. Die fundamentalen Unterschiede zwischen diesen beiden Arten von Eis werden häufig vernachlässigt.

Das Landeis ist ein teils kilometerdicker Eisschild, der sich über Jahrtausende durch die Verdichtung von gefallenem Schnee gebildet hat – das Landeis ist also sehr langfristig gespeichertes Süßwasser. Hingegen entsteht der allergrößte Teil des Meereises jeden Winter aufs Neue, wenn auf dem kalten Ozean Salzwasser gefriert. Es wird nur ungefähr einen Meter dick – und schmilzt jeden Sommer fast vollständig wieder.

Wenn Landeis schwindet und in die Ozeane fließt, steigen die Meeresspiegel. Hingegen hat das Schmelzen von Meereis praktisch keine Auswirkungen auf die Meeresspiegel – wohl aber auf andere Aspekte des Klimasystems. Wenn Meereisschrumpft, nimmt die Erde mehr Sonnenenergie auf, denn die eisfreie Ozeanoberfläche ist dunkler als das Eis (fachsprachlich: sie hat eine niedrigere Albedo) und absorbiert daher mehr Sonnenstrahlung.

Es ist jedenfalls außerordentlich wichtig, zwischen antarktischem Land- und Meereis zu unterscheiden. Denn nicht nur die beiden Arten des Eises sind völlig verschieden, sondern auch deren Entwicklungstrends:

  • Das antarktische Landeis schwindet, und die Massenverluste beschleunigen sich sogar.
  • Das antarktische Meereis hingegen hatte für einige Jahrzehnte in der Ausdehnung leicht zugenommen, danach aber schrumpfte es wieder. Ob die Masse und Ausdehnung des Meereises auf längere Sicht zu- oder abnimmt, ist nicht eindeutig erkennbar und zudem regional stark unterschiedlich. Im Übrigen geschah die zwischenzeitliche Zunahme, obwohl rings um den Südpol (wie auf dem ganzen Globus) die Temperaturen steigen.

Antarktisches Landeis: Die Masse nimmt deutlich ab

Es ist schwierig, Veränderungen an der antarktischen Landeismasse genau zu erfassen, da der Eisschild sehr groß und komplex ist. Erstmals möglich wurde dies durch Forschungssatelliten, die seit den 1990er Jahren gestartet wurden. Es gibt verschiedene Methoden der Eismessung, und ihre Ergebnisse stimmen (im Rahmen der üblichen Unsicherheitsmargen) überein. Der IPCC konstatierte deshalb 2021 in seinem Sechsten Sachstandsbericht (IPCC 2021, AR6, WG1, Kapitel 2.3.2.4.2):

„Der Antarktische Eisschild hat zwischen 1992 und 2020 an Masse verloren (sehr hohe Gewissheit), und es besteht mittlere Sicherheit darüber, dass dieser Massenverlust sich beschleunigt hat.“

In einer Grafik hat der IPCC die Ergebnisse von zehn verschiedenen Forscherteams zusammengefasst (Abbildung 1):

 

Abbildung 1: Kumulierter Masseverlust des Festlandeises der Antarktis zwischen 1992 und 2016 (linke Skala in Gigatonnen, rechte Skala in „Sea Level Equivalent“, also umgerechnet darauf, welchem Anstieg der Meeresspiegel die geschmolzene Eismasse entspricht). Gezeigt sind die jährlichen Durchschnittswerte auf der Basis zweier, voneinander unabhängiger Studien. Die verschiedenen Kurven stehen für verschiedene Teile der Antarktis (die hellgrüne stellt jedoch den Eisverlust auf Grönland dar), mit senkrechten Striche sind die jeweiligen Unsicherheitsmargen der Einzeldaten markiert; Quelle: IPCC 2019, SROCC, Kapitel 3, Grafik 3.7a

Und der Eisverlust schreitet seit Anfang des Jahrtausends schneller voran: Während er zwischen 1992 und 2001 bei etwa 51 Gigatonnen pro Jahr lag, betrug er im Zeitraum 2012-2016 bereits 199 Gigatonnen pro Jahr (IPCC 2019, SROCC, Kapitel 3.3.1.1).

Laufend aktualisierte Daten zur Entwicklung des antarktischen Eisschildes stellt zum Beispiel die US-Raumfahrtbehörde auf ihrer Website „Vital Signs of the Planet“ zur Verfügung.

Allerdings ist die Entwicklung in verschiedenen Regionen der Antarktis unterschiedlich. Die detailliertesten Daten zum Landeis lieferte zwischen 2002 und 2017 eine deutsch-amerikanische Satellitenmission namens GRACE („Gravity Recovery and Climate Experiment“). Mittels zweier Satelliten vermaß sie extrem genau die Schwerkraft der Erde, woraus sich die Masse an der Erdoberfläche (beispielsweise von Eis) ableiten lässt – und durch wiederholte Messungen kommen dann zeitliche Veränderungen zum Vorschein. Mittlerweile gibt es eine Nachfolgemission namens GRACE-FO, die seit Mitte 2018 den Job der beiden GRACE-Satelliten übernommen hat. Die GRACE-Daten zeigen, dass der Eisverlust in der Antarktis ungleich verteilt ist (Abbildung 2): Während im Osten des Kontinents die Eismasse sogar leicht zunimmt, ist im Westen eine teils drastische Abnahme zu beobachten (King et al. 2012Tapley et al. 2019).

 

Abbildung 2: Veränderung der Eismasse in verschiedenen Regionen der Antarktis zwischen 2002 und 2017, Basis sind Messdaten der Satellitenmission GRACE – in unterschiedlichem Rot dargestellt sind Gegenden mit Eisverlust, in Blautönen Regionen mit unterschiedlich starker Zunahme (Maßeinheit ist die auf Wasserhöhe in Zentimetern umgerechnete Eismenge pro Jahr); Quelle: Tapley et al. 2019

Im Osten der Antarktis ist der Eisschild demnach zum Teil leicht gewachsen, allerdings bei weitem nicht stark genug, um den Eisverlust im Westen des Kontinents auszugleichen (siehe auch: Shepherd et al. 2012Shepherd et al. 2019). Wegen des verhältnismäßig kurzen Beobachtungszeitraums ist noch nicht klar, ob es sich bei der Massezunahme im Osten um einen längerfristigen Trend und mögliches Resultat des Klimawandels handelt oder lediglich um ein kurzfristiges Phänomen, etwa als Resultat natürlicher Niederschlagsschwankungen (Boening et al. 2012). Stärkere Schneefälle in der östlichen Antarktis nämlich gelten bereits länger als eine mögliche Folge des Klimawandels (eine wärmere Atmosphäre kann mehr Feuchtigkeit aufnehmen und deshalb auch im Winter mehr Schnee zur Folge haben).

Als Ursache des Eisschwundes in der Antarktis gilt übrigens nicht ein großflächiges Schmelzen an der Oberfläche des Eispanzers. Zwar erwärmt sich auch die Antarktis (besonders stark der Westen des Kontinents), doch selbst im antarktischen Sommer liegen die Temperaturen in der Regel noch unter null Grad. Auch Veränderungen bei den Niederschlägen können den Schwund des Eisschildes nicht erklären. Vielmehr entstehend die Massenverluste dadurch, dass vermehrt Eis in den Ozean rutscht.

Große Teile des Eisschildes der Antarktis sind nämlich Schelfeis, das heißt, sie liegen nicht auf Land, sondern schwimmen im Wasser; teilweise liegt aber auch der Erdboden unter dem Eisschild unterhalb des Meeresspiegels.

 

Abbildung 3: Topografie der Antarktis unter dem Eisschild – bläulich eingefärbt in der oberen Grafik sind jene ausgedehnten Bereiche, in denen die Basis des Eisschildes unterhalb des Meeresspiegels liegt. Die beiden unteren, kleinen Grafiken zeigen die Profile entlang der Linien B-B‘ und C-C‘, wie sie in der oberen Grafik eingezeichnet sind; Quelle: IPCC 2013, AR5, WG1, Kap.4, Abb.18 (Ausschnitt)

Dass vom Schelf Eis abbricht (und in Form von Eisbergen davontreibt), ist ein natürlicher Prozess. Befindet sich der Eisschild im Gleichgewicht, wird der Verlust infolge der Abbrüche an den Kanten ungefähr durch die Ablagerung und Verdichtung von Schnee an der Oberfläche ausgeglichen. Seit Jahrzehnten aber ist an zahlreichen Stellen der Antarktis ein Schwund des Schelfeises zu beobachten, das heißt ein Zurückweichen der Schelfeiskante, besonders auf der Antarktischen Halbinsel im Westen (Cook/Vaughan 2010). Als Ursache dafür gilt wärmeres Wasser, das die Unterseite des Schelfeises umspült – und zum Schmelzen und zu großflächiger Destabilisierung führt (Mengel/Levermann 2014Alley et al. 2016). Die Folge: Immer größere Eisberge brechen ab. In den vergangenen Jahren hat sich der Schwund des Schelfeises beschleunigt (Rignot et al. 2013). Und Fachleute befürchten, dass an einigen Stellen der unumkehrbare Kollaps des Eisschildes bereits begonnen hat (Joughin et al. 2014Rignot et al. 2014Rosier et al. 2021).

Der Vorgang wird in diesem Video der US-Weltraumbehörde Nasa anschaulich erklärt (auf Englisch):

Die Ursache für den Zufluss warmen Wassers an der Westküste der Antarktis ist noch nicht restlos geklärt, vermutet wird ein Zusammenspiel aus Erwärmung der Ozeane und veränderten Windmustern, wozu neben dem menschengemachten Klimawandel zum Beispiel auch die Schädigung der Ozonschicht seit Mitte des 20. Jahrhunderts beigetragen haben dürfte (Gillet/Thompson 2003Schmidtko et al. 2014Hellmer et al. 2017).

Insgesamt spielt der antarktische Eisschild eine wichtige Rolle beim Meeresspiegelanstieg. Allein die Ostantarktis enthält genug Eis, um den Meeresspiegel (langfristig, also über mehreren Jahrhunderte) um mehr als 50 Meter anzuheben – bei Verlust des westantarktischen Eisschildes wären es ‚nur’ etwa fünf Meter.

Antarktisches Meereis: Die Ausdehnung hat zwischenzeitlich leicht zugenommen

Im Gegensatz zum Landeis zeigt das antarktische Meereis (also das auf der Wasseroberfläche um den Kontinent schwimmende Eis, das jährlich neu aus Meerwasser entsteht) keinen deutlichen Abwärtstrend. Für einige Jahre hatte es sich sogar etwas ausgedehnt – zumindest seit Beginn seiner Satellitenvermessung 1979 bis etwa zur Mitte des vergangenen Jahrzehnts. Diese Beobachtung wird häufig als vermeintlicher Beleg für die Behauptung angeführt, dass es die Erderwärmung gar nicht gäbe. Einer solchen Argumentation liegen aber mehrere Fehler zugrunde. Statt diesem Fehlschluss zu folgen, sollte man besser fragen: Was hat es mit der zwischenzeitlichen Ausdehnung des antarktischen Meereises auf sich? Und was sind die Ursachen?

Zuerst einmal muss festgehalten werden, dass die Meereisfläche im Jahresverlauf sehr stark schwankt: Im antarktischen Winter vereisen riesige Ozeanflächen, im Sommer schmilzt dann fast das gesamte Meereis wieder.

 

Abbildung 4: Links die größte Ausdehnung des antarktischen Meereises im dortigen Winter 2020, rechts die minimale Ausdehnung im folgenden antarktischen Sommer 2021; Quelle: NOAA/NSIDC

Außerdem gibt es zwischen den einzelnen Jahren erhebliche Schwankungen. Also in manchen Jahren ist die Eisfläche, die verbleibt oder sich neu bildet, größer, in anderen kleiner. Die Entwicklung seit Beginn der Satellitenmessungen Anfang der 1970er zeigt die Abbildung 5:

 

Abbildung 5: Jahr-zu-Jahr-Schwankungen der Meereis-Ausdehnung rund um die Antarktis zwischen Anfang 1973 und Ende 2021 - die graue Zick-Zack-Linie zeigt den Jahresverlauf, die blaue Kurve die jährliche Maximal-Ausdehnung (jeweils erreicht im Februar/März), die rote Kurve die jeweils jährliche Minimal-Ausdehnung (im September jedes Jahres); Quelle: AWI/Universität Bremen

Weiterhin ist wichtig zu verstehen, dass sich die saisonale Eisbedeckung rings um die Antarktis nicht einheitlich entwickelt; es gibt starke regionale Unterschiede. So hat das Meereis im Gebiet der Amundsen- und Bellingshausensee an der Antarktischen Halbinsel in den letzten drei Jahrzehnten deutlich abgenommen – mit starken Folgen für die dortigen marinen Ökosysteme (Montes-Hugo et al. 2009Ducklow et al. 2011IPCC 2019, SROCC, Chapter 3.2.3.2). Doch Zunahmen anderswo und am deutlichsten im Rossmeer wirkten zwischenzeitlich dem Gesamttrend entgegen (Parkinson/Cavalieri 2012Stammerjohan et al. 2012). In der Summe ergab sich zeitweise eine leichte Zunahme der Meereisfläche, vor allem bei der maximalen Ausdehnung im Winter - nämlich wenn man die Datenlinie isoliert von 1979 bis 2014 betrachtet (siehe Abbildung 5). Blickt man jedoch auf die gesamte Kurve seit Anfang 1973, also auf alle bisher vorliegenden Daten, zeigt sich keine klare Entwicklungsrichtung. Es ist deshalb, wie auch der IPCC in seinem Sechsten Sachstandsbericht (IPCC 2021, AR6, WG 1, Kapitel 2.3.2.1.2) konstatierte, bei der Eisbedeckung rings um die Antarktis kein klarer Trend erkennbar.

Doch schauen wir nochmal genauer auf den Zeitraum, in dem es eine leichte Zunahme der Meereisfläche gab. Details dazu lieferte der IPCC in seinem Fünften Sachstandsbericht (IPCC 2013, AR5, WG1, Kapitel 4.2.3.2., S. 330). Demnach hatte ab 1979 die Eisbedeckung rings um die Antarktis in der Summe um etwa 1,5 Prozent pro Jahrzehnt zugenommen. Wie erwähnt war die Entwicklung regional unterschiedlich – die Spanne reichte von -4,3 Prozent bis +4,3 Prozent.

 

Abbildung 4: Mittlere Zirkulationsmuster des Meereises und Entwicklungstrends der jährlichen, also saisonal bereinigten Ausdehnung (in Prozent je Jahrzehnt) für verschiedene Gegenden der Antarktis und den gesamten Kontinent. Die Pfeile (oben) zeigen die durchschnittliche Richtung und Stärke der Eisdrift. Im Jahresverlauf wächst die Eisbedeckung jeweils auf etwa das Sechsfache und schrumpft danach wieder. Die rötliche Fläche zeigt die durchschnittliche Maximalausdehnung des Meereises (die jährlich im September erreicht wird), die grauen Flächen markieren die durchschnittliche Minimalausdehnung (jeweils im März); Datenbasis sind Satellitenmessungen für die Periode 1979-2012. Das Diagramm unten zeigt die Abweichung der Meereisfläche vom langjährigen Mittel über die vergangenen gut drei Jahrzehnte, pro Dekade nahm die durchschnittliche Eisbedeckung im betrachteten Zeitraum um 1,5 Prozent zu; Quelle: IPCC 2013, AR5, WG1, FAQ-Broschüre, Kap.4.1, Abb.1 (Ausschnitt)

Die große Frage ist nun, warum das Meereis zwischenzeitlich leicht zugenommen hatte. Denn bei vielen Laien dürfte die implizite Annahme lauten: Wenn das Eis mehr wird, dann ist es wohl rund um die Antarktis kälter geworden. Doch dies ist ein Fehlschluss, eher das Gegenteil stimmt: Das Südpolarmeer erwärmte sich seit den 1950er Jahren deutlich,  teils sogar stärker als die anderen Ozeane (Gille 2002Gille 2008Böning et al. 2008Purkey/Johnson 2010).

 

Abbildung 5: Oberflächennahe Lufttemperatur über eisbedeckten Arealen des südlichen Polarmeeres (oben), Ausdehnung des Meereises (unten), Quelle: Zhang 2007

Wieso aber dehnte sich das Meereis aus, obwohl sich das Südpolarmeer erwärmt? Mehrere Faktoren trugen zu dieser scheinbaren Paradoxie bei. Die meisten Fachleute verweisen auf geänderte Windmuster, die das Meereis weiter auseinandertreiben (Holland/Kwok 2012). Ein Faktor dabei ist die gesunkene Ozonkonzentration über der Antarktis: Das Loch in der Ozonschicht über dem Südpol, das sich trotz Verbots von FCKW nur langsam wieder schließt, bewirkt (zusammen mit den zunehmenden Treibhausgasen) eine Abkühlung der Stratosphäre (Gillet/Thompson 2003Haumann et al. 2014).

Dies kann die sich im Uhrzeigersinn drehenden zirkumpolaren antarktischen Winde verstärken (Thompson/Solomon 2002). Der Wind treibt das Meereis herum, und wegen der Erddrehung driftet das Eis leicht in nördliche Richtung. Es schafft so eisfreie Bereiche auf der Meeresoberfläche, sogenannte Polynjas, und in diesen offenen Bereichen kann sich dann weiteres Meereis bilden, weil die Lufttemperaturen im Winter immer noch deutlich unter dem Gefrierpunkt liegen – im Ergebnis führt dies zu einer erhöhten Meereisproduktion (Turner et al. 2009Comiso et al. 2011). Umgekehrt könnte eine Schwächung ebendieser Winde dafür gesorgt haben, dass die Ausdehnung des Meereises seit etwa 2015 so deutlich zurückgeht (Eayrs et al. 2021).

Eine bislang nicht nachprüfbare Erklärung könnte auch sein, dass sich durch die Zunahme des windbedingten Eistransports nach Norden nur die Fläche ausdehnte, jedoch die Dicke des Meereises abnahm und das Volumen an Eis somit relativ konstant blieb. Um diese Hypothese zu beweisen, fehlen aber umfassende Messungen der Eisdicke über einen längeren Zeitraum. 

Laut einer weiteren Hypothese könnten auch Veränderungen des Salzgehalts des Meerwassers zur zeitweisen Ausdehnung der Meereisfläche beigetragen haben: Das Südpolarmeer besteht aus einer Schicht kalten Wassers nahe der Oberfläche und wärmeren Wassers in größerer Tiefe. Durch natürliche Zirkulation steigt ein Teil des wärmeren Wassers auf und schmilzt das Meereis. Im Zuge des allgemeinen Klimawandels jedoch erwärmt sich die Atmosphäre, und weil wärmere Luft mehr Feuchtigkeit aufnehmen kann, nehmen die Niederschläge zu. Dadurch wird das Oberflächenwasser verdünnt, wegen des geringeren Salzgehalts wird dann die obere Kaltwasserschicht leichter als das wärmere Wasser darunter – in der Folge wird die Schichtung stabiler, weniger Wärme als bisher würde aus der Tiefe nach oben befördert und weniger Meereis schmelzen (Zhang 2007). Denselben Effekt könnte der Schwund des Schelfeises (siehe oben) haben, denn wenn die abgebrochenen Eisberge im Südpolarmeer schmelzen, verdünnt auch dies das Oberflächenwasser und stabilisiert die Schichtung (Bintanja et al. 2013).

Fazit

Die Antarktis und ihr Meereis sind sehr komplexe Phänomene. Über den Zeitraum, für den verlässliche Daten vorliegen (ab 1973 nach Beginn von Satellitenmessungen), lässt sich kein Trend der Eisbedeckung des antarktischen Ozeans feststellen – obwohl (oder paradoxerweise gerade weil) auch rings um den Südpol die Erderwärmung bereits deutlich spürbar ist. Jedenfalls wäre der Eindruck falsch, eine zwischenzeitlich beobachtete Zunahme der antarktischen Meereisfläche widerlege die Realität des Klimawandels. 

John Cook, Matt King/klimafakten.de, November 2011;
zuletzt aktualisiert: Dezember 2021