„Sturmfluten sind häufiger und höher geworden“
In diesem Sommer geht es für viele Menschen nicht an die Strände Südeuropas, sondern nach Norddeutschland. Dort, wo die anderen Urlaub machen, arbeitet Insa Meinke. Sie leitet das Norddeutsche Küsten- und Klimabüro am Helmholtz-Zentrum Geesthacht und erforscht, wie sich der Klimawandel speziell in der Region auswirkt.
Frau Meinke, laut Robert-Koch-Institut hat der Verkehr in den Küstenregionen Deutschlands in den bisherigen Sommermonaten deutlich zugenommen. Wie wirkt sich der Tourismus-Boom auf die Nord- und Ostsee aus?
Möglicherweise wirkt sich das hohe Verkehrsaufkommen auf das Wohlbefinden und gegebenenfalls auf die Gesundheit der Bewohner und Urlauber aus. Auf das regionale Küstenklima hat der große Andrang aber keinen direkt messbaren Einfluss. Wir können nicht im Einzelfall nachvollziehen, wie sich lokale Maßnahmen und Ereignisse auf das Klima auswirken und welche Folgen sie haben. Dafür müssen wir vielmehr die Summe aller weltweiten Aktivitäten betrachten, durch die wir die globale Erwärmung im Laufe dieses Jahrhunderts beschleunigen, verlangsamen oder begrenzen. Welche einzelne Maßnahme welchen Beitrag daran hatte, können wir im Nachhinein jedoch nicht mehr rekonstruieren oder messen.
Wie wirkt sich denn die globale Erwärmung an den deutschen Küsten aus?
Auch die Küsten haben sich in den letzten Jahrzehnten erwärmt. Im Vergleich zur Zeitspanne 1961 bis 1990, die wir als Klimanormalperiode bezeichnen, ist die durchschnittliche Lufttemperatur in Norddeutschland bis 2015 um etwa 0,8 Grad Celsius gestiegen. Aber auch die Meeresoberflächentemperatur der Nord- und Ostsee hat sich seit Ende der 1980er Jahre sprunghaft und deutlich erhöht. Diese Erwärmung ist allerdings nicht an bestimmte Jahreszeiten gebunden. Sie ereignet sich weitgehend gleichmäßig über das ganze Jahr, wobei sie in Norddeutschland bislang im Herbst etwas schwächer ausgeprägt ist. Eine Folge ist, dass sich die Vegetationsperioden verlängern. Sie beginnen jetzt deutlich früher. Gleichzeitig tritt der letzte Frost im Frühjahr noch immer vergleichsweise spät auf. Dadurch erhöht sich die Gefahr, dass es nach Beginn der Vegetationsperiode zu Frostschäden bei Pflanzen kommt.
Beobachten Sie weitere Auswirkungen des Klimawandels?
Trockenperioden im Frühjahr dauern inzwischen länger an als noch vor einigen Jahrzehnten.
Mit der Erwärmung haben auch Frost- und Eistage abgenommen, während Sommertage mit maximal 25 Grad Celsius und heiße Tage mit über 30 Grad Celsius zugenommen haben. Im Winter gibt es in Deutschland deutlich mehr Niederschlag. Sturmfluten sind häufiger und höher geworden. Das können wir hauptsächlich auf den Meeresspiegelanstieg innerhalb des letzten Jahrhunderts zurückführen, der auch an der deutschen Nord- und Ostseeküste messbar ist.
Wie werden sich die Entwicklungen, die Sie beobachten, in Zukunft weiterentwickeln?
Diese Entwicklungen werden sich mit der weiteren Erderwärmung fortsetzen. Dabei hängt das Ausmaß kommender Änderungen auch an den Norddeutschen Küsten davon ab, wie hoch die künftigen Treibhausgasemissionen sein werden. Gelingt es uns, diese drastisch zu reduzieren, könnten wir das Ziel, die globale Erwärmung auf 1,5°C zu begrenzen, noch erreichen. Dementsprechend gering würden dann auch die Veränderungen in Norddeutschland ausfallen. Wenn wir jedoch Treibhausgase weiterhin ungehindert ausstoßen, müssen wir mit einer weltweiten Erwärmung rechnen, die sich auch hier in Norddeutschland spürbar zeigen wird. Der Winterniederschlag könnte dann mit etwa 40 Prozent sehr stark zunehmen, gleichzeitig könnte der Meeresspiegel an den deutschen Küsten künftig deutlich ansteigen. Hohe Sturmfluten würden dann Ende des Jahrhunderts merklich höher auflaufen. Wasserstände, die wir heute als schwere Sturmfluten einstufen, könnten dann wesentlich häufiger auftreten.
Wie verändert sich die Natur in Norddeutschland unter dem Klimawandel?
Sowohl an Land als auch in Nord- und Ostsee können wir bereits heute deutliche Verschiebungen der Lebensräume zahlreicher Tier- und Pflanzenarten beobachten. Nichtheimische wärmeliebende Arten wandern ein und etablieren sich, während kälteliebende Arten verschwinden. So kommen heute in der Nordsee beispielsweise vermehrt Sardellen und Sardinen vor, während der Kabeljau jetzt eher im Nordosten der Nordsee zu finden ist. An Land breiten sich innerhalb städtischer Wärmeinseln etwa wärmeliebende Gehölze wie die Lorbeerkirsche oder der Walnussbaum stark aus. Zudem verändern sich Bodeneigenschaften mit den Veränderungen bei Niederschlag und Temperatur. Der Klimawandel wirkt sich zudem negativ auf die Wechselwirkung zwischen Blütenpflanzen und Bestäubern aus.
Was sind Folgen für die Menschen?
In den vergangenen Jahren hatten wir richtige Hitzewellen. Diese wirken sich direkt auf die menschliche Gesundheit aus. Im schlimmsten Fall können sie zum Tod führen. Ebenso wirken sich die Klimaveränderungen auf den Beginn, die Dauer und die Intensität des Pollenflugs aus. Auch invasive, also einfallende Arten wie beispielsweise Ambrosia, können sich stärker verbreiten. Wir konnten teilweise dokumentieren, dass Blühphasen allgemein früher einsetzen, zum Beispiel Haselnuss, Erle und Birke im Frühjahr sowie Süßgräser im Sommer. Diese Pollen zählen zu den Allergenen, auf die jeder zweite Erwachsene in Deutschland sensibel reagiert. Der Klimawandel wirkt sich aber auch in anderen Bereichen auf den Menschen aus. Er kann zum Beispiel die Energieversorgung durch Extremereignisse, steigende Temperaturen und veränderte Wasserverfügbarkeit beeinflussen. Im Zuge langer Dürreperioden kann Niedrigwasser dazu führen, dass der Grundwasserspiegel absinkt und es Probleme bei der Trinkwassergewinnung gibt. Zunehmende Starkniederschläge hingegen können Abwasserprobleme verschärfen. Vor allem im Winter können zunehmende Niederschlagsmengen bei gleichzeitigem Meeresspiegelanstieg die Entwässerung erschweren. Es wird zudem immer größere Gebiete geben, die vor hohen Sturmfluten geschützt werden müssen.
Was können wir tun, um mit diesen Folgen umzugehen?
Um mit den nicht mehr vermeidbaren Folgen des Klimawandels umzugehen, müssen wir vor allem rechtzeitig geeignete Maßnahmen ergreifen, um ihre negativen Auswirkungen abzuschwächen. Kurzfristige Lösungen wären zum Beispiel Hitzewarnsysteme. Viele Maßnahmen benötigen jedoch längere Planungen und auch ihre Umsetzung ist zeitaufwändiger. Dazu zählen beispielsweise Strategien in der Land- und Forstwirtschaft, der Stadt- und Regionalplanung, der Landschafts- und Freiraumplanung sowie des Städtebaus oder der Architektur. Bei uns in Norddeutschland kommt natürlich auch der Küstenschutz hinzu.
Norddeutsches Küsten- und Klimabüro
Norddeutscher Klimamonitor
Norddeutscher Klimaatlas
Küstenschutzbedarf
Können wir eine weitere Verschärfung des Klimawandels verhindern?
Der Klimawandel wird sich auf jeden Fall noch viele Jahrzehnte weiter fortsetzen beziehungsweise bemerkbar machen. Um sein Ausmaß und damit einhergehende schwere Folgen zu begrenzen, müssen wir den Ausstoß von Treibhausgasen drastisch und schnell reduzieren. Das betrifft weite Bereiche unseres Alltags, etwa unseren Energieverbrauch, unsere Ernährung, die Entsorgung von Müll, unsere Mobilität und den Konsum. Die Zivilgesellschaft – also jeder einzelne von uns – ist hier der zentrale Veränderungsakteur. Kohlenstoff tiefgreifend zu reduzieren ist keine rein technische Managementaufgabe, sondern eben eine zentrale gesellschaftliche Herausforderung. Ohne eine breite gesellschaftliche Akzeptanz können wir diese nur schwer bewältigen.
Wie hilft das Norddeutsche Küsten- und Klimabüro dabei?
Wir bereiten seit mittlerweile fast 14 Jahren die Ergebnisse der Küsten- und Klimaforschung speziell für Norddeutschland auf. Das Angebot wird von nahezu allen gesellschaftlichen Bereichen nachgefragt, die sich auf den Klimawandel einstellen müssen - von Menschen aus Politik, Wirtschaft, Wissenschaft, Medien und Bildung, aber auch Privatpersonen. Dabei konnten wir auch viele Informationsangebote für wiederkehrende Fragen entwickeln. Unsere Erfahrungen als Schnittstelle zwischen Wissenschaft und Gesellschaft bringen wir auch in die Helmholtz-Kima-Initiative und die Erforschung des regionalen Klimawandels ein.