08.02.2024
Komila Nabiyeva

Planetare Gemeinschaftsgüter: Globaler Rahmen zum Schutz kritischer Erdfunktionen

Mit zunehmender globaler Erwärmung steigt das Risiko, die kritischen Kipppunkte im Erdsystem zu überschreiten. Um die sichere und gerechte Zukunft der Menschheit auf der Erde zu sichern, sollten die Kippelemente des Planeten über nationale Grenzen und Interessen geschützt werden, fordern Forschende in einer neuen Studie.  

Der Grönländische Eisschild, der Regenwald im Amazonas und Permafrostböden gehören zu den sogenannten Kippelementen. Kippelemente sind Bestandteile des Erdsystems, die dafür sorgen, dass unser Klima im Gleichgewicht bleibt. Doch je weiter die globale Erwärmung voranschreitet, desto höher wird die Wahrscheinlichkeit, dass ein kritischer Kipppunkt erreicht wird. Kipppunkte sind kritische Schwellen, deren Überschreitung unkontrollierbare und unumkehrbare Auswirkungen auf das Erdsystem hat. Ein Kipppunkt kann eine Kettenreaktion auslösen und weitere Elemente des Erdsystems aus dem Lot bringen. 

So könnte zum Beispiel das Abschmelzen des Grönländischen Eisschildes zu einem großen Strom von Süßwasser in den Nordatlantik führen. Dies könnte die Meerwasserströmungen verlangsamen, was wiederum zu einem Wärmestau im Südatlantischen Ozean und einem beschleunigten Abschmelzen des westantarktischen Eisschildes führen würde. Das Letztere könnte das Wettermuster im Amazonasgebiet beeinflussen und als Folge Brände, Dürren und Überschwemmungen hervorrufen. 

Um die sichere und lebenswerte Zukunft der Menschen auf der Erde zu sichern, schlägt ein Team von Forschenden aus der Rechts-, Politik- und Erdsystemwissenschaft in einer aktuellen Studie vor, Kippelemente als „planetare Gemeinschaftsgüter“ (englisch „Planetary Commons“) zu schützen. 

„Die Wissenschaft zeigt deutlich, dass der Planet in Gefahr ist, und wir müssen zu aktiven Betreuern des Planeten werden, um sicherzustellen, dass alle Funktionen des Erdsystems intakt bleiben und weiterhin für alle verfügbar sind, insbesondere auch für die Schwachen und Armen“, schreiben die Mitautoren der Studie Johan Rockström, Direktor des Potsdam-Instituts für Klimafolgenforschung (PIK) und Louis Kotzé, Professor für Rechtswissenschaften an der North-West University in Südafrika, der University of Lincoln, Großbritannien und dem Forschungsinstitut für Nachhaltigkeit - Helmholtz-Zentrum Potsdam (RIFS) in einem gemeinsamen Artikel. 

Ein Wandel über nationale Grenzen hinaus

Im internationalen Recht existieren bereits analog zu den vorgeschlagenen planetaren Gemeinschaftsgütern sogenannte „globale Gemeinschaftsgüter“ (englisch „Global Commons“). Dazu gehören die Hohe See und die Tiefsee, der Weltraum, die Antarktis und die Atmosphäre, die von allen Staaten gemeinsam genutzt werden. Diese liegen außerhalb der Grenzen der Gerichtsbarkeit und damit der souveränen Ansprüche. Alle Staaten und Menschen haben ein kollektives Interesse daran, dass sie im Interesse des Gemeinwohls wirksam geschützt und verwaltet werden. 

Im Gegenzug liegen viele biophysikalische Systeme, die die Widerstandsfähigkeit und damit auch die Lebensqualität auf der Erde regulieren, in nationalen Grenzen eines Landes. So etwa verfügt Brasilien über den Großteil des Amazonas-Regenwaldes. Deshalb soll der Ansatz erweitert werden, argumentieren die Autor:innen der Studie. „Dies erfordert einen grundlegenden Wandel von einer ausschließlichen Konzentration auf die Verwaltung gemeinsamer Ressourcen jenseits nationaler Zuständigkeiten hin zu einem Ansatz, der die kritischen Funktionen des Erdsystems unabhängig von nationalen Grenzen sichert“, so die Forschenden.  

Herausforderungen

Die Forschenden sind sich bewusst, dass die Gestaltung eines neuen Rechts- und Governance-Ansatzes für planetare Gemeinschaftsgüter komplex und kontrovers sein wird. Oft räumen die Entscheidungsträger:innen den kurzfristigen nationalen Interessen Vorrang vor einem gemeinsamen Interesse an der langfristigen Widerstandsfähigkeit des Planeten. Es gibt aber Beispiele solcher erfolgreichen multilateralen Zusammenarbeit, wie das Montreal-Protokoll zum Schutz der stratosphärischen Ozonschicht der Erde oder das UN-Hochseeschutzabkommen. Darauf kann man aufbauen, so die Autor:innen.  

„Die kollektive Verwaltung der planetarischen Gemeinschaftsgüter wird auf Widerstand stoßen. Sie würde nicht nur das Recht der Länder auf Selbstbestimmung und Entscheidungsfreiheit beeinträchtigen, sondern auch Unternehmensinteressen, globale Machtverhältnisse und nationale Grenzen infrage stellen. Doch wir sind überzeugt: Unsere Zukunft verlangt nichts anderes“, argumentieren Johan Röckstrom und Louis Kotzé.

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